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Mister Drinkwater seufzte erleichtert auf.

»Wir werden uns bei den Filmaufnahmen große Mühe geben«, rief Mäxchen. »Und wenn der Film fertig ist, setzen wir uns zur Ruhe.«

Direktor Brausewetter erschrak bis in die Schnurrbartspitzen. »Sie wollen meinen Zirkus im Stich lassen?«

»Der Junge übertreibt«, meinte der Jokus. »Aber zwei Monate Ferien machen wir bestimmt.«

Nun werdet ihr wahrscheinlich wissen wollen, was auf dem Zettel stand. Ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen. Der Professor zeigte ihn mir in Lugano, während wir auf der Terrasse Bowle tranken und auf das große Feuerwerk warteten. Also, auf dem Zettel stand:

2000000 Dollar! In DM umgerechnet sind das ... Doch das kriegt ihr auch ohne mich heraus. Jedenfalls, eine so große Menge Geld verdient man nicht alle Tage. Auch nicht als Zauberkünstler und als kleiner Mann. Von Luftspringerinnen ganz zu schweigen.

»Dass mir die Filmrechte gehören, weiß ich nun«, sagte Mister Drinkwater. »Und was ich Ihnen zahlen muss, weiß ich leider auch. Doch was in Ihrem verflixten Kuvert steht, das weiß ich noch nicht. Darf ich nachsehen?«

»Selbstverständlich«, erwiderte der Jokus.

»Au Backe!«, meinte Mäxchen.

Das Marzipanfräulein lächelte geheimnisvoll wie eine blonde Sphinx. Direktor Brausewetter hüpfte hoch und trabte hinter Drinkwaters Stuhl. Diesmal zitterte er nicht vor Schreck, sondern vor lauter Neugierde. Er zitterte oft und gern.

Der Amerikaner riss das Kuvert auf, holte einen Zettel heraus, faltete ihn auseinander und erstarrte.

Direktor Brausewetter, der ihm über die Schulter sah, verdrehte die Augäpfel und flüsterte: »Ich falle um.« Aber dann fiel er doch nicht um, weil er sich rechtzeitig an Mister Drinkwaters Lehnstuhl, nein, an dessen Stuhllehne festhielt. Er ging nur ein bisschen in die Knie.

Der Filmgewaltige aus den USA merkte das gar nicht. Er saß noch immer starr im Stuhl wie eine Wachsfigur in einem Wachsfigurenkabinett.

Und nun werdet ihr wissen wollen, was auf diesem zweiten Zettel stand. Auch ihn habe ich in Lugano mit eignen Augen gesehen. Mister Drinkwater hatte ihn nicht behalten wollen. Eine solche Blamage, hatte er geäußert, müsse man sich nicht auch noch einrahmen und übers Sofa hängen. Na ja, ich kann ihn verstehen. Denn der Zettel, den er aus dem versiegelten Kuvert herausgefingert hatte, sah folgendermaßen aus:

Mit anderen Worten: Der Zettel war leer! Es stand keine Zahl darauf. Es stand keine Unterschrift unter der Zahl, die nicht daraufstand. Nichts. Es war der leerste Zettel, der jemals in ein Kuvert gesteckt wurde.

Und es dauerte etwa fünf Minuten, bis sich die Wachsfigur namens John F. Drinkwater bewegte. Sie klapperte mit den Augendeckeln. Das war das erste Lebenszeichen.

»Er wird wieder«, stellte Mäxchen fest.

Nach weiteren zwei Minuten war der Amerikaner endlich sprechbereit. »Ich bin ein Esel«, sagte er zornig. »Ich hätte mir eine der zwei Millionen sparen können, und dann wären Sie immer noch gut weggekommen. Ein leerer Zettel! Ihr Mister Goethe war ein gescheiter Teufel, wie der Mephisto in seinem >Faust<.«

Der Jokus lächelte. »Ein gescheiter Teufel war unser Mister Goethe nur zur Hälfte. Außerdem: Das Kuvert und der Zettel stammen zwar von ihm, aber der Einfall, auf den Zettel überhaupt nichts zu schreiben, der stammt von mir selber.«

»Meinen Respekt«, sagte Drinkwater verärgert. »Aber wenn ich nun auf meinen eigenen Zettel, beispielsweise, nur zehn- oder zwanzigtausend Dollar geschrieben hätte?«

»Das hätten Sie nie getan«, meinte Rosa Marzipan. »Sie wollten ja unbedingt die Filmrechte haben.«

Drinkwater nickte. »Das ist richtig, Rosie. Trotzdem. Nehmen wir an, ich hätte es riskiert. Ich bin ein ziemlich guter Pokerspieler.«

»Und ich bin ein ziemlich guter Zauberkünstler«, stellte der ’ Jokus fest. »Wir wussten natürlich nicht, wie hoch Sie bieten würden. Denn wir sind Laien. Wenn Sie uns aber nur ein Trinkgeld geboten hätten, dann hätte ein anderes Kuvert auf dem Tisch gelegen.«

»Ein anderes Kuvert? Wo hätten Sie das denn so schnell hergenommen?«

»Ach sind Sie komisch«, rief Mäxchen und zog sich vor Vergnügen an den Haaren. »Es liegt doch längst vor Ihrer Nase!«

Mister Drinkwater blickte auf den Tisch. Tatsächlich. Vor seiner Nase lag ein zweites versiegeltes Kuvert. Er bückte es an, als sei er, trotz seiner Körperlänge (1,90 m), ein Kaninchen und das Kuvert eine Klapperschlange.

»Schauen Sie nach«, schlug der Jokus vor. »Lassen Sie sich nicht stören.«

Mister Drinkwater riss das zweite Kuvert auf, zog den Zettel heraus und wurde weiß wie die Wand. »Da ... das ist doch unmöglich! So viel Geld gibt’s ja gar nicht!«

Der Professor nickte. »Wenn ich gemerkt hätte, dass Sie viel zu wenig böten, hätte ich viel zu viel verlangt. Damit wären unsere Verhandlungen .«

». geplatzt!«, rief Mäxchen fröhlich.

»Und wir hätten auf einen solideren Käufer gewartet«, fügte Rosa Marzipan hinzu.

»Sie sind ein raffiniertes Trio«, sagte Drinkwater. »Und wenn Sie während der Filmaufnahmen nur halb so gut sein sollten wie heute, wird der Film ein Meisterwerk.«

»Er wird eines. Wollen wir wetten?«, fragte Mäxchen.

Drinkwater hob abwehrend die Hände. »Wetten? Mit einem so gerissenen Kerlchen wie dir? Ich werde mich hüten. So reich bin ich nicht.«

»Aber ich bin jetzt reich«, sagte Mäxchen stolz. »Darf ich Sie zu einem Ananastörtchen einladen?«

»Pfui Spinne! Ananastörtchen! Ein doppelter Whisky wäre mir wesentlich lieber.«

»Geht in Ordnung«, meinte Mäxchen. »Nur eines verstehe ich nicht: wieso ein Mann, der so gerne Whisky trinkt, ausgerechnet Drinkwater heißt.«

Eigentlich wollte ich ja im dritten Kapitel noch über das Unternehmen Dornröschen< berichten. Doch die Affäre mit den drei Zetteln und den zwei Kuverts hat mich länger aufgehalten, als ich dachte. Und allzu lange Kapitel mag ich nicht. Deshalb beginnt nun .

Das vierte Kapitel

Das Unternehmen Dornröschen /HauptwachtmeisterMühlen-schulte erinnert sich dunkel / Der Kahle Otto hat wieder einmal Durst / Was soll das Klavier in der Luft? / Kommissar Steinbeiß packt die Koffer / Zirkus Stilke gastiert in Glasgow und London.

In der Nacht, die diesem Tag folgte, geschah ein Aufsehen erregender Überfall. Er vollzog sich lautlos. Die Täter entkamen unerkannt. Sie raubten weder Geld noch Pelze oder Juwelen. Sie raubten zwei Gefangene. Sie überfielen kein Schmuckgeschäft und kein Bankgebäude. Sie überfielen das Untersuchungsgefängnis.

Das war natürlich eine bodenlose Frechheit. Doch außerdem war es etwas Neues. Und Presse, Funk und Tagesschau knöpften sich die Neuigkeit gründlich vor. Aber das war später und überhaupt zu spät. Man konnte nur noch lachen oder schimpfen.

Der Polizeipräsident schimpfte. Der Gefängnisdirektor trat von seinem Posten zurück. Und Kriminalkommissar Steinbeiß ließ sich beurlauben. Aber was half’s? Die Polizei fühlte sich bis auf die Knochen blamiert.

Dabei hatte der Gefängnisdirektor den Überfall immerhin als Erster entdeckt. Allerdings, schätzungsweise, sechs bis sieben Stunden danach. Aber das war nicht seine Schuld. Denn Doktor Heublein, so hieß er, wohnte ja nicht im Gefängnis, sondern in einem Vorort der Stadt.

Es wird am besten sein, wenn ich alles der Reihe nach erzähle. Das ist noch immer die richtige Methode. Neu ist sie nicht, nein. Doch wozu auch? Neues muss nicht immer richtig und Richtiges muss nicht immer neu sein.

Also: Herr Doktor Heublein fuhr, wie jeden Morgen, Punkt acht Uhr am Gefängniseingang vor und hupte dreimal, damit man ihm das Tor aufschließe. Aber es öffnete niemand. Er wartete und hupte wieder. Nichts rührte sich. Das war noch nie vorgekommen.