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»Ja, Meister«, murmelten sie. Als das Licht des Stabs auf sie fiel, wurden die Umrisse von schwarzen Roben sichtbar.

Als Raistlin in den Korridor trat, verschloß er sorgfältig die Tür zum Arbeitszimmer hinter sich. Er klammerte sich an den Stab, sprach leise einen Befehl und wurde unverzüglich in das Laboratorium oben im Turm der Erzmagier befördert.

Er hatte noch nicht einen Atemzug getan und materialisierte sich gerade aus der Dunkelheit, als er angegriffen wurde.

Zorniges Gekreisch und Geheul ertönte um ihn. Dunkle Formen schossen aus der Luft, trotzten dem Licht des Stabes, während knochenweiße Finger nach seiner Kehle griffen, seine Roben packten und den Stoff zerrissen.

Raistlin schwang den Stab in einen weiten Bogen und schrie heisere Worte der Magie, um die Geister zurückzutreiben. »Sprecht zu ihnen!« befahl er den zwei Wächtern, die bei ihm waren. »Sagt ihnen, wer ich bin!«

»Fistandantilus«, hörte er sie durch ein Tosen in seinen Ohren sagen, »obgleich seine Zeit noch nicht gekommen ist, wie vorhergesagt wurde...«

Geschwächt taumelte Raistlin zu einem Stuhl und ließ sich auf ihn fallen. Sich bitter verfluchend, daß er auf den Angriff nicht vorbereitet gewesen war, und seinen zerbrechlichen Körper verwünschend, der ihn im Stich ließ, wischte er Blut von einer Schnittwunde in seinem Gesicht und rang darum, das Bewußtsein nicht zu verlieren.

Das ist dein Tun, meine Königin! Seine Gedanken kamen durch einen Schmerzensnebel. Du wagst nicht, mich offen zu bekämpfen. Ich bin zu stark für dich auf dieser meiner Existenzebene. Du hast bereits den Fuß auf diese Welt gesetzt. Gerade jetzt erscheint der Tempel in seiner entstellten Form in Neraka. Du hast die bösen Drachen geweckt. Sie stehlen die Eier der guten Drachen. Aber die Tür bleibt verschlossen, der Grundstein wird durch eine sich selbst aufopfernde Liebe blockiert. Und das war dein Fehler. Denn jetzt, durch dein Eintreten auf unsere Ebene, hast du es uns ermöglicht, deine zu betreten! Ich kann dich noch nicht erreichen, du kannst mich nicht erreichen... Aber die Zeit wird kommen...

»Geht es dir nicht gut, Meister?« ertönte eine verängstigte Stimme neben ihm. »Es tut mir leid, daß wir sie nicht davon abbringen konnten, dir zu schaden, aber du hast dich zu schnell bewegt! Bitte, verzeih uns. Laß uns dir helfen...«

»Ihr könnt nichts tun!« fauchte Raistlin und hustete. Er fühlte den Schmerz in seiner Brust nachlassen. »Laßt mich in Frieden, laßt mich ausruhen! Vertreibt diese anderen von hier!«

»Ja, Meister.«

Raistlin schloß die Augen und wartete darauf, daß der fürchterliche Schwindel und Schmerz aufhörte. Er saß eine Stunde in der Dunkelheit und ging seine Pläne durch. Er brauchte zwei Wochen der ungestörten Ruhe und des Studiums, um sich vorzubereiten. Diese Zeit würde er hier mühelos finden. Crysania gehörte ihm – sie würde ihm bereitwillig folgen und die Macht Paladins herabflehen, ihr beim Öffnen des Portals zu helfen und ihre schauderhaften Wächter zu bekämpfen.

Er verfügte über das Wissen von Fistandantilus, über das jahrhundertelang angehäufte Wissen des Magiers. Zusätzlich hatte er sein eigenes Wissen und die Stärke seines jüngeren Körpers. Wenn er zum Eintreten bereit war, hatte er den Gipfel seiner Kräfte erreicht – er war dann der größte Erzmagier, der jemals auf Krynn gelebt hatte!

Der Gedanke tröstete ihn und verlieh ihm erneute Energie. Der Schwindel löste sich schließlich auf, und der Schmerz schwand. Er erhob sich und warf einen schnellen Blick in das Laboratorium. Er erkannte es natürlich. Es sah genauso aus, wie er es damals in einer Vergangenheit betreten hatte, die jetzt zweihundert Jahre in der Zukunft lag. Dann würde er mit Macht kommen – wie vorausgesagt. Die Tore würden sich öffnen, die Wächter würden ihn ehrfürchtig grüßen und nicht angreifen.

Als er mit dem Stab des Magus in der Hand durch das Laboratorium ging, sah er sich neugierig um. Er bemerkte seltsame, verwirrende Veränderungen. Alles sollte genau so sein wie in der Zeit, wenn er zweihundert Jahre später eintreffen würde. Aber ein jetzt unversehrter Rechner war zerbrochen gewesen, als er ihn gefunden hatte. Ein Zauberbuch, das nun auf dem großen Steintisch ruhte, hatte er auf dem Boden entdeckt.

»Bringen die Wächter Dinge in Unordnung?« fragte er die zwei, die bei ihm waren. Seine Roben raschelten um seine Knöchel, als er zum äußersten Ende des riesigen Laboratoriums ging, zu der Tür, die niemals offen stand.

»O nein, Meister«, sagte einer schockiert. »Uns ist nicht gestattet, etwas anzurühren.«

Raistlin zuckte die Achseln. In zweihundert Jahren konnte eine Menge passieren. Vielleicht ein Erdbeben, sagte er sich und verlor das Interesse an dieser Angelegenheit, als er den Schatten erreichte, der von dem riesigen Portal geworfen wurde.

Den Stab des Magus erhebend, ließ er das magische Licht über seinem Kopf leuchten. Die Schatten flüchteten in die weitentlegene Ecke des Laboratoriums, die Ecke, wo sich das Portal mit seinen Platinschnitzereien der fünf Drachenköpfe und seiner riesigen Silberstahltür befand, die sich von keinem Schlüssel auf Krynn aufschließen ließ.

Raistlin hielt den Stab hoch.

Lange Zeit konnte er lediglich starren, sein Atem kam pfeifend, seine Gedanken glühten und brannten. Dann riß sich sein schriller Schrei schäumenden Zornes durch die lebende Dunkelheit des Turms.

So furchterregend war der Schrei, der durch die dunklen Korridore des Turms hallte, daß die bösen Wächter in ihre Schatten zurückwichen und sich fragten, ob vielleicht ihre gefürchtete Königin angekommen sei.

Caramon hörte den Schrei, als er an die Tür unten am Turm trat. Vor plötzlichem Entsetzen erbebend, ließ er die Pakete fallen, die er trug, und mit zitternden Händen zündete er eine Fackel an, die er mitgebracht hatte. Mit der blanken Klinge seines neuen Schwertes in der Hand eilte der große Krieger die Stufen hinauf und nahm immer zwei auf einmal. Er stürzte in das Arbeitszimmer und sah Crysania, die sich ängstlich umblickte.

»Ich habe einen Schrei gehört...«, sagte sie, rieb sich die Augen und erhob sich.

»Ist alles mit dir in Ordnung?« keuchte Caramon.

»Ja«, sagte sie mit einem verwirrten Blick, als sie erkannte, was er gedacht hatte. »Ich war es nicht. Ich muß eingeschlafen sein. Ich bin von dem Geschrei wach geworden...«

»Wo ist Raist?« herrschte Caramon sie an.

»Raistlin?« wiederholte sie beunruhigt.

»Darum hast du geschlafen«, sagte er grimmig und strich feines, weißes Pulver aus ihrem Haar. »Schlafzauber.«

Crysania blinzelte. »Aber warum...«

»Das werden wir herausfinden.«

»Krieger«, sagte eine kalte Stimme fast in seinem Ohr.

Caramon wirbelte herum und hob sein Schwert, als eine Geistergestalt sich aus der Dunkelheit materialisierte.

»Du suchst den Zauberer? Er ist oben im Laboratorium. Er benötigt Beistand, und uns wurde befohlen, ihn nicht zu berühren.«

»Ich gehe«, sagte Caramon, »allein.«

»Ich komme mit dir«, sagte Crysania.

Caramon wollte Einwände erheben, aber als er sich dann erinnerte, daß sie eine Klerikerin Paladins war, zuckte er die Schultern und gab, wenn auch widerwillig, nach.

»Was ist mit ihm geschehen, wenn euch befohlen wurde, ihn nicht zu berühren?« fragte Caramon die Geistererscheinung schroff, als er und Crysania ihr aus dem Arbeitszimmer in den dunklen Korridor folgten. »Bleib dicht bei mir«, murmelte er Crysania zu.