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Wenn die Dunkelheit zuvor lebendig zu sein schien, so pochte und pulsierte sie jetzt vor Leben, als die Wächter, aufgebracht durch den Schrei, durch die Korridore drängten. Obgleich er inzwischen warm angezogen war, da er auf dem Markt Kleidung gekauft hatte, zitterte Caramon krampfhaft von der Eiseskälte, die aus den untoten Körpern strömte.

Neben ihm schüttelte sich Crysania so, daß sie kaum laufen konnte. »Laß mich die Fackel halten«, sagte sie.

Caramon reichte ihr die Fackel, dann legte er seinen rechten Arm um sie. Beide fanden Trost in der Berührung, als sie hinter der Geistererscheinung die Stufen hinaufstiegen.

»Was ist geschehen?« fragte Caramon wieder, aber der Geist gab keine Antwort. Er zeigte lediglich auf die Wendeltreppe.

Sein Schwert in der linken Hand haltend, folgte Caramon mit Crysania dem Geist, der die Stufen hochschwebte; das Licht der Fackel tanzte und flackerte.

Nach einer scheinbar endlosen Kletterei erreichten die zwei die Spitze des Turms der Erzmagier.

»Wir müssen uns ausruhen«, sagte Caramon.

Crysania lehnte sich an ihn, ihre Augen waren geschlossen, ihr Atem kam mühsam: »Wo ist Raist – Fistandantilus?« stammelte sie, als sie wieder halbwegs normal atmen konnte.

»Hier drin.« Der Geist zeigte auf eine geschlossene Tür. Diese öffnete sich lautlos.

Kalte Luft strömte in einer dunklen Welle aus dem Zimmer, zerzauste Caramons Haar und wirbelte Crysanias Umhang beiseite. Einen Augenblick konnte sich Caramon nicht rühren. Das Gefühl des Bösen, das aus dieser Kammer kam, war überwältigend. Aber Crysania, die ihre Hand entschlossen um das Medaillon von Paladin hielt, begann weiterzugehen.

Caramon zog sie zurück. »Laß mich zuerst gehen.«

Crysania lächelte ihn erschöpft an. »In jeder anderen Situation, Krieger«, sagte sie, »würde ich dir dieses Vorrecht einräumen. Aber hier ist das Medaillon in meiner Hand eine ebenso furchteinflößende Waffe wie dein Schwert.«

»Ihr habt überhaupt keine Waffe nötig«, bemerkte der Geist kalt. »Der Meister hat uns befohlen, Sorge zu tragen, daß euch nichts zustößt. Wir gehorchen seinem Wunsch.«

»Was ist, wenn er tot ist?« fragte Caramon, der spürte, wie sich Crysania vor Angst versteifte.

»Wenn er tot wäre«, erwiderte der Geist mit glänzenden Augen, »wäre euer warmes Blut schon längst an unseren Lippen. Tretet nun ein!«

Zögernd betrat Caramon das Laboratorium; Crysania war dicht an seiner Seite. Sie hob die Fackel, und beide sahen sich um.

»Dort«, flüsterte Caramon. Die angeborene Verbundenheit der Zwillinge führte ihn zu der dunklen Gestalt, die kaum sichtbar auf dem Boden im hinteren Teil des Laboratoriums lag.

Ihre Angst vergessend, eilte Crysania voran, während Caramon langsamer folgte; seine Augen durchforschten wachsam die Dunkelheit.

Raistlin lag auf der Seite, seine Kapuze war über sein Gesicht gezogen. Der Stab des Magus lag etwas entfernt von ihm, sein Licht war erloschen, als ob Raistlin ihn im bitteren Zorn von sich geschleudert hätte. Dabei war offensichtlich ein Becher zerbrochen und ein Zauberbuch auf den Boden geworfen worden.

Crysania überreichte Caramon die Fackel, kniete sich zu dem Magier und fühlte seinen Puls. Er war schwach und unregelmäßig, aber Raistlin lebte. Sie seufzte vor Erleichterung auf, dann schüttelte sie den Kopf. »Es geht ihm gut. Aber was ist mit ihm geschehen?«

»Er ist körperlich unversehrt«, erklärte der Geist, der in ihrer Nähe schwebte. »Er kam zu diesem Teil des Laboratoriums, als ob er etwas suchte. Er murmelte etwas von einem Portal. Den Stab hochhaltend, stand er dort, wo er jetzt liegt, und starrte geradeaus. Dann schrie er auf, schleuderte den Stab von sich und fiel auf den Boden. Er fluchte vor Zorn so lange, bis er das Bewußtsein verlor.«

Verwirrt hielt Caramon die Fackel hoch. »Ich frage mich, was passiert sein könnte«, murmelte er. »Nun, hier ist nichts. Nichts außer einer nackten, kahlen Wand!«

6

»Wie geht es ihm?« fragte Crysania leise, als sie den Raum betrat. Sie zog sich die weiße Kapuze vom Kopf, knöpfte ihren Umhang auf und erlaubte Caramon, ihn von ihren Schultern zu nehmen.

»Er ist unruhig«, erwiderte der Krieger mit einem Blick zu einer düsteren Ecke. »Er hat ungeduldig deine Rückkehr erwartet.«

Crysania seufzte und biß sich auf die Lippen. »Ich wünschte, ich hätte bessere Nachrichten«, murmelte sie.

»Ich freue mich darüber«, sagte Caramon bitter und legte Crysanias Umhang über einen Stuhl. »Vielleicht gibt er dann diesen verrückten Plan auf und kommt mit nach Hause.«

»Ich kann nicht...«, begann Crysania, wurde aber unterbrochen.

»Wenn ihr beide fertig seid mit dem, was ihr da in der Dunkelheit treibt, würdest du dann vielleicht zu mir kommen und mir erzählen, was du herausgefunden hast, Crysania?«

Crysania lief tiefrot an. Caramon einen verärgerten Blick zuwerfend, eilte sie durch den Raum zu Raistlin, der auf einem Lager neben dem Feuer ruhte.

Caramon hatte den Magier vom Laboratorium, wo sie ihn vor der blanken Steinwand liegend vorgefunden hatten, ins Arbeitszimmer getragen. Crysania hatte auf dem Boden ein Bett bereitet und dann hilflos zugesehen, wie Caramon seinen Bruder behutsam, wie eine Mutter ein krankes Kind, betreut hatte. Aber der große Mann konnte für seinen kranken Bruder nur wenig tun. Raistlin lag über einen Tag bewußtlos da und murmelte im Schlaf seltsame Worte. Einmal wurde er wach und schrie vor Entsetzen auf, sank aber unverzüglich in seine Dunkelheit zurück.

Des Lichtes des Stabes beraubt, den Caramon nicht zu berühren gewagt und gezwungenermaßen im Laboratorium zurücklassen mußte, hatten er und Crysania dicht bei Raistlin gekauert. Sie ließen das Feuer hell brennen, und beide waren sich der ständigen Gegenwart der Schatten der Wächter des Turms bewußt, die warteten, beobachteten.

Endlich erwachte Raistlin. Mit seinem ersten Atemzug befahl er Caramon, seinen Trank zu bereiten, und nachdem er ihn getrunken hatte, war er in der Lage, einen Wächter nach dem Stab zu schicken. Dann rief er Crysania zu sich. »Du mußt zu Astinus gehen«, flüsterte er.

»Astinus?« wiederholte Crysania verständnislos. »Dem Historiker? Aber warum – ich verstehe nicht...«

Raistlins Augen funkelten, ein Fleck brannte in seinen blassen Wangen in fieberhaftem Glanz. »Das Portal ist nicht hier!« knurrte er und knirschte dabei in ohnmächtiger Wut mit den Zähnen. Seine Hände ballten sich zusammen, und fast sofort begann er zu husten. Er warf Crysania einen finsteren Blick zu. »Verschwende meine Zeit nicht mit dummen Fragen! Geh!« befahl er in so entsetzlichem Zorn, daß sie erschrocken zurückwich.

Sie ging zu dem Schreibtisch und starrte auf einige der zerrissenen und geschwärzten Zauberbücher.

»Warte einen Augenblick, Crysania!« sagte Caramon leise, erhob sich und trat zu ihr. »Du ziehst doch nicht wirklich in Erwägung zu gehen? Wer ist dieser Astinus überhaupt? Und wie willst du ohne einen Zauber durch den Eichenwald gehen?«

»Ich habe einen Zauber«, murmelte Crysania. »Dein Bruder hat ihn mir gegeben, als... als ich ihn kennenlernte. Was Astinus betrifft, so betreut er die Große Bibliothek von Palanthas, er ist der Chronist der Geschichte Krynns.«

»Das ist er vielleicht in unserer Zeit, aber jetzt doch nicht!« entgegnete Caramon aufgebracht. »Denk doch mal nach!«

»Ich denke nach!« rief Crysania und warf ihm einen zornerfüllten Blick zu. »Astinus ist bekannt als der Zeitlose. Er war der erste, der seinen Fuß auf Krynn gesetzt hat, wie die Legende sagt, und er wird der letzte sein, der Krynn verläßt.«

Caramon musterte sie skeptisch.

»Er zeichnet die gesamte Geschichte auf, so wie sie verläuft. Er weiß alles, was in der Vergangenheit geschah und was in der Gegenwart geschieht. Aber er kann nicht in die Zukunft sehen. Darum bin ich mir nicht sicher, ob er uns helfen kann.«

Raistlins Zustand verschlimmerte sich, anstatt sich zu bessern. Seine Haut glühte im Fieber, er fiel in Zustände völliger Verwirrung, und wenn er wieder bei klarem Bewußtsein war, verlangte er zornig zu erfahren, warum Crysania Astinus noch nicht aufgesucht habe.