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»Keine Ahnung«, meinte der Jokus. »Frauen sind bekanntlich rätselhafte Wesen. Sogar für Zauberkünstler.«

»Ich will beim Filmen zuschauen«, maulte Mäxchen. »Wie Stoppelfelder aussehen, weiß ich schon.«

Und so kehrten sie um. Rosa Marzipan blieb nichts übrig, als mitzutrotten. >Hoffentlich hat Drinkwater die Szene mit den falschen Eltern schon abgedreht<, dachte sie. Aber ihre Hoffnung war vergeblich.

Sie liefen mitten in die Aufnahmen hinein. Die Kamera war auf einem Elektrokarren montiert worden. Er fuhr langsam vor dem mit Koffern und Bündeln beladenen Paar her, das die schmale Straße entlangkam.

Die junge Frau war bildhübsch. Der junge Mann hatte einen prächtigen schwarzen Schnurrbart. Sie waren nicht größer als zwei fünfjährige Kinder und hatten an ihrem Gepäck schwer zu schleppen.

In den Haustüren und offenen Fenstern lehnten andere kleine Pichelsteiner, winkten und riefen: »Viel Glück!« und »Macht’s gut!« und »Schreibt mal eine Ansichtskarte!« und »Vergesst uns nicht ganz!«

Das Pärchen hätte gerne zurückgewinkt. Aber sie waren zu beladen. Sie konnten nur lächeln und den anderen zunicken, und auch das schien ihnen Mühe zu machen. Denn die Zukunft, der sie entgegenmarschierten, lag im Lande Ungewiss. Da lächelt sich’s nicht so leicht.

Der Jokus stand starr. Nun begriff er, warum Rosa mit ihm und dem Jungen in die Felder gezogen war. Er begriff auch, warum sie nur gezwinkert hatte.

»Frauen sind bekanntlich rätselhafte Wesen«, flüsterte sie und sah ihn vorwurfsvoll an.

Und Mäxchen? Mäxchen blickte wie gebannt auf die falschen Eltern. Dann schluckte er schwer und sagte: »Lieber Jokus, bring mich fort! So schnell du kannst!«

Alles hat einmal ein Ende. Das gilt auch für Filmaufnahmen. Mitte November war es so weit. Die Kameraleute hatten, wie sie dann zu sagen pflegen, alle Einstellungen im Kasten. Sie hatten die Geschichte vom kleinen Mann abgedreht, marschierten im Regen aus dem Studio übers Gelände in die gemütlich warme Kantine und zwitscherten ein großes Helles. Doch sie tranken nicht nur ein oder zwei oder vier oder sieben Glas Bier, sondern auch schärfere Sachen. In kleineren Gläsern. Und kleine Gläser sind rascher leer als große. Das leuchtet ein.

Zwischendurch gab es Schweinsbraten mit Knödeln und Krautsalat. Man ließ sich nicht lange nötigen. Hunger macht durstig, und Durst macht hungrig. Drinkwater, der Boss, hatte sie eingeladen. Er hielt sie frei, dankte ihnen, lobte sie und ging ins Nebenzimmer, wo andere Mitarbeiter auf ihn warteten. Ein Film besteht ja nicht nur aus belichtetem Zelluloid.

Im Nebenzimmer saßen - außer dem Jokus, Rosa Marzipan und Mäxchen - der Tonmeister Sohnemann, der Schnittmeister Wegehenkel und Mademoiselle Odette. Sie war Scriptgirl, stammte aus Genf und beherrschte fünf Sprachen, als sei jede der fünf ihre Muttersprache. Es war zum Staunen.

Mister Drinkwater steckte sich eine seiner schwarzen Zigarren ins Gesicht und sagte: »Wenn die Ohren der Menschen so gescheit wären wie die Augen, könnten wir uns jetzt zu den Kameraleuten setzen und mitfeiern. Aber die Ohren sind dümmer als die Augen.«

»Tatsächlich?«, fragte Mäxchen.

Der Jokus nickte. »Sehr viel dümmer. Das Auge versteht alles, was es sieht. Das Ohr versteht nur Englisch oder Japanisch oder Portugiesisch.«

»Das stimmt nicht«, meinte Mäxchen. »Mademoiselle Odette versteht fünf Sprachen.«

Fräulein Odette lachte. »Es gibt mehr als fünf. Verlass dich drauf. Es gibt Hunderte.«

»Mir genügen fünf«, sagte Mister Drinkwater. »Auch das sind noch vier Sprachen zu viel. Doch ich kann’s nicht ändern. Ich bin kein Ohrenarzt, sondern Kaufmann. Ich will nicht die Welt verbessern. Ich will Filme machen, die man überall versteht, damit ich sie überallhin verkaufen kann.« Dann legte er den Zeitplan fürs Synchronstudio, das er gemietet hatte, auf den Tisch und eröffnete ein Fachgespräch, in dem von Versionen und >takes< und Terminen für die Musikaufnahmen und fürs >Über-spielen< und davon die Rede war, wie viele Kopien gezogen werden müssten.

Die Unterhaltung dauerte drei Stunden und ihr hättet kaum den zehnten Teil verstanden. Ein wahres Glück, dass ihr nicht dabei wart. Die Wirtin blieb an der Tür stehen, nachdem sie das Licht angeknipst hatte. Doch dann zuckte sie die Achseln, ging in die Küche zurück und sagte zur Köchin: »Eher verstehe ich Chinesisch.«

»Na und?«, fragte die Köchin ungerührt. »Die einen machen Filme, die andren machen Knödel. Hauptsache, dass jeder seinen Kram versteht. Mehr wäre zu viel.«

Um sieben Uhr am Abend redete Mister Drinkwater immer noch. Er wurde wieder einmal nicht müde. »Am 30. November fliege ich nach Genua, begebe mich an Bord meiner Jacht >Sleepwell< und bin einen Monat lang für niemanden zu sprechen. Dass mir mit den Kopien der Fernsehserie alles klappt!«, sagte er. »Der erste Teil läuft am ersten Weihnachtsfeiertag über dreißig Stationen. Wer einen Fehler hineinbringt, kriegt es mit mir zu tun.«

»Aber nicht, bevor Sie ausgeschlafen haben«, bemerkte Herr Wegehenkel. Und Herr Sohnemann ergänzte: »Also nicht vorm 1. Januar. Da können wir ja vorher noch in aller Ruhe Silvester feiern.«

Drinkwater sagte düster: »Es wäre Ihr letztes.« Und weil Mäxchen lachte und auch Rosa Marzipan herausplatzte, fuhr er noch düsterer fort: »Ich fürchte, ich werde in diesem Kreise nicht ernst genommen.« Jetzt lachten alle miteinander. Denn sie hatten den langen Amerikaner sehr gern, und sie wussten, dass er es wusste.

In diesem Augenblick ging die Tür auf. Ein Taxichauffeur stellte zwei Koffer in die Stube, brummte »Grüß Gott!« und verschwand. Dann geschah eine Weile gar nichts.

Schließlich hörte man kräftige Schritte. Im Türrahmen erschien ein braun gebrannter Mann. Und Mäxchen rief: »Das ist ja Kriminalkommissar Steinbeiß!«

Nach viel Hallo und etwas Whisky sahen sie sich im Vorführraum den Farbfilm an, den der Kriminalkommissar aus Südamerika mitgebracht hatte. Der Film war kurz. Und er war stumm. Deshalb übernahm Herr Steinbeiß, als das Deckenlicht erlosch und die Leinwand hell wurde, den Kommentar. Er erklärte, was es zu sehen gab.

»Auf diesem abgelegenen Hochplateau vor Ihren Augen«, so begann er, »herrscht subtropisches Klima. Es ist ein fruchtbares Land. Künstliche Bewässerung tut ein Übriges. Man pflanzt und erntet Zuckerrohr, Baumwolle, Wein, Bananen und Feigen, aber auch Kartoffeln, Weizen, Mais und Gerste. Die Bauern sind Nachkommen der Araucos, eines Indianerstamms, der in früheren Zeiten den Inkas und bis ins 18. Jahrhundert den Spaniern das Leben schwer gemacht hat. Heute treiben sie Landwirtschaft und Viehzucht, benutzen Lamas als Lastesel, lieben Pferde und leben in Ranchos aus Lehm oder Wellblech. Das Dorf zur Linken heißt San Cristobal. Hier fanden wir Unterkunft. Die ersten Wochen filmten wir Kolibris, Schmetterlinge und Papageien. Wir kurbelten Kakteen, Zypressen, Magnolien, kleine Kinder, Lorbeerbäume, verwitterte Großmütter vor der Haustür, Schafe bei der Schur, die Schneegipfel der Kordilleren im Osten, kurz, wir führten uns auf, als drehten wir einen Schulaufsatz mit der Überschrift >Mein schönstes Ferienerlebnis<!«

»Ein teurer Schulaufsatz«, stöhnte Drinkwater. »Und das alles für mein Geld.« Doch dann wurde er mucksmäuschenstill. Denn auf der Leinwand erschien eine alte graue Burg. Mit Mauern, Zinnen und Schießscharten und mit einem dicken runden Turm. Hinter den Schießscharten patrouillierten bewaffnete Wachtposten.

»Da wohnt er also, der Senor Lopez«, flüsterte Mäxchen aufgeregt.

»Es handelt sich um ein Kastell, das im 17. Jahrhundert einer der spanischen Vizekönige bauen ließ«, berichtete der Kriminalkommissar. »Hier residierte der jeweilige Generalkapitän während seiner Inspektionsreisen. Hier hielt er Gericht, und von hier aus bekämpfte er aufständische Indios. Später verfiel das Fort. Lopez kaufte es vor dreißig Jahren, ließ das Gemäuer wieder herstellen und technisch auf Hochglanz bringen. Eigne Funkstation, eigne Wasserversorgung, eigne Elektrizität. Es ist alles vorhanden. Es gibt nichts, was es nicht gäbe.«