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Vielleicht wurden sie aber auch bestochen und landen wohlbehalten in den Kasematten einer Burg.«

»So muss es gewesen sein«, sagte der Kriminalkommissar. »Jedenfalls verschwanden mit Senor Lopez und dem Flugzeug der Koch, die Zigeunerin, die Ballettratten, unsere Freunde Bernhard und Otto, der Hauptmann der Scharfschützen, ein Kunsthistoriker und einhundertvierundsiebzig gerahmte Gemälde. Wir

konnten nur noch die Nägel zählen, an denen die Bilder gehangen hatten.«

»Weiß man, wohin die Maschine geflogen ist?«

»Man weiß es nicht. Nach Paraguay? Nach Bolivien? Nach Peru? Lopez besitzt Minen und Gruben, Haziendas, Fischereiflotten, Konservenfabriken, Kettenhotels und Kreditinstitute. Krösus war, mit ihm verglichen, ein armes Luder. Er ist verschwunden. In einem anderen Kastell? In einem anderen Erdteil? Er hat mich überlistet.«

»Wait and see«, sagte Mister Drinkwater. »Abwarten und Tee trinken. Ich werde Ihre Aufnahmen in allen Kinos als Vorfilm laufen lassen. Mit den nötigen Erklärungen und mit dem Hinweis auf den Großfilm vom kleinen Mann. Die Expedition war nicht vergeblich. Die Interpol wird nun endlich eingreifen müssen. Senor Lopez hat nicht mehr viel Zeit, an roten Rosen zu schnuppern.«

»Haben Sie die Scharfschützen ausgefragt, die er im Stich gelassen hat?«, fragte der Jokus.

»MacKintosh hat das besorgt. Sie waren wütend. Er hat die Tonbänder nach New York mitgenommen. Die Gespräche werden in diesen Tagen übersetzt. Wir haben die Kerle auch gefilmt und fotografiert.«

»Großartig«, erklärte Drinkwater. »Daraus machen wir einen Dokumentarbericht für >Life< und andere Illustrierte.« Er klopfte dem Kriminalkommissar auf die Schulter. »Warum sind Sie mit sich so unzufrieden?«

»Warum habe ich Ihnen die Expedition eingeredet?«, fragte Steinbeiß. »Um Kolibris zu fotografieren? Um eine alte Burg zu filmen? Um einem Flugzeug nachzuwinken? Wahrhaftig nicht. Ich wollte ein bisschen mehr.«

»Man will immer ein bisschen mehr«, sagte Drinkwater, »und erreicht immer ein bisschen weniger.«

Rosa Marzipan amüsierte sich. »Sie sind ein Philosoph.«

Mister Drinkwater stand auf. »In der Hauptsache bin ich Zigarrenraucher. Und nun muss ich mit New York telefonieren.«

Alles hat einmal ein Ende. Auch der November. Und sogar das sechste Kapitel meines Buches. John F. Drinkwater flog nach Genua, wo die Jacht >Sleepwell< auf ihn wartete. Kriminalkommissar Steinbeiß flog nach Berlin. Der Zirkus Stilke ratterte per Eisenbahn ins Winterquartier. Mäxchen und der Jokus machten sich auf die Reise, um König Bileam zu besuchen. Und damit beginnt ...

Das siebente Kapitel

Wo Breganzona liegt, ist unklar /König Bileams Kopfbedeckung / Beschreibung der Hauptstadt / Judith näht, und Mäxchen singt / Vierzehn Tage dauern nur zwei Wochen.

Mister Drinkwater flog also nach Genua. Wo Genua liegt, wisst ihr. Und wer es nicht wissen sollte, kann im Schulatlas nachsehen. Professor Jokus von Pokus fuhr, mit Mäxchen in der Brusttasche, nach Calais, kletterte in das Flugzeug >Dagobert<, das sie dort erwartete, und flog nach Breganzona. Wo Breganzona liegt, wisst ihr nicht. Und wer im Schulatlas nachsieht, wird sich wundern.

Sogar in den größten und dicksten Atlanten findet man es nicht. Da hilft kein Blättern. Und auch in meinem alten fünfundzwan-zigbändigen Lexikon wird es nicht genannt. Mit keinem Wort. Obwohl sogar das Dorf Pichelstein erwähnt ist. Man fasst sich an den Kopf. Nur in dem berühmtesten englischen Nachschlagewerk, der Encyclopaedia Britannica, stehen ein paar Hinweise. Ins Deutsche übersetzt, lauten sie folgendermaßen:

Breganzona. Sämtl. Angaben ohne Gewähr. Lage, Größe und Einwohnerzahl unbekannt. Vermutlich Stadt und Insel im Atlantik. Ursprünglich Künstlerkolonie. Seit 1912 Wahlkönigtum. König Dagobert der Weise (1912-1950), fran-zös. Abstammung, Kulturphilosoph.

Seit 1951 Bileam der Nette, dtsch. Herkunft, Kunstmaler. Ausfuhrartikeclass="underline" Spielzeug, Bilder, Bücher, Bilderbücher, Süß-und Wurstwaren, Turnschuhe, Luftballons, Farbkästen, Leb- und Kirschkuchen, Kau- und Knetgummi usw.

Einfuhr: nicht nennenswert. Fremdenverkehr: keiner. Deckadresse für Export: Calais, Frachthafen, Dock XIIB; für Briefpost und Päckchen: Calais, postlagernd Box 97.

Literatur über Br.: keine. Beitrag fußt auf Gerüchten.

Die Red.

Der Flug dauerte knapp zwei Stunden. Meist erblickte man Wasser, manchmal ein Stück Küste und schließlich nur noch Ozean. Keine Wellen, keine weiße Gischt, nur Gänsehaut aus zitterndem Wasser. Und ab und zu, mit Ost- oder Westkurs, winzige Schiffe.

Als die Stewardess auf dem Klapptisch Rührei mit Schinken servierte, fragte der Jokus: »Wie oft fliegen Sie diese Strecke? Täglich? Oder zwei-, dreimal in der Woche?«

Sie schaute ihn verwundert an. »Machen Sie Spaß? Wir fliegen doch nur, um Gäste abzuholen. Und das tun wir nicht zwei-, dreimal in der Woche, sondern zwei-, höchstens dreimal im ganzen Jahr.«

»Kommen denn keine Touristen?«, fragte Mäxchen, während er ein Schinkenhäppchen vom Teller angelte. »Keine Reporter und Fotografen?«

Die Stewardess schlug die Hände über ihrem flotten Mützchen zusammen. »König Bileam bewahre uns! Solchen Störenfrieden ist der Zutritt verboten. Den letzten, der es probierte, hat Bileam der Nette eigenhändig ins Motorboot zurückgeprügelt.«

»Womtrdendamzurkprlt?« Mäxchen musste husten.

Der Jokus sagte streng: »Man spricht nicht mit vollem Mund.«

Mäxchen hustete noch eine Weile, bis er wieder deutlich sprechen konnte. »Ich wollte nur wissen, womit ihn der König zurückgeprügelt hat.«

»Mit einem Teppichklopfer«, erklärte die junge Dame. »Aber hab keine Angst, mein Kleiner. Seine Gäste haut er nicht.« Nach diesen Worten ging sie zur Bordküche und mit einem beladenen Tablett zum Cockpit, damit der Pilot und der Funker nicht verhungerten.

»Sie hat leicht reden«, sagte Mäxchen leise. »Wenn ich jetzt allein wäre, würde ich mich vermutlich fürchten. Geht’s dir auch so? Ein leeres Flugzeug. Nur die Besatzung. Und wo Breganzona liegt, weiß niemand .«

»Iss noch ein bisschen Rührei«, schlug der Jokus vor. »Das stärkt die Nerven.«

»Nein, ich bin satt und mache mir Sorgen.« Schon kletterte der kleine Mann am Professor hoch und verschwand in dessen Brusttasche. Plötzlich steckte er noch einmal den Kopf heraus. »Beschütz mich gut.«

»Besser als mich selber«, sagte der Jokus. Dann spürte er, wie sich Mäxchen in der Brusttasche zurechtkuschelte. Er lächelte, zündete sich eine Zigarette an und blickte durch das runde Fenster zum Horizont, wo sich der Ozean und der Himmel guten Tag wünschten.

König Bileam der Nette stand auf dem Rollfeld des Flugplatzes von Breganzona, zog die Taschenuhr aus der Brokatweste und erklärte laut und deutlich: »Wenn sie nicht gleich kommen, kommen sie später oder nie. Eine vierte Möglichkeit gibt es nicht.«

Neben ihm standen Judith und Osram, seine Sprösslinge. Und hinter den dreien bildeten vierzig Schulklassen Spalier. Mit Triangeln, Mundharmonikas, Gitarren und Querpfeifen. Alles wartete.

Der König sah aus wie ein glatt rasierter Weihnachtsmann. Er hatte weißes Haar, gesunde rote Backen und trug einen steifen schwarzen Hut auf dem Kopf. Aber außerdem trug er auch die Königskrone. Sie lag, von der Krempe gestützt, auf dem runden Hutrand, blitzte golden und war von der Königin festgenäht worden. Sonst wäre sie ja beim Hutabnehmen jedes Mal heruntergefallen. (Ich meine die Krone, nicht die Königin.)

»Hut und Krone gehören bei mir untrennbar zusammen«, pflegte Bileam der Nette zu sagen. »Ohne Hut wäre ich nur ein König, ohne Krone wäre ich nur ein Bürger. Ich bin beides, und ich trage beides, bis mir eines Tages die Krone zu schwer wird. Dann nehme ich sie ab, habe nur noch den Hut auf dem Kopf und male wieder Bilder.«