». dann meinetwegen auf eure acht Buchstaben .«
»Wir sitzen schon, o Herr«, flötete Rosa. »Nicht nur auf vier oder acht Buchstaben, sondern auf dem ganzen Alphabet. Mäx-chen auf dem kleinen, und ich .«
»Ruhe!«, befahl der Professor. »Ich habe vorhin mit Alaska telefoniert. Mit einer Mrs. Jane Simpson. Es sei lebenswichtig, hatte in ihrem Telegramm an Brausewetter gestanden, der mich heute früh anrief. Lebenswichtig, was konnte das bedeuten? Ihr Mädchenname sei Hannchen Pichelsteiner. Ich meldete sofort ein Gespräch an, schützte Kopfschmerzen vor, schluckte zwei scheußliche Tabletten und bat euch spazieren zu fahren.«
Rosa saß auf dem Sofa. Mäxchen saß auf der Sofalehne. Und sie schwiegen um die Wette.
»Vor etwa einer Stunde kam die Verbindung zustande. Ich habe mich mit Mrs. Simpson lange unterhalten, und sie versprach mir, sofort die Koffer zu packen. Morgen überweise ich ihr telegrafisch das Reisegeld, und wenn alles gut geht, werden wir mit den beiden Silvester feiern.«
»Mit den beiden?«, fragte Rosa. »Wieso mit den beiden?«
»Mrs. Simpson hat eine Tochter. Miss Emily Simpson ist neun Jahre alt, und wir könnten sie, wenn sie damit einverstanden ist,
Emilie nennen. Oder Miss Emil. Uns wird schon etwas Unpassendes einfallen.«
Mäxchen saß wie versteinert.
»Sie haben uns auf dem Bildschirm gesehen und den ganzen Abend geweint«, erzählte der Professor. »Mrs. Simpson scheint eine kleine unglückliche Frau zu sein.«
»Wie klein?«, flüsterte Mäxchen.
»Fünfzig Zentimeter groß.«
»Und wie unglücklich?«, fragte Rosa.
»Ihr gefiel es nicht in Pichelstein. Damit fing es an, und deshalb lief sie vor zehn Jahren bei Nacht und Nebel davon. Sie wollte keinen Pichelsteiner, sondern einen richtigen großen Mann haben. Und große Kinder. Dreimal so groß, wie sie selber war. >Guten Tag<, sollten die Leute zu ihren Kindern sagen, >wer ist denn die kleine Frau, die ihr an der Hand haltet?< >Ach, das ist doch unsere Mutti<, sollten die Kinder vergnügt antworten. Das war damals Hannchen Pichelsteiners sehnlichster Wunsch. Sie fuhr als blinder Passagier auf einem Transportdampfer bis nach Kanada. Der Matrose, der sie versteckt hatte, wurde vom Kapitän erwischt und gefeuert. Und weil der Matrose, der Simpson hieß, ein richtiger großer Mann war, heirateten sie. Er fand Arbeit als Packer in einer Konservenfabrik. Dann ließ er sich von einem Agenten für eine Pelztierfarm in Alaska anwerben. Dort bekam Mrs. Simpson eine Tochter. Und am nächsten Tag verschwand Mister Simpson. Er ist nie wieder aufgetaucht.«
»Das verstehe ich nicht«, meinte Rosa. »War er denn so sehr enttäuscht, dass es kein Junge war? Mädchen können doch auch ganz nett sein. Ich zum Beispiel .«
Doch sie brachte ihren Satz nicht zu Ende. Denn Mäxchen riss sich an den Haaren und rief: »Lieber, lieber Jokus, nun erzähle mir endlich, wie groß die Tochter ist! Ich halte es nicht länger aus!«
»Du hast es ja schon erraten«, sagte der Jokus und lächelte.
»Ist sie wirklich . ?«
»Sie ist wirklich ganz genauso klein wie du.«
Von diesem denkwürdigen Abend ließe sich noch allerlei berichten. Doch ich tue es nicht. Es gibt, finde ich, Augenblicke, in denen der Erzähler auf Zehenspitzen aus dem Zimmer gehen und seine Romanfiguren allein lassen sollte. Er schließt hinter sich die Tür, lauscht noch eine Weile und spaziert dann, an der schimmernden >Villa Glühwürmchen< vorbei, bis zur Terrasse und blickt auf Lugano hinunter. Welch ein Glanz und Geglitzer!
>Miss Emily heißt das daumenlange Mädchen<, denkt er, während er hinunterblickt. >Ob sie so hübsch und gescheit wie Mäx-chen ist?<, fragt er sich bekümmert. >Aber Emily oder Emilie, nein, das passt nicht. Mäxchen und Emily? Nein. Mäxchen und Emilie? Nein. Mäxchen und ...< Plötzlich ruft er: »Ich hab’s! Mäxchen und Mielchen!« Und damit beginnt .
Das neunte und letzte Kapitel
Freundschaft auf den ersten Blick /Mielchen kocht Quatsch mit Soße< / Mrs. Simpson will fort und bleibt / Was sind männliche Knopflöcher? / Polterabend und Aschermittwoch / Mäxchen und Mielchen sagen nicht, worüber sie gelacht haben.
Als Mrs. Jane Simpson (aus Fairbanks, Alaska) in Kloten bei Zürich aus dem Flugzeug stieg und an der Sperre ihren Pass stempeln ließ, wunderte sich kein Mensch, dass sie nur fünfzig Zentimeter groß war. Auf internationalen Flugplätzen hat man sich das Wundern längst abgewöhnt.
Sogar wenn jemand mit zwei Köpfen ankäme oder ganz und gar ohne Kopf, auch dann gäbe es nicht die mindeste Aufregung. Wenn im Pass unter der Rubrik >Besondere Kennzeichen< >zwei Köpfe< oder >kopflos< stünde, wäre alles in bester Ordnung.
Wie gesagt, über die bloß einen halben Meter große Mrs. Simpson in ihrem Mantel aus Seehundfell wunderte sich niemand. Es bemerkte auch keiner, wie sie dem Jokus rasch und ängstlich etwas in die Hand drückte und wie er dieses Etwas behutsam in die Brusttasche steckte. Erst danach fand die förmliche Begrüßung statt. Mrs. Simpson hatte vor lauter Dankbarkeit Tränen in den Augen. Rosa Marzipan meinte munter, das sei übertrieben. Und der Professor winkte einem Taxi.
Nun steckten also zwei Däumlinge in seiner Brusttasche, hoffentlich haben sie genügend Platz<, dachte er. >Ich muss mit meinem Schneider darüber sprechen.< Dann reckte er den Hals, drehte die Augen nach unten und versuchte, sich in die eigne Brusttasche zu blicken. Er sah Mäxchens Wuschelkopf und, gleich daneben, eine winzige Pferdeschwanzfrisur mit einem roten Samtbändchen. Das war also Miss Emily Simpson.
Der kleine Mann und die kleine Miss staunten einander an und sagten kein einziges Wort, doch dann lächelten beide. Später spürte Mäxchen, wie sich eine Hand in seine Hand schob. Da drückte er herzhaft zu.
Es war Freundschaft auf den ersten Blick, und das ist ja auch kein Wunder. Das große Los zieht man nicht alle Tage, sondern nur einmal im Leben, und nicht einmal das ist ganz sicher. Die meisten ziehen Nieten, oder sie erwischen mit Ach und Krach einen Trostpreis. Doch wir wollen nicht neidisch sein. Neid verdirbt den Teint.
Im Zug nach Lugano waren sie immer noch sehr scheu und schüchtern. Eigentlich hatte Mäxchen mit ihr zusammen die vielen Tunnels zählen wollen. Aber dann traute er sich doch nicht, den Mund aufzumachen. Ihm war zumute, als habe man ihm ein Heftpflaster draufgeklebt.
Erst in dem zehn Minuten langen Gotthardtunnel fasste er sich ein Herz. »Ich werde dich Mielchen nennen«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Da lachte sie leise und flüsterte: »Mäxchen und Mielchen, das klingt hübsch.«
»Und Mielchen und Mäxchen«, sagte er, »das klingt noch hübscher. Außerdem ist es höflicher.«
Sie kicherte. »Du bist ein regelrechter Gentleman.«
In diesem Augenblick fuhr der Zug aus dem Tunnel mitten in die südliche Sonne hinein. Sie blinzelten und lächelten. »So schön kann es also sein«, sagte Mielchen und wunderte sich. Glück war ihr völlig neu.
Am nächsten Abend feierten sie Silvester. Tags darauf feierten sie das neue Jahr. Und auch die Wochentage, die dann folgten, sahen Feiertagen zum Verwechseln ähnlich. Natürlich schlug man nicht in einem fort Kobolz. Und Mielchen und Mäxchen hopsten auch nicht pausenlos im Weihnachtsbaum herum. Schon deswegen nicht, weil die kleine Miss leicht schwindlig wurde. Als Mäxchen mit ihr auf der Taube Emma ein paar Runden gedreht hatte, musste sie sich eine Viertelstunde hinlegen.
»Schade«, sagte Mäxchen, »eine Artistin wirst du nicht.«
»Es muss auch Zuschauer geben«, meinte Mielchen. Und ich halte es für ausgeschlossen, dass zu diesem Thema Treffenderes zu sagen wäre. Wenn sie in der >Villa Glühwürmchen< kochte, war die kleine Miss völlig schwindelfrei. Sie kochte, backte und briet, dass es nur so rauchte. Und wenn sie wirklich nicht mehr weiterwusste, rief sie von dem kleinen Telefon aus ihre Mutter an, die in der großen Villa für die Großen kochte.