Mäxchen war aufgezogen wie ein Uhrwerk. Ihm fiel ein Unsinn nach dem anderen ein. Und die Königskinder wollten sich schief und scheckig lachen.
Bileam runzelte die Stirn. »Der Krach wird ja immer toller. Waren wir als Kinder auch so schrecklich laut? Ich fürchte, wir müssen mal dazwischenfahren. Kommen Sie, Professor.« Sie verließen die Bibliothek, gingen auf Zehenspitzen den Korridor entlang und blieben vorm Spielzimmer stehen. Sie hörten, wie Mäxchen rief: »Und nun, meine Dame und mein Herr, bringe ich das Lied auf König Bileam zum Vortrag. Ich habe es vorhin in der roten Tulpe gedichtet. Sie dürfen klatschen. Der Beifall ist das Brot des Künstlers. Wollen Sie mich verhungern lassen?«
Der Jokus schmunzelte. Im Zimmer wurde laut geklatscht. Der König öffnete die Tür. Natürlich nur einen Spalt. Sie schauten hindurch und hielten sich vor Staunen aneinander fest. Mäxchen mit Hut und Krone!
Judith und Osram hockten auf dem Fußboden. Mäxchen stand vor dem Nähkästchen und erklärte: »Ich bitte um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit. Die Kapelle lässt sich entschuldigen. Sie hat den Keuchhusten und liegt bei Doktor Ziegenpeter im Krankenhaus. Mir bleibt auch nichts erspart. Trotzdem, es - geht - los!«
Er machte ein paar Tanzschritte, drehte eine Pirouette, breitete die Arme aus und sang:
Mäxchen machte noch ein paar Tanzschritte, drehte noch eine Pirouette, zog den Hut und sagte: »Aus. Das war’s. Wenn es Ihnen nicht gefallen hat, können Sie an der Kasse Ihr Eintrittsgeld zurückverlangen.«
»Es war großartig«, rief Judith, »du wirst ein Dichter wie Az-navour. Der ist ja auch nicht groß.«
»Sing’s noch einmal«, bat Osram. »Wir klatschen im Takt in die Hände und singen mit.«
»Wir auch«, sagte Bileam und trat mit dem Jokus ins Zimmer. »Los, kleiner König, eins und zwei und ...«
Sie klatschten zu fünft in die Hände. Mäxchen schmetterte sein Lied. Die anderen sangen mit, manchmal allerdings nur »Lalala«, wenn Bileam, zum Spaß, plötzlich ins Schloss zurückwollte und fragte: »Oder haben wir etwas vergessen?«, beugte sich Mäxchen jedes Mal schnell über die große Hutkrempe und flüsterte: »Die heißen Würstchen!«
»Wahrhaftig«, rief dann der König erschrocken, »mein Gedächtnis lässt nach. Geht’s Ihnen ähnlich, Professor?«
So kehrten sie schließlich, bevor sie heimfuhren, doch noch beim Würstchengott ein. Das gehörte zu den Fahrten in die Stadt wie der Donner zum Blitz.
Gegen Abend, wenn sie im Spielzimmer saßen, zauberte der Jokus. Er hatte ja den Zauberfrack mitgebracht. Oder Mäxchen und er zeigten ihre Glanznummer >Der große Dieb und der kleine Mann<. Sie stahlen wie die Raben. Sie stahlen auch die Krone von Bileams Hut, obwohl sie festgenäht war. Die Königin konnte es überhaupt nicht fassen. Im >Lokalanzeiger< stand sogar, die beiden hätten am Freitag das Nadelöhr aus Judiths Nähnadel gestohlen. Doch das halte ich für leicht übertrieben, und auch der Pressechef der Königlichen Staatskanzlei schrieb in einem Leserbrief an die Zeitung, das Nadelöhr sei keine Minute vermisst worden.
Viel Spaß machte der Königsfamilie und der Dienerschaft auch die Nummer >Der Bauchredner und seine Puppe<. Der Jokus tat während dieser Szene, als könne er bauchreden, und Mäxchen, der auf seinem Knie saß, bewegte, während sie sich unterhielten, den Kopf, die Augen und die Arme, als sei er eine vom Jokus heimlich gelenkte Gliederpuppe.
Liebe Leser, ich hätte euch diese Darbietung gerne näher beschrieben, aber der verehrte Herr Bauchredner war dagegen. Und Mäxchen sagte: »Die Nummer ist noch lange nicht bühnenreif.«
Außerdem fand die Vorstellung am 14. Dezember statt und wurde, trotz aller Bitten, nicht wiederholt. Denn es war Zeit zum Kofferpacken. Sogar höchste Zeit. Habt ihr schon einmal einen Zauberfrack in einem Koffer verstaut? Nein? Dazu braucht man eine bis anderthalb Stunden.
Frühmorgens am 15. Dezember brachte die königliche Familie den Professor und den kleinen Mann zum Flugplatz. Der Abschied war herzlich und schmerzlich. Alle sagten gleichzeitig: »Auf baldiges Wiedersehen.« Die Maschine >Dagobert< stieg in die Lüfte. Und damit beginnt .
Das achte Kapitel
Mäxchen zählt Schweizer Tunnels /Das Geheimnis lüftet sich / Rosa soll gemästet werden / Villa Glühwürmchen /Eine Fernsehsendung und viele Ferngespräche /Fairbanks 3712 /Mrs.Simpson hieß vor ihrer Heirat Hannchen Pichelsteiner.
In Calais kletterten sie in eine Caravelle der Air France und flogen mit vielen vergnügten Franzosen, die zum Wintersport wollten, nach Zürich. Dort hatte es geschneit. Vorm Flugplatz stieg der Jokus in ein Taxi.
»Bleiben wir in Zürich?«, fragte Mäxchen.
»Nein, mein Kleiner«, sagte der Professor.
Im Züricher Hauptbahnhof kletterten sie in einen hochmodernen Zug, der nur aus vier Waggons 1. Klasse bestand, und nahmen in der Bar des Speisewagens Platz.
»Draußen steht auf einem Schild >Zürich-Mailand<. Fahren wir nach Mailand?«
»Nein, mein Kleiner«, sagte der Professor. Dann bestellte er für sich einen Whisky und für den Jungen einen Tom Collins. »Natürlich ohne Wodka.«
»Sehr gern«, meinte das Servierfräulein und musterte Mäxchen. »Aber Fingerhüte haben wir leider nicht.«
»In einem normalen Glas und mit einem Strohhalm. Der Kleine sitzt gern auf dem Glasrand. Doch das Glas nicht zu voll. Sonst kriegt er nasse Füße.«
»Sehr gern«, sagte das Servierfräulein. »Ganz wie die Herren wünschen.«
Die Welt war schneeweiß. Der Zug sauste am Zürcher See entlang. Er raste am Vierwaldstätter See vorbei. Die Berge kamen näher. Die Strecke stieg an. Ein Tunnel folgte dem anderen. Die Lampen brannten.
Nachdem der Jokus seine Zeitungen gelesen hatte, vertiefte er sich in ein Buch mit dem Titel >Wichtige Winke eines Fachmanns zur Erlernung der Bauchredekunst<. Mäxchen saß auf dem Rande des Glases, hielt sich am Strohhalm fest, schlürfte seinen Tom Collins schlückchenweise und zählte die Tunnels. »Kannst du mir dein Geheimnis noch immer nicht verraten?«, bohrte er.
»Nein, mein Kleiner.«
»Pfui Spinne! Und du willst mein väterlicher Freund sein? Sechsundzwanzig.«
»Was heißt hier sechsundzwanzig?«
»Der sechsund... , schon wieder einer: der siebenundzwanzigste Tunnel.«
Es schneite dicke Flocken. Man konnte Gletscher sehen. Und zu Eis erstarrte Wasserfälle. Es ging stampfend bergan. Immer höher. >Göschenen< stand an einem Bahnhof. Und schon wurde es von neuem dunkel.
»Jetzt fahren wir durch den Sankt Gotthard«, erklärte der Professor. »Mindestens zehn Minuten lang. Und wenn wir drüben in Airolo wieder aus dem Berg herauskommen, scheint die Sonne.«
»Bist du sicher?«
»Nein.«
Trotzdem behielt der Jokus Recht. Als sie zehn Minuten später aus der Finsternis auftauchten, mussten sie vor lauter Sonnenschein erst einmal die Augen zukneifen. Der Himmel schimmerte blitzblau. Die Reisenden strahlten. Und der Zug selber freute sich auch. Denn nun ging es endlich bergab. Tiefer und tiefer. Schneller und schneller. Bunt bemalte Häuser sausten vorbei. Auf den Balkonen wiegte sich Wäsche, die in der Sonne trocknen sollte.