Die gescheiteste der vier dachte: ,Pech gehabt!‘ und rollte sich auf dem Bettvorleger wie eine Brezel zusammen. Kurz bevor sie einnickte, dachte sie noch: ,Fressen kann man nur, wenn einem jemand was bringt. Schlafen ist einfacher. Das kann man ohne wen.‘
Mäxchen saß inzwischen vergrämt in seiner Streichholzschachtel, hatte ein Pflaster auf der Backe und trank aus seiner winzig kleinen Meißner Porzellantasse heiße Schokolade.
Der Professor hatte eine Lupe ins Auge geklemmt und stopfte die Löcher in Mäxchens Anzug.
„Und du weißt ganz bestimmt und genau, daß man Katzen nicht dressieren kann?“ fragte der Kleine Mann.
„Ganz bestimmt und genau.“
„Ob sie dümmer sind als die Löwen und die Tiger?“
„Kein Gedanke!“ sagte der Professor überzeugt. „Es macht ihnen ganz einfach keinen Spaß. Ich kann das gut verstehen. Mir machte es auch keinen Spaß, durch brennende Reifen zu springen.“
Mäxchen mußte lachen. „Das ist eigentlich schade! Stell dir einmal vor: Lauter Tiere als Zuschauer! Känguruhs und Bären und Seelöwen und Pferde und Pelikane! Stell dir das mal vor! Alle Plätze ausverkauft!“ Er zog sich vor Vergnügen an den Haaren und rief: „So! Und nun lüge du weiter!“
„Also gut“, sagte der Professor. „Im Orchester trompeten die Elefanten einen Tusch. Dann betritt der Löwe die Manege. Er hat eine Peitsche in der Pfote und einen Zylinder auf der gelben Mähne. Es wird mucksmäuschenstill. Vier ernste Tiger rollen einen Käfig in die Manege. In dem Käfig sitzt ein Herr im Frack und knurrt.“
„Schön!“ Mäxchen rieb sich die Hände. „Der Herr bist du!“ „Jawohl. Der Löwe zieht schwungvoll den Zylinder, verbeugt sich und ruft: Jetzt, verehrtes Tierpublikum, sehen Sie die Attraktion unsres Programms! Es ist mir gelungen, einen Menschen zu dressieren. Es ist ein sehr gebildeter Mensch. Sein Name ist Professor Jokus von Pokus. Er springt vor Ihren Augen durch einen brennenden und mit Papier bespannten Reifen! Ich bitte die Spechte der Kapelle um einen gedämpften Trommelwirbel!4 Die Spechte trommeln. Der Käfig öffnet sich. Zwei Tiger halten einen Reifen in die Luft. Der Löwe knallt mit der Peitsche. Ich komme langsam aus dem Käfig heraus und schimpfe. Der Löwe knallt noch einmal mit der
Peitsche. Ich klettre auf einen Podest und schimpfe noch mehr. Ein Glühwürmchen zündet den Reifen an. Er beginnt zu brennen. Der Löwe haut mir mit dem Peitschenstiel eins über den Hosenboden. Ich brülle vor Wut. Er haut mich wieder. Und jetzt springe ich mit einem einzigen Satz durch den brennenden Reifen. Das Papier zerplatzt. Die Flammen zucken. Es ist gelungen! Die Elefanten trompeten. Die Spechte trommeln. Ich erhebe mich aus dem Sand, klopfe mir die Hosen sauber und mache einen tiefen Diener.“
„Und alle Tiere im Zirkus klatschen wie wild“, rief der Kleine Mann begeistert, „und der Löwe gibt dir zur Belohnung ein Kalbskotelett!“
„Und du schläfst jetzt, junger Freund!“ befahl der Professor. Er sah auf die Armbanduhr. „Es ist Mittwoch, und ich muß zur Nachmittagsvorstellung.“
„Zaubre schön!“ sagte Mäxchen. „Und noch eins!“
„Was denn?“
„Mit den vier Katzen war es leider nichts.“
„Nein.“
„Aber eins steht trotzdem fest. Ich werde Artist!“
DAS FÜNFTE KAPITEL
Ein Schaufensterbummel und eine Schaufensterpuppe / Der Verkäufer fällt in Ohnmacht / Ein Herrengeschäft ist schließlich kein Krankenhaus / Der Unterschied zwischen Staatsmann und Milchmann.
An einem heißen Tag im Juli schlenderten die beiden gemächlich durch den Berliner Westen und betrachteten die Schaufenster. Eigentlich schlenderte ja der Professor ganz allein. Mäxchen schlenderte nicht, sondern stand in des Professors äußerer Brusttasche. Er hatte die Arme auf den Taschenrand gelehnt, als sei die Tasche ein Balkon, und interessierte sich besonders für die Spielzeugläden, Delikateßgeschäfte und Buchhandlungen. Aber es ging nicht immer nach seinem Kopf. Dem Professor gefielen auch Auslagen mit Schuhen, Hemden, Krawatten, Zigarren, Schirmen, Weinflaschen und allem möglichen.
„Bleib doch nicht so lange vor der Drogerie stehen“, bat der Junge. „Wir wollen weitergehen!“
„Wir?“ fragte der Jokus. „Wieso wir? Meines Wissens geht nur einer von uns beiden, und das bin ich. Du gehst? Keine Spur, mein Goldkind. Du gehst nicht. Du wirst gegangen. Ich habe dich völlig in der Hand.“
„Nein“, sagte der Kleine. „Aber du hast mich in der Tasche!“
Darüber mußten sie lachen. Und die Leute drehten sich um.
Ein dicker Berliner stieß seine Frau an und murmelte: „Das ist ja komisch, Rieke! Der Mann lacht zweistimmig!“
„Nun laß ihm schon seinen Spaß!“ gab Rieke zur Antwort. „Vielleicht ist er Bauchredner.“
Vor einem Schaufenster mit Herrenbekleidung blieb der Professor wieder ziemlich lange stehen. Er betrachtete die Schaufensterpuppen mit den hübschen Anzügen, ging ein paar Schritte weiter, kehrte um, musterte die Dekoration von neuem, versank in Nachdenken, nickte dreimal sehr heftig und sagte laut zu sich selber: „Das ist gar keine dumme Idee!“ „Was ist gar keine dumme Idee?“ fragte Mäxchen neugierig.
Doch der Professor antwortete nicht, sondern betrat spornstreichs das Geschäft und erklärte dem geschniegelten Verkäufer, ehe der den Mund aufmachen konnte: „Ich möchte den marineblauen Anzug aus dem Fenster haben. Den Einreiher für 295 Mark.“
„Gern, mein Herr. Aber ich glaube nicht, daß er Ihnen passen wird.“
„Das verlange ich auch gar nicht von dem Anzug“, knurrte der Professor.
„Vielleicht sind einige Änderungen nötig“, meinte der Verkäufer höflich. „Ich werde den Schneider aus dem Atelier herunterkommen lassen.“
„Er soll ruhig oben bleiben.“
„Es geht ganz geschwind, mein Herr.“
„Wenn er nicht kommt, geht es noch geschwinder.“
„Aber unsere Firma legt größten Wert darauf, daß die Kunden zufriedengestellt werden“, bemerkte der Verkäufer leicht verstimmt.
„Das ist lobenswert“, sagte der Professor. „Doch ich will Ihren marineblauen Einreiher ja gar nicht anziehen! Ich will ihn doch nur kaufen!“
„In diesem Falle wäre zu empfehlen, daß sich der betreffende Herr zu uns bemühte, für den der Anzug gedacht ist“, schlug der Angestellte vor. „Oder Sie geben uns die Adresse an, und wir schicken einen unsrer Schneider hin. Das kann noch heute nachmittag geschehen.“ Er zückte den Notizblock, um die Adresse aufzuschreiben.
Der Professor schüttelte energisch den Kopf. „Ihr blauer einreihiger Anzug draußen in der Auslage ist weder für mich noch für irgendeinen anderen lebendigen Menschen bestimmt.“
Der Verkäufer wurde blaß und trat einen Schritt zurück. Dann stöhnte er: „Für keinen Lebendigen, mein Herr? Also für einen - Toten? Oh!“ Er holte tief Luft und fuhr fort: „Welche Größe hat, bitte, der werte Verstorbene? Auch ihm müßte ja der Anzug einigermaßen passen! Sonst könnten wir einen unserer Schneider ...“
„Unsinn!“ sagte der Professor grob. Dann beruhigte er sich wieder. „Sie wissen natürlich nicht, worum sich’s handelt.“
„Es scheint so“, gestand der völlig verängstigte Verkäufer. Er hielt sich am Ladentisch fest, weil ihm die Knie zitterten. Der arme Kerl wackelte wie Pudding.
„Die Hauptsache ist, daß der Anzug Ihrer Schaufensterpuppe paßt. Das tut er doch?“
„Selbstverständlich, mein Herr.“
„Ich will nämlich den Anzug samt der Puppe kaufen“, er klärte der Professor. „Ohne die Puppe, die den Einreiher anhat, interessiert mich auch der Anzug nicht.“