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»Was stimmt nicht mit ihm?« fragte Caramon; in seiner Stimme lagen immer noch Bitterkeit und Angst. »Ich sehe nicht...«

Crysania beschrieb den Zustand des Magiers.

Caramon zuckte die Achseln. »Von seiner Magie erschöpft«, erklärte er mit ausdrucksloser Stimme. »Und vergiß nicht, daß er schon von Anfang an geschwächt war, zumindest hast du mir das gesagt. Krank von der Nähe der Götter.« Seine Stimme wurde leiser. »Ich habe ihn schon vorher in solch einem Zustand erlebt. Nachdem er die Kugel der Drachen zum ersten Mal benutzt hatte, konnte er sich kaum rühren. Ich hielt ihn in meinen Armen...« Er brach ab und starrte in die Dunkelheit; sein Gesicht war nun ruhig. »Wir können nichts für ihn tun«, sagte er. »Er muß sich ausruhen.« Nach einer kurzen Pause fragte er leise: »Crysania, kannst du mich heilen?«

Crysanias Haut brannte. »Leider nicht«, erwiderte sie verzweifelt. »Es muß mein Zauber gewesen sein, der dich erblinden ließ.« In ihrer Erinnerung sah sie wieder den großen Krieger, das blutverschmierte Schwert in der Hand, mit der Absicht, seinen Zwillingsbruder zu töten, mit der Absicht, sie zu töten – wenn sie in seinen Weg geriet.

»Es tut mir leid«, sagte sie leise. »Aber ich war verzweifelt und hatte Angst. Mach dir trotzdem keine Sorgen«, fügte sie hinzu, »der Zauber ist nicht dauerhaft. Er wird sich im Lauf der Zeit auflösen.«

Caramon seufzte. »Ich verstehe«, sagte er. »Gibt es ein Licht in diesem Raum? Du hast gesagt, du hättest eins.«

»Ja«, antwortete sie. »Ich habe das Medaillon...«

»Sieh dich um. Sag mir, wo wir sind. Beschreib es mir.«

»Aber Raistlin...«

»Er wird sich schon wieder erholen!« sagte Caramon, seine Stimme klang grob und befehlend. »Tu, was ich dir sage! Unser Leben, sein Leben kann davon abhängen! Sag mir, wo wir sind!«

Als Crysania in die Dunkelheit blickte, kehrte ihre Angst zurück. Widerstrebend verließ sie den Magier, ging zu Caramon und setzte sich zu ihm. »Ich weiß nicht«, stammelte sie, während sie das strahlende Medaillon wieder hochhielt. »Ich kann außerhalb der Reichweite des Lichts nicht viel erkennen. Aber es scheint ein Ort zu sein, an dem ich schon einmal gewesen bin. Möbelstücke liegen hier, aber es ist alles zerbrochen und angekohlt wie von einem Brand. Viele Bücher liegen verstreut herum. Da ist ein großer Holzschreibtisch – gegen den du lehnst. Er kommt mir irgendwie bekannt vor. Er ist wunderschön, in ihm sind alle möglichen merkwürdigen Kreaturen eingeschnitzt.«

Caramon tastete auf dem Boden herum. »Teppich«, sagte er, »auf Stein.«

»Ja, der Boden ist mit einem Teppich bedeckt – beziehungsweise war. Jetzt ist er zerrissen. Und er sieht angenagt aus...« Sie würgte, als sie plötzlich eine dunkle Form sah, die aus dem Licht glitt.

»Was ist los?« fragte Caramon scharf.

»Offenbar sind das Wesen, die den Teppich annagen«, erwiderte Crysania mit einem nervösen Lachen. »Ratten.« Sie versuchte fortzufahren. »Da steht ein Kamin, aber er ist voller Spinnweben. In der Tat ist hier alles voller Spinnweben...«

Dann versagte ihre Stimme ihren Dienst. Plötzliche Bilder von Spinnen, die von der Decke fielen, und Ratten, die an ihren Füßen vorbeihuschten, ließen sie erschauern, und sie raffte ihre zerrissenen weißen Roben zusammen. Der Kamin erinnerte sie, wie kalt ihr war.

Ihren zitternden Körper spürend, lächelte Caramon düster und streckte seine Hand nach ihr aus. Er hielt ihre Hand fest und sagte mit einer Stimme, die in ihrer Gelassenheit schrecklich war: »Crysania, wenn wir es lediglich mit Ratten und Spinnen zu tun haben, können wir uns glücklich schätzen.«

Sie erinnerte sich an seinen Schrei schieren Entsetzens, der sie geweckt hatte. Aber er konnte doch nicht sehen! Schnell blickte sie sich um. »Was ist es? Du mußt etwas gehört oder gespürt haben, doch...«

»Gespürt«, wiederholte Caramon leise. »Ja, ich habe es gespürt. An diesem Ort gibt es Dinge, Crysania, entsetzliche Dinge. Ich kann fühlen, wie sie uns beobachten! Ich kann ihren Haß fühlen. Wo wir auch sind, wir haben uns ihnen aufgedrängt. Kannst du das nicht auch fühlen?«

Crysania starrte in die Dunkelheit. Jetzt, da Caramon davon gesprochen hatte, konnte sie etwas spüren. Oder, wie Caramon sagte, Dinge!

Je länger sie blickte und sich darauf konzentrierte, um so wirklicher wurden sie. Obgleich sie nichts erkennen konnte, wußte sie, daß sie warteten, gerade außerhalb der Reichweite des Lichtes, das von dem Medaillon geworfen wurde. Ihr Haß war stark, wie Caramon gesagt hatte, und was noch schlimmer war, sie spürte ihre Bösartigkeit, die um sie herum in eisiger Kälte floß. Es war wie... Sie hielt den Atem an.

»Was?« schrie Caramon.

»Pst«, zischte sie und umklammerte seine Hand. »Nichts. Es ist nur... Ich weiß jetzt, wo wir sind«, sagte sie leise.

Er antwortete nicht, sondern richtete nur seine blinden Augen auf sie.

»Der Turm der Erzmagier in Palanthas!« flüsterte sie.

»Wo Raistlin lebt?« Caramon wirkte erleichtert.

»Ja... nein.« Crysania zuckte hilflos die Schultern. »Es ist das gleiche Zimmer, in dem ich war – sein Arbeitszimmer. Aber es sieht nicht genauso aus. Es sieht aus, als wäre es seit vielleicht hundert Jahren oder noch länger unbewohnt und... Caramon! Ich hab’s! Er sagt, er werde mich zu einem Ort und in eine Zeit mitnehmen, in der es keine Kleriker gebe. Das muß nach der Umwälzung und vor dem Krieg sein. Bevor...«

»Bevor er zurückkehrte, um diesen Turm als seinen zu beanspruchen«, sagte Caramon bitter. »Und das bedeutet, daß der Fluch immer noch auf dem Turm liegt, Crysania. Das bedeutet, wir befinden uns an dem Ort auf Krynn, wo das Böse herrscht. Am gefürchtetsten Ort auf dem Antlitz dieser Welt. Der Ort, an den sich kein Sterblicher wagt, der von dem Eichenwald von Shoikan und weiß die Götter was sonst noch bewacht ist. Er hat uns hierhergebracht!«

Crysania sah plötzlich außerhalb des Lichtkreises blasse Gesichter erscheinen, als wären sie von Caramons Stimme herbeigerufen worden. Körperlose Köpfe mit starrenden Augen, die lange Zeit im Tod geschlossen waren, schwebten in der kalten Luft; ihre Münder waren in Vorfreude auf warmes, lebendes Blut weit geöffnet.

»Caramon, ich kann sie sehen!« Crysania würgte und wich zu dem großen Mann zurück. »Ich kann ihre Gesichter sehen!«

»Ich habe ihre Hände an mir gefühlt«, sagte Caramon. Er erbebte krampfhaft, spürte auch ihr Zittern und legte seinen Arm um sie, zog sie dicht an sich. »Sie haben mich angegriffen. Ihre Berührung hat meine Haut frieren lassen. Das war, als du mich schreien gehört hast.«

»Aber warum habe ich sie nicht vorher gesehen? Was hält sie jetzt vom Angriff ab?«

»Du, Crysania«, sagfe Caramon leise. »Du bist eine Klerikerin Paladins. Diese Kreaturen wurden von dem Bösen hervorgebracht, es sind Schöpfungen des Fluches. Sie haben nicht die Kraft, dir zu schaden.«

Crysania sah auf das Medaillon in ihren Händen. Das Licht quoll immer noch hervor, aber während sie es anstarrte, schien es schwächer zu werden. Mit Schuldgefühl erinnerte sie sich an den Elfenkleriker Loralon. Sie erinnerte sich an ihre Weigerung, ihn zu begleiten. Seine Worte klangen in ihrem Gesicht wider: »Das nächste Mal, wenn du deutlich sehen wirst, wirst du von der Dunkelheit blind sein...«

»Ich bin eine Klerikerin, das stimmt«, sagte sie leise, »aber mein Glaube ist... schwach. Diese Dinge spüren meine Zweifel, meine Schwäche. Vielleicht hätte ein Kleriker, so stark wie Elistan, die Kraft, gegen sie anzukämpfen. Ich vermag es nicht.« Das Licht wurde immer trüber. »Mein Licht erlischt, Caramon«, fügte sie hinzu. Als sie aufsah, konnte sie die blassen Gesichter erkennen, die gierig immer näher trieben. »Was können wir unternehmen?«

»Ich habe keine Waffe! Ich kann nicht sehen!« schrie Caramon gequält auf und ballte die Hand.

»Pst!« befahl Crysania und ergriff seinen Arm; ihre Augen waren auf die schimmernden Formen gerichtet. »Sie scheinen stärker zu werden, wenn du so redest! Vielleicht ernähren sie sich von Furcht. Dalamar hat mir gesagt, daß das bei denen im Eichenwald von Shoikan der Fall ist.«