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»Waren Sie denn drin?«, fragte Mäxchen gespannt.

»Jawohl. Davon später. Was man jetzt sieht, ist der quadratische Innenhof. Er ist, bis auf den Rosengarten links, mit Betonplatten ausgelegt. Die Mädchen, die im Badeanzug herumhüpfen, sind die Tänzerinnen, die den Senor abends unterhalten müssen. Sie trainieren.«

»Sehr späte Mädchen«, meinte Rosa Marzipan.

»Kein Wunder«, sagte Steinbeiß. »Sie wurden vor zehn Jahren aus einem Nachtklub in Mexiko City entführt und waren schon damals nicht mehr ganz neu.«

»Mit dem Teleobjektiv aufgenommen?«, fragte der Jokus.

»Ja.«

»Aber wo, um alles in der Welt, stand die Kamera?«, fragte Drinkwater.

»Sie stand nicht. Sie hing. Im Wipfel einer sechzig Meter hohen Araukarie, eines der riesigen Nadelbäume, die hier wachsen. Unsre Indios hatten einen Hochsitz montiert. Der Kameramann wurde nachts hochgehievt und in der Nacht darauf abgeseilt. Eine luftige Angelegenheit.«

»Sind das die Scharfschützen, die im Hof antreten?«, fragte Mäxchen.

»Ja. Wachablösung«, erklärte Steinbeiß. »Die Gruppe links kommt vom Mittagessen, die Gruppe rechts geht zum Mittagessen.«

»Müde Löwen«, sagte der Jokus abfällig.

»Müde?« Mäxchen schien es zu bezweifeln. »Der eine Herr Löwe hat dem Fräulein im roten Badeanzug eben eins hin-tendraufgehauen.«

»So etwas sieht man nicht«, bemerkte Rosa Marzipan streng. »Du wirst nie ein feines Kind.«

Mäxchen kicherte.

»Etwas mehr Ruhe«, bat der Kriminalkommissar. »Der Lastwagen, der aufs Burgtor zufährt, gehört Miguel, einem Viehzüchter. Dreimal in der Woche bringt er frisches Fleisch, Wurst, Schmalz und Hühner. Der Indio, der auf der Plane hockt, ist kein Indio, sondern der Detektiv MacKintosh. Er hat sich die Haare gefärbt.«

»Und wie wurde die Fahrt gefilmt?«, fragte Mister Drinkwater. »Von einem zweiten Wagen aus?«

»Jawohl. Wir folgten in zehn Meter Abstand. Im Wagen von Gonzales, der das Obst und Gemüse liefert. Richardson, der mit seiner Handkamera unter vier Bananenstauden lag, dachte, er werde sich das Kreuz brechen.«

»Waren Sie auch als Indio verkleidet?«, fragte Mäxchen.

»Natürlich. Achtung, das Tor öffnet sich.«

Das Burgtor öffnete sich. Miguels Wagen bremste in der Hofmitte. MacKintosh sprang vom Wagen, schlug die Plane hoch und schulterte ein ausgeschlachtetes Kalb. Ein paar Männer kamen angetrabt und halfen beim Abladen. Als sie einem von ihnen einen halben Ochsen aufpackten, schrie Mäxchen: »Das ist ja der Kahle Otto!«

»Stimmt«, sagte Herr Steinbeiß. »Das ist er. Und der Mann mit der weißen Schürze und der Kochmütze, der ins Bild kommt, ist der Küchenchef, Monsieur Gerard, Inhaber von drei Goldmedaillen. Er war, leider gleichzeitig, mit drei Frauen verheiratet gewesen und hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt, als ihm Lopez aus der Klemme half. Doch nun bitte ich um Ihre ganz besondere Aufmerksamkeit. Die Kamera schwenkt zum Rosengarten hinüber. Wir sehen einen rundlichen Herrn.«

Der Herr trug einen Anzug aus Rohseide, hatte einen Strohhut auf dem Kopf und schnitt behutsam eine dunkelrote Rose ab. An seinen kurzen, dicken Fingern funkelten und blitzten Ringe wie in einem Juwelierladen.

»Das muss er sein«, flüsterte Mäxchen.

»Das ist er«, sagte der Kriminalkommissar. »Das ist Senor Lopez, der reichste Mann der Welt. Er lässt Menschen rauben, die ihm die Zeit vertreiben und die er füttert. Sie leben wie in einem Zoo für seltene Zweibeiner.«

Mäxchen seufzte. »Hier wäre ich gelandet!«

Senor Lopez kam nun mit wiegenden Schritten über den Hof, blieb vor Miguels Lieferwagen stehen, sprach mit dem französischen Koch und musterte, während er an der Rose schnupperte, einen halben Ochsen, der abgeladen wurde. Dann nickte er, machte kehrt und ging auf ein Gebäude zu, an dessen Portal ihn ein altes, zotteliges Frauenzimmer erwartete. Beide verschwanden im Haus.

»Das war die Zigeunerin, von der er sich wahrsagen lässt«, erklärte der Kommissar. »Und nun kommen zwei Indios mit einer Bananenstaude ins Bild. Sie stapeln das Obst und Gemüse neben Miguels Wagen, damit Richardson, der Kameramann, im zweiten Wagen nicht entdeckt wird. Der eine Indio ist der Bauer Gonzales, und der andere Indio heißt im bürgerlichen Leben Steinbeiß.«

Mister Drinkwater lachte. »Nicht zum Wiedererkennen!« Auch die anderen im Vorführraum freuten sich über die Verkleidungskünste des Kriminalkommissars.

Nur Mäxchen war nicht wohl zumute. »Ein Glück, dass Bernhard Sie nicht gesehen hat«, sagte er mit zittriger Stimme. »Denn Bernhard hätte Sie vielleicht erkannt.«

»Du bist fast so schlau wie Bernhard«, meinte Steinbeiß. »Als ich, eine Woche später, zum dritten Male, beim Abladen half, kam dieser verdammte Schlauberger dazu. Er hatte einen Zahnstocher zwischen den Zähnen und stand gelangweilt neben uns.

Plötzlich stutzte er und griff mir, ehe ich’s mir versah, ins Gesicht. An seinen Fingern klebte braune Schminke. Und nun ging alles sehr rasch. Denn jetzt griff ich ihm ins Gesicht. Er verdrehte die Augen und kippte um. Gonzales ließ die Bananenstaude los. Sie fiel auf Bernhards Bauch. MacKintosh und Miguel sprangen auf den ersten, Gonzales und ich auf den zweiten Lastwagen, und ehe die Wachtposten wussten, worum sich’s drehte, ratterten wir durchs Tor. Es gab eine kleine Schießerei. Verletzte gab es nicht.«

»Entweder waren es keine Scharfschützen«, sagte der Jokus, »oder sie haben in die Luft geschossen.«

»Sie haben in die Luft geschossen. Jedenfalls haben sie das nach ihrer Verhaftung erklärt.«

»Sie wurden verhaftet?«, fragte Rosa Marzipan.

»Und Senor Lopez?«, rief Mäxchen.

»Das ist ein anderes Kapitel«, sagte der Kriminalkommissar, und seine Stimme klang sehr traurig. Dann drückte er auf einen Schaltknopf und der Film lief weiter. »Der andere Kameramann saß ja noch immer in seinem Nadelbaum. Die Aufnahmen, die Sie sehen werden, machte er zwei Stunden nach unserer Flucht aus dem Burghof. Geben Sie gut Obacht. Sie sehen meine Niederlage.«

Die anderen starrten gebannt auf die Leinwand. Man erblickte den menschenleeren Burghof. Ach nein, ganz leer war er nicht. Am Rosenbeet stand ein rundlicher, eleganter Herr. Er trug einen Anzug aus Rohseide, hatte einen Strohhut auf dem Kopf und schnitt behutsam eine dunkelrote Rose ab. Dann drehte er sich um, schnupperte an der Rose und schien auf etwas zu warten.

»Der Mann hat Nerven«, murmelte Mister Drinkwater.

Plötzlich verschoben sich im Hofe die Betonplatten. Eine Versenkung wurde sichtbar. Und aus der Versenkung stieg, Meter um Meter, ein Flugzeug empor. Die Betonplatte, auf der es stand, fügte sich in die übrigen Platten ein. Senor Lopez ging mit wiegenden Schritten auf das Flugzeug zu. Die Bordtür wurde geöffnet. Eine Leiter senkte sich herab. Senor Lopez kletterte an Bord. Die Leiter wurde eingezogen. Die Tür schloss sich. Kurz danach hob sich das Flugzeug in die Luft und verschwand am Horizont. Der Himmel war so leer wie der Burghof.

»Ein Senkrechtstarter«, stellte Mäxchen fest.

»Ganz recht«, knurrte Herr Steinbeiß. »Die Maschinen sind aber noch nicht zur Serienfabrikation freigegeben.«

»Wozu braucht der reichste Mann der Welt auf Serien zu warten?«, fragte Mister Drinkwater. »Ein Versuchspilot verfliegt sich. Nun? Die Maschine ist verschwunden. Der Pilot ist verschwunden. Nun? Vielleicht liegen sie irgendwo im Gletschereis.