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»Das hat mein Bruder gesagt?« fragte Raistlin leise.

Crysania nahm die Hände vom Gesicht und sah ihn an, verwirrt über sein Staunen. »Ja«, antwortete sie nach einer Pause kühl. »Warum?«

»Er hat uns das Leben gerettet«, erklärte Raistlin; seine Stimme war wieder sarkastisch. »Der große Dummkopf hatte in der Tat eine gute Idee. Vielleicht solltest du ihn blind bleiben lassen – offenbar fördert das sein Denkvermögen.«

Raistlin versuchte zu lachen, aber daraus wurde ein Husten, der ihn fast erstickte. Crysania wollte ihm helfen, aber er hielt sie mit einem zornigen Blick zurück, selbst als sich sein Körper vor Schmerzen krümmte. Er fiel zur Seite und erbrach sich.

Crysania starrte ihn hilflos an. »Du hast mir einmal gesagt, daß die Götter dich nicht von dieser Krankheit heilen können. Aber du liegst im Sterben, Raistlin! Gibt es nichts, was ich für dich tun kann?« fragte sie sanft.

Er nickte. Mit offensichtlicher Anstrengung hob er schließlich eine zitternde Hand vom eisigkalten Boden und winkte Crysania zu sich. Sie beugte sich über ihn. Er berührte ihre Wange und zog ihr Gesicht dicht an seins.

»Wasser!« keuchte er kaum hörbar. »Ein Trank... wird helfen.« Fieberhaft bewegte sich seine Hand zu einer Tasche an seinen Roben. »Und Wärme, Feuer! Ich... habe nicht... die Kraft...«

Crysania nickte, um zu zeigen, daß sie ihn verstand.

»Caramon?«

»Jene Dinge haben ihn angegriffen«, sagte sie und blickte zu dem reglosen Körper des großen Kriegers. »Ich bin mir nicht sicher, ob er noch lebt...«

»Wir brauchen ihn! Du mußt... ihn heilen!« Er konnte nicht weitersprechen und lag nach Atem ringend da, die Augen geschlossen.

Crysania schluckte. »Bist du sicher?« fragte sie zögernd. »Er hat versucht, dich umzubringen...«

Raistlin lächelte, dann schüttelte er den Kopf. Er schlug die Augen auf, und sie konnte tief in ihre braunen Tiefen blicken. Die Flamme in dem Magier brannte schwach, verlieh den Augen eine sanfte Wärme, die sich sehr von dem tobenden Feuer unterschied, das sie zuvor gesehen hatte.

»Crysania...«, keuchte er. »Ich... werde... das Bewußtsein verlieren... Du wirst... allein sein... an diesem Ort der Dunkelheit... Mein Bruder... kann helfen... Wärme...« Seine Augen schlossen sich, aber sein Griff um Crysanias Hand wurde fester, als ob er versuchte, sich mittels ihrer Lebenskraft an die Wirklichkeit zu klammern. Er öffnete noch einmal die Augen und sah in ihre. »Verlaß diesen Raum nicht!« flüsterte er.

Du wirst allein sein! Crysania sah sich verängstigt um. Wasser! Wärme! Wie sollte sie das bewerkstelligen? Sie konnte es nicht, nicht in dieser Kammer des Bösen.

»Raistlin!« flehte sie, hielt seine zerbrechliche Hand mit beiden Händen umklammert, legte sie an ihre Wange. »Raistlin, bitte verlaß mich nicht!« flüsterte sie. »Ich kann nicht tun, was du verlangst! Ich habe nicht die Kraft! Ich kann aus Staub kein Wasser erschaffen...«

Raistlin öffnete die Augen. Sie waren fast genauso dunkel wie das Zimmer, in dem er lag. Er bewegte die Hand, die sie festhielt, zeichnete mit ihr eine Linie über ihre Wange. Dann erschlaffte die Hand.

Crysania fragte sich, was er mit dieser seltsamen Geste gemeint haben konnte. Es war keine Liebkosung gewesen. Er hatte versucht, ihr etwas mitzuteilen, das war eindeutig gewesen. Aber was? Ihre Haut brannte von seiner Berührung, brachte Erinnerungen zurück...

Und dann wußte sie es. Ich kann aus Staub kein Wasser erschaffen... »Meine Tränen!« murmelte sie.

2

Als sie in der eiskalten Kammer neben Raistlins reglosem Körper kniete und Caramon blaß und leblos in der Nähe lag, beneidete Crysania beide plötzlich heftig. Wie einfach würde es sein, dachte sie, in die Bewußtlosigkeit zu gleiten und sich von der Dunkelheit in Besitz nehmen zu lassen! Das Böse an diesem Ort, das beim Klang von Raistlins Stimme offenbar geflohen war, kehrte zurück. Es wehte an ihrem Hals wie ein kalter Wind. Augen starrten sie aus dem Schatten an, Augen, die wohl nur vom Licht des Stabes des Magus zurückgehalten wurden. Trotz seiner Bewußtlosigkeit ruhte Raistlins Hand auf ihm.

Crysania legte die andere Hand des Erzmagiers, die sie festhielt, behutsam auf seine Brust. Dann setzte sie sich zurück, preßte die Lippen zusammen und schluckte ihre Tränen hinunter.

»Er ist auf mich angewiesen«, sagte sie laut, um das Wispern um sich herum zu zerstreuen. »In seiner Schwäche hängt er von meiner Stärke ab. Mein ganzes Leben lang«, fuhr sie fort, wischte sich die Tränen von den Augen und betrachtete das Wasser, das an ihren Fingern im Schein des Stabes glänzte, »habe ich mich mit meiner Stärke gebrüstet. Doch bis jetzt habe ich nie gewußt, was wirkliche Stärke ist.« Ihre Augen wandten sich Raistlin zu. »Jetzt sehe ich sie in ihm! Ich werde ihn nicht im Stich lassen! Wärme«, sagte sie und erbebte so stark, daß sie kaum aufstehen konnte, »er braucht Wärme. Die brauchen wir alle.« Sie seufzte. »Aber wie soll ich das bewerkstelligen? Im Schloß von Eismauer würden allein meine Gebete ausreichen, um uns zu wärmen. Paladin würde uns helfen. Aber diese Kälte hier ist nicht die Kälte von Eis oder Schnee. Sie geht viel tiefer – sie läßt eher den Geist als das Blut erstarren. Hier an diesem Ort des Bösen könnte mein Glaube mich erhalten, aber er wird uns niemals wärmen!«

Darüber nachdenkend und sich im Raum umsehend, der von dem Licht des Stabes schwach erleuchtet wurde, nahm Crysania an den Fenstern die Formen zerfetzter Vorhänge wahr. Sie waren aus schwarzem Samt und groß genug, daß sich alle damit zudecken konnten. Ihre Stimmung hob sich, sank aber unverzüglich, als ihr klar wurde, daß sie am anderen Ende des Raumes hingen. Kaum sichtbar in der verzehrenden Dunkelheit, befanden sich die Fenster außerhalb des Lichtkreises des Stabes.

»Ich muß dorthin gehen«, sagte sie sich, »in den Schatten!« Ihr Herz versagte fast, ihre Stärke ließ nach. »Ich werde Paladin um Hilfe bitten.« Aber während sie sprach, wanderte ihr Blick zu dem Medaillon, das auf dem Boden lag.

Sie bückte sich, um es aufzuheben, fürchtete aber die Berührung und erinnerte sich kummervoll, wie sein Licht beim Kommen des Bösen erloschen war.

Wieder fiel ihr Loralon ein, der großen Elfenkleriker, der kurz vor der Umwälzung gekommen war, um sie mitzunehmen. Sie hatte sich geweigert und statt dessen ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um die Worte des Königspriesters zu hören – die Worte, die den Zorn der Götter hervorgerufen hatten. War Paladin zornig? Hatte er sie in seinem Zorn verlassen, so wie viele glaubten, daß er ganz Krynn nach der schrecklichen Zerstörung Istars verlassen hatte? Oder konnte seine göttliche Macht einfach nicht die eisigen Schichten des Bösen durchdringen, die in diesem verfluchten Turm der Erzmagier zu Hause waren?

Verwirrt ergriff Crysania das Medaillon. Es leuchtete nicht. Das Metall fühlte sich in ihrer Hand kalt an. Sie zwang sich, zu einem Fenster zu gehen. »Wenn ich mich nicht überwinde«, murmelte sie, »werde ich erfrieren. Wir werden alle sterben«, fügte sie hinzu, und ihr Blick ging zu den Brüdern zurück. Raistlin trug seine schwarzen Samtroben, aber sie erinnerte sich, wie kalt seine Hände gewesen waren. Caramon war immer noch in sein Gladiatorenkostüm gekleidet, die goldene Rüstung und einen Lendenschurz.

Mit erhobenem Kinn warf Crysania den unsichtbaren, flüsternden Formen, die sie umlauerten, einen trotzigen Blick zu, dann trat sie mutig aus dem magischen Lichtkreis von Raistlins Stab hinaus.

Eisige Finger berührten ihre Haut. Crysania zuckte zusammen und konnte sich lange Zeit nicht regen. »Nein!« sagte sie dann wütend. »Ich werde weitergehen. Diese Kreaturen des Bösen werden mich nicht aufhalten. Ich bin eine Klerikerin Paladins. Selbst wenn mein Gott mich aufgegeben hat, werde ich doch nicht meinen Glauben aufgeben.«