Prinzessin Judith zupfte ihn am Ärmel. »Papa, die Maschine kommt!«
Sie hatte Recht. Das Flugzeug >Dagobert< war am Horizont aufgetaucht, wurde größer und lauter, flog eine Schleife, landete, mit gedrosselten Motoren, auf dem Rollfeld, wurde vom Bodenpersonal eingewinkt und stand zitternd still. Der Ausstieg öffnete sich. Die Gangway wurde hingefahren. Zuerst erschien die Stewardess. Hinter ihr tauchte der Jokus auf. Er winkte.
»Musik!«, rief König Bileam, und schon begannen die vierzig Schulklassen zu musizieren, dass die Wände gewackelt hätten, wenn Wände in der Nähe gewesen wären. Ob es sehr schön klang, weiß ich nicht so genau. Sehr laut klang es ganz bestimmt. Man könnte am ehesten sagen: Es klang sehr schön laut.
Die Begrüßung verlief äußerst herzlich. Der König nahm Hut und Krone ab. Judith machte einen Knicks. Osram machte einen Diener. Der Jokus schüttelte allen dreien die Hand. Mäxchen winkte aus der Brusttasche und lachte. Aber man hörte nicht, dass er lachte. Und man hörte nicht, was Bileam und der Jokus sagten. Denn in jeder Schulklasse des Königreichs Breganzona sitzen zwar nur fünfundzwanzig Kinder, aber wenn vierzig Klassen Musik machen, machen tausend Kinder Musik.
Erst als sich Bileam entsetzt die Ohren zuhielt, wurden die Musikanten still. Nun sagten der König und der Jokus noch einmal dasselbe, was sie schon gesagt, aber wegen des Lärms nicht verstanden hatten. Der Jokus holte Mäxchen aus der Brusttasche, setzte ihn dem König auf den Handteller, und nun schritten sie, unter dem Jubel der tausend Kinder, zu dem Auto, das auf sie wartete. Es war ein Rolls-Royce aus dem Baujahr 1930. Ein geräumiges und bequemes Vehikel. Beim Einsteigen musste sich, trotz Hut und Krone, nicht einmal der König bücken.
»Meine Frau lässt sich entschuldigen. Sie konnte nicht mitkommen«, sagte der König, während sie durch die Stadt fuhren. »Sie kocht Kakao und stellt belegte Brötchen her. Das lässt sie sich nicht nehmen. Dabei weiß sie doch, dass wir vorher beim Würstchengott einkehren wollen.«
»Beim Würstchengott?«, fragte Mäxchen. »Wer ist denn das?« Er saß auf der königlichen Krempe, mit dem Rücken zur goldenen Krone, und fühlte sich wie zu Hause.
»Der Würstchengott ist ein Fleischermeister«, sagte Osram. »Sein Lachen ist berühmt, und .«
». und am berühmtesten sind seine heißen Würstchen«, schwärmte Judith. »Die macht ihm keiner nach. Sie zergehen einem auf der Zunge.«
»Wie machen sie das denn?«, fragte Mäxchen. »Ich kenne nur Würstchen, in die man hineinbeißt, dass es knackt, und die man tüchtig kauen muss.«
Fast wären sich die Kinder in die Haare geraten. Erst als sich der König umdrehte und gemütlich meinte: »Zankt euch nicht, haut euch lieber«, wurden sie wieder friedlich, und die zwei Männer konnten ihre Unterhaltung in aller Ruhe fortsetzen.
»Warum haben Sie eigentlich die Dame Ihres Herzens nicht mitgebracht?«, fragte Bileam. »Ihr hübsches Marzipanfräulein?«
»Sie besucht eine alte Tante«, sagte der Professor, »und lässt sich vielmals entschuldigen.«
»Rosa hat gar keine alte Tante«, rief Mäxchen, »und du mogelst.«
»Stimmt das?«, fragte der König amüsiert und faltete die Hände überm Bauch.
Der Jokus zwinkerte ihm verstohlen zu. »Es stimmt, dass sie keine alte Tante hat, und es stimmt, dass ich gemogelt habe.«
Mäxchen schob den Kopf über den königlichen Hutrand und drohte dem Professor mit dem Finger. »Ihr habt Geheimnisse vor mir.«
»Auch das stimmt, Söhnchen. Es ist allerdings nur ein einziges Geheimnis, aber .«
»Können Sie mir’s nicht ins Ohr sagen?«, fragte Bileam.
»Erst wenn der Lümmel nicht mehr auf Ihrem Hut sitzt. Denn für das, was er nicht hören soll, hat er besonders feine Ohren.«
»Mit meinen Kindern ist es genau dasselbe«, gestand der König. »Wenn man ihnen etwas befiehlt, sind sie taub wie der Mann im Mond. Doch wenn mir ihre Mutter was ins Ohr tuschelt, verstehen sie jedes Komma.«
»Ist es wenigstens ein schönes Geheimnis?«, wollte der kleine Mann wissen.
»Du wirst Augen machen, so groß wie Suppentassen.«
»Und wann werde ich so große Augen machen?«
»In vierzehn Tagen.«
Breganzona ist eine heitere Stadt. Die Leute sind vergnügter als anderswo. Die Verkäuferinnen sind freundlicher. Die Gardinen an den Fenstern, ja sogar die Regenwolken über den Dächern blicken lächelnd auf die Straßen und Plätze. Wer in der Straßenbahn mindestens zehn Stationen weit fährt, erhält vom Schaffner einen Becher Limonade gratis. Und keine der vielen städtischen Laternen gleicht der anderen. Sie sind bunt und verschieden wie Lampions bei einem Gartenfest.
Wer Einkäufe macht, muss nicht, wie ein Hase bei der Treibjagd, über die Fahrbahn springen. Die Autobesitzer parken ihre Wagen außerhalb des Geschäftsviertels, holen ihre Trittroller aus dem Kofferraum und trittrollern gemütlich von Laden zu Laden.
»Sonst machen wir das auch«, sagte König Bileam. »Nur wenn wir Gäste abholen, bleiben wir in der Staatskarosse sitzen. Ehre, wem Ehre gebührt.«
Mäxchen gefiel so viel Ehre ganz und gar nicht. »Können wir denn nicht trotzdem umsteigen? Sie auf dem Trittroller und ich auf Ihrem Kronenhut oder Ihrer Hutkrone - das wäre ein Riesenspaß.«
»Vielleicht ein andermal«, meinte der König.
»Außerdem sind wir schon da«, stellte Osram fest. »Alles aussteigen.«
Der Würstchengott war ein umfangreicher Fleischermeister und schüttelte ihnen kräftig die Hand. Nur bei Mäxchen traute er sich nicht. Die Kundschaft in dem engen Laden nahm vom König und seiner Begleitung keine Notiz. Das war in Breganzona so üblich.
Ob er auf dem Jahrmarkt mit seiner Familie Achterbahn fuhr oder auf den Lukas haute, ob er irgendwo für Judiths Aquarium Wasserflöhe kaufte oder für Hildegard, die Königin, eine Langspielplatte oder eine Eieruhr - die Leute bückten freundlich beiseite.
Natürlich kam es trotzdem vor, dass sie gelegentlich zu ihm hinschielten. Noch dazu heute, wo der kleine Mann auf der königlichen Hutkrempe saß. Denn so etwas sah man ja nun wirklich nicht alle Tage.
Hinter der Ladentafel glänzten und dampften die Verkäuferinnen und die Wurstkessel. Davor standen, blank gescheuert, sieben runde mannshohe Holztische. Für Stühle war kein Platz. Man aß im Stehen. Deshalb waren ja auch die Tische doppelt so hoch wie anderswo. Außerdem hatten sie, in halber Höhe, eine untere Tischplatte. Dort standen die Teller für die Kinder, wenn man welche mitbrachte. Sechs Tische waren mit Tellern, Würstchen, Semmeln und Senftöpfen beladen und von schwatzenden und schmatzenden Kunden umlagert.
Den leeren Tisch in der Mitte schmückte ein bestickter Wimpel mit der Inschrift: >Hier schmeckt’s dem König. Täglich zwischen 16 und 17 Uhr. Würstchengott, Hoflieferant.<
»Das nenne ich praktisch«, meinte der Jokus, »jeder Tisch hat zwei Etagen.«
Der Meister, der sie persönlich bediente, strahlte. »Meine eigne Erfindung«, sagte er stolz. »Ich habe sie als den >Zweistöckigen Steh- und Esstisch für Groß und Klein< beim Patentamt angemeldet. Guten Appetit allerseits.« Dann stapfte er ins Schlachthaus, um für die dampfenden Kessel noch ein paar Spieße mit Würstchen zu holen.
»Solche Tische nennst du praktisch?«, fragte Mäxchen den Professor. »Da kann ich nur staunen.«
Der Jokus und der König bissen andächtig in die heißen Würstchen und seufzten selig. Mäxchen bekam von beiden Männern einen Happen ab, seufzte gleichfalls und rutschte an einem der Tischbeine in die untere Etage.
Dort bissen gerade Judith und Osram in ihre Würstchen, dass es nur so knackte. Sie verdrehten vor Wonne die Augen. Mäxchen
kostete auch hier, hätte sich fast die Zunge verbrannt und schnappte nach Luft.