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»Natürlich bleibt sie hier«, sagte der Jokus. »Mäxchen würde uns den Kragen umdrehen, wenn Mielchen nicht bliebe. Aber warum fragen Sie?«

Rosa Marzipan beugte sich vor. »Sie wollen doch nicht etwa ...?«

»Doch, ich will fort. Ich bin ein überflüssiger Mensch. Nicht einmal das Kind wird mich vermissen.«

»Das glauben Sie ja selber nicht«, meinte der Jokus. »Kein Quadrat ist rund und keine Mutter ist überflüssig.«

»Sie müssen bleiben«, sagte Rosa. »Nicht nur Mielchen zuliebe, sondern auch wegen Ihrer Semmelknödel.«

»Außerdem muss jemand das große und das kleine Haus hüten, während wir mit dem Zirkus unterwegs sind.« Der Jokus zündete sich eine Zigarette an. »Wir wollen uns doch noch nicht endgültig zur Ruhe setzen. Kurz und gut, meine liebe Mrs. Simpson, Sie bleiben, weil wir Sie brauchen, und damit basta!«

Die Aussprache hatte Mielchens Mutter gut getan. Das merkte man schon nach ein paar Tagen. Sie war nicht mehr so schüchtern und niedergedrückt wie zu Anfang. Es kam sogar vor, dass sie lächelte, wenn die anderen lachten, und da sah man erst, wie hübsch sie eigentlich war.

Einmal holte Rosa den Jokus aus dem Arbeitszimmer, legte den Finger vor den Mund und machte an der Küchentür Halt. Sie hörten Tellergeklapper, weil Mrs. Simpson das Geschirr abwusch, aber sie hörten noch etwas. Sie sang!

Da schlichen sie wieder ins Arbeitszimmer zurück, und der Professor sagte: »Na also. Das hätten wir geschafft. Sie ist über den Berg.«

»Und morgen schleppe ich sie zum Friseur«, teilte Rosa Marzipan mit. »Eine neue Frisur verleiht uns Frauen neue, ungeahnte Kräfte.«

Am selben Abend, gleich nach dem Essen, sagte Mrs. Simpson, sie wolle Rosa und Mielchen etwas zeigen. So kam es, dass der Jokus und Mäxchen allein waren.

»Eine günstige Gelegenheit für ein Gespräch unter Männern«, meinte der Jokus.

Mäxchen fühlte sich geehrt. »Ich bin ganz Ohr.«

»Du hast Mrs. Simpson in den letzten Tagen so unverhohlen wütend angestarrt, dass ich dachte, du wolltest ihr den Kopf abbeißen.« Weil der Junge schwieg, fuhr der Professor fort: »Vermutlich hast du ein paar Dinge aus Fairbanks erfahren. Zum Beispiel über Ladenstuben. Und sicher hast du geschworen, den Mund zu halten.«

Mäxchen schwieg noch immer.

»Halte dein Wort und halte den Mund«, sagte der Jokus. »Das ist völlig in Ordnung. Ich habe aber niemandem Stillschweigen versprochen. Deshalb darf ich wenigstens zu dir über Mielchens Mutter sprechen. Du tust ihr Unrecht.«

»Nein!«, rief Mäxchen empört. Er zitterte vor Zorn.

»Doch, doch«, sagte der Jokus. »Vor ein paar Tagen hat sie uns alles erzählt. Hier in diesem Zimmer.«

»Weil sie ein schlechtes Gewissen hatte.«

»Ganz sicher. Aber auch, weil sie fortwollte.« »Fort? Wohin denn?«

»Ich weiß es nicht. Und sie wusste es ebenso wenig.«

»Mit Mielchen?« Mäxchen war sehr blass geworden.

»Nein«, sagte der Jokus. »Allein. Sie sei ein überflüssiger Mensch.«

»Und warum ist sie .?«

»Warum sie nicht fortgegangen ist? Weil ich ihr befohlen habe hier zu bleiben.«

Damit war das ernste Männergespräch zu Ende. Denn das Marzipanfräulein und Mrs. Jane Simpson kamen ins Zimmer, setzten sich und schienen recht vergnügt zu sein. Der Junge blickte von einer zur anderen und fragte: »Wo ist denn Mielchen?«

Da legte Mrs. Simpson eine halb offene Streichholzschachtel auf den Tisch. In der Streichholzschachtel lag die kleine Miss und schlief.

Das heißt, sie tat nur so, als ob sie schliefe. Und Mäxchen tat, als ärgere er sich. »Das ist ja der Gipfel«, schimpfte er. »Wenn man einer Frau den kleinen Finger gibt, nimmt sie gleich die ganze Schachtel! Und was hat die freche Person an? Einen meiner Pyjamas! Man merkt es ganz deutlich an den männlichen Knopflöchern.«

»Um alles in der Welt, was sind denn männliche Knopflöcher?«, fragte der Jokus.

»Wir Männer haben die Knopflöcher links und die Knöpfe rechts. Und die Frauen erkennt man daran, dass es bei ihnen genau umgekehrt ist«, erklärte Mäxchen eifrig. »Also hat sie den Schlafanzug gestohlen. Ich rufe die Funkstreife.«

Da setzte sich Mielchen mit einem Ruck hoch. Ihre Augen blitzten vor Übermut. »Aber die Streichholzschachtel ist meine eigne Schachtel, und die Matratze, das Plumeau und die Kissen hat meine Mutter extra für mich genäht. Merk dir das, du . du ... du männliches Knopfloch!« Und dann streckte sie ihm, man sollte es nicht für möglich halten, die Zunge heraus. »Bäh!«

Mäxchen wollte sich nicht lumpen lassen. Doch der Jokus hielt ihm den Mund zu und sagte: »Morgen bestelle ich mir beim Schneider ein Jackett mit zwei Brusttaschen, einer auf der linken und einer auf der rechten Seite, damit ihr euch wenigstens nicht zanken könnt, wenn wir unterwegs sind.«

»Da hast du’s«, meinte der Professor später, als er sich voller Wohlbehagen im Bett ausstreckte. »Sie ist gar keine schlechte Mutter. Sie hatte vor lauter Freude rote Backen.«

Mäxchen, der in seiner Streichholzschachtel saß, nickte. »Einmal hat sie sogar ganz richtig gelacht.«

»Seit neun Jahren wahrscheinlich zum ersten Male. Ihr beiden wart aber auch sehr ulkig«, sagte der Jokus. »Merkwürdig, mir ist, als lebte dieses Mädchen schon seit einer Ewigkeit bei uns. Dabei haben wir sie doch erst vor einer Woche am Flugplatz abgeholt! Rosa begreift es genauso wenig.«

Plötzlich machte es >Klick<, und sie lagen im Dunkeln. Der Junge hatte die Lampe ausgeknipst.

»Nanu, bist du denn schon müde?«, fragte der Jokus.

»Nein.«

»Sondern?«

»Ich bin über Mielchen sooo froh, dass ich’s bei elektrischem Licht gar nicht sagen könnte. Nicht einmal dir.«

Sie lagen eine ganze Weile still. Vorm Fenster zauste der Wind die Zypressen. Es war der Südwind, der aus Italien kam und über die Alpen nach Norden wollte, wo es seine Leibspeise gab: frisch gefallenen Schnee.

Der Jokus glaubte schon, der Junge sei eingeschlafen.

Doch mit einem Male fing Mäxchen wieder zu reden an. »Da ist noch etwas. Noch ein Gespräch ohne Licht. Hörst du zu?«

»Freilich.«

»Ich weiß, warum ihr nicht geheiratet habt.«

»So?«

»Mir zuliebe. Ich tat euch Leid. Ihr dachtet, ich käme mir sonst zu einzeln vor.«

»Werde nicht melodramatisch«, warnte der Jokus. »Sonst knipse ich die Lampe an.«

»Bitte nicht!«

»Na schön. Ich frage dich also im Dunkeln: Warum glaubst du, wir hätten deinetwegen nicht geheiratet?«

»Weil es wahr ist«, erklärte Mäxchen. »Du hast es selber gesagt: zweimal, als der Zirkus in Glasgow gastierte, einmal in London, zweimal im Schloss von Breganzona und einmal hier, in der Silvesternacht.«

»Da hört doch alles auf«, meinte der Jokus. »Dass du schwindelst, ist schon hart genug. Dass du dabei aber auch noch mit Orts- und Zeitangaben um dich wirfst .«

»Du sprichst nämlich im Schlaf!«, sagte Mäxchen laut. Kein Wort weiter. Aber das genügte. Daraufhin war es lange Zeit sehr still. Wenigstens in dem dunklen Zimmer. Draußen rumorte der Südwind heftiger als zuvor. Die Bäume bogen sich und stöhnten und seufzten, als hätten sie Rückenschmerzen. In der Ferne pfiff ein Zug.

Schließlich seufzte der Jokus, als habe auch er Rückenschmerzen, und sagte: »Ab morgen stopfe ich dir jeden Abend vorm Schlafengehen Watte in die Ohren.«

Mäxchen lachte leise. »Wozu denn?«, fragte er. »Seit Mielchen da ist, bin ich ja nicht mehr einzeln! Jetzt könnt ihr doch heiraten, ohne dass euch das Gewissen beißt! Mielchen ist ganz meiner Meinung.«