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Wütend auf sich, enttäuscht vom offensichtlichen Scheitern ihrer Pläne und entschlossen herauszufinden, was hier passiert war, ging Crysania kühn weiter.

Das Geräusch wurde lauter. Die Häuser hörten auf. Als sie um eine Ecke bog, fiel ihr plötzlich ein, daß sie die Lampe hätte löschen sollen. Aber der Gedanke kam zu spät. Beim Anblick des Lichts drehte sich die Gestalt, die das komische Geräusch verursacht hatte, um und starrte sie an.

»Wer bist du?« rief der Mann. »Was willst du hier?« Er klang nicht verängstigt, nur furchtbar müde, als ob ihre Gegenwart eine weitere schwere Bürde wäre.

Aber anstatt zu antworten, ging Crysania weiter. Jetzt hatte sie das Geräusch erkannt. Er hatte geschaufelt, denn er hielt eine Schaufel in der Hand. Er hatte kein Licht. Er hatte offensichtlich so schwer gearbeitet, daß er nicht einmal wahrgenommen hatte, daß die Nacht eingebrochen war.

Crysania hob ihre Lampe hoch, damit das Licht auf den Mann falle, und musterte ihn neugierig. Er war jung, jünger als sie – wahrscheinlich zwanzig oder einundzwanzig. Er war ein Mensch mit blassem, ernstem Gesicht und in Roben gekleidet, die sie für klerikale Gewänder hielt.

»Zurück!« schrie er.

»Was?« fragte Crysania erschreckt.

»Zurück!« wiederholte er schwächer.

»Nein«, sagte Crysania, die erkannte, daß der junge Mann krank oder verletzt war. Sie wollte ihren Arm um ihn legen, als ihr Blick auf seine Arbeit fiel.

Er hatte ein Grab aufgefüllt – ein Massengrab.

Als sie in die riesige Grube schaute, sah sie Leichen – Männer, Frauen, Kinder. Es gab keine Verletzungen an ihnen, kein Blut. Dennoch waren alle tot; das gesamte Dorf, erkannte sie betäubt. Und als sie sich umdrehte und in das Gesicht des jungen Mannes blickte, den Schweiß sah, die glasigen, fiebrigen Augen, wußte sie Bescheid.

»Ich habe versucht, dich zu warnen«, sagte er matt und würgte. »Gelbfieber!«

»Komm mit«, sagte Crysania. Sie legte die Arme um den jungen Mann.

Er wehrte sich schwach. »Nein! Nicht!« bettelte er. »Du wirst dich anstecken und sterben... innerhalb von Stunden...«

»Du bist krank. Du brauchst Ruhe«, sagte sie. Seinen Protest nicht beachtend, führte sie ihn fort.

»Aber das Grab«, flüsterte er. Sein Blick glitt zum dunklen Himmel, wo die Aasvögel kreisten. »Wir können die Leichen nicht so lassen...«

»Ihre Seelen sind bei Paladin«, unterbrach ihn Crysania und kämpfte bei dem Gedanken an das greuliche Festmahl, das bald beginnen würde, gegen ihren eigenen Ekel an. »Nur ihre Hüllen liegen hier.«

Zum Streiten zu geschwächt, neigte der junge Mann den Kopf und legte seinen Arm um Crysanias Hals. Er war unglaublich mager – sie spürte kaum sein Gewicht, als er sich auf sie stützte. Sie fragte sich, wann er das letzte Mal richtig gegessen hatte.

Langsamen Schrittes verließen sie das Grab. »Dort ist mein Haus«, sagte er und deutete auf eine kleine Hütte am Rande des Dorfes.

Crysania nickte. »Erzähl mir, was geschehen ist«, sagte sie.

»Da gibt es nicht viel zu erzählen«, entgegnete er. »Es schlug ganz plötzlich ein, ohne Warnung. Gestern haben die Kinder noch in den Höfen gespielt, und in der vergangenen Nacht sind sie in den Armen ihrer Mütter gestorben. Tische waren gedeckt für ein Abendessen, das keiner mehr essen wollte. Heute morgen haben jene, die sich noch bewegen konnten, dieses Grab geschaufelt, ihr eigenes Grab.« Seine Stimme brach.

»Es wird jetzt alles gut werden«, sagte Crysania. »Ich bringe dich ins Bett. Ich werde beten...«

»Gebete!« Der junge Mann lachte bitter auf. »Ich bin ihr Kleriker!« Er wies zum Grab zurück. »Du siehst, was die Gebete gebracht haben.«

»Pst! Schone deine Kraft«, sagte Crysania. Bald darauf erreichten sie das kleine Haus. Sie half ihm, sich auf sein Bett zu legen, schloß die Tür, und als sie Brennholz im Kamin sah, zündete sie es mit der Flamme ihrer Lampe an. Bald loderte es. Sie zündete Kerzen an und kehrte dann zu ihrem Patienten zurück. Seine fiebrigen Augen waren jeder ihrer Bewegungen gefolgt.

Sie zog einen Stuhl zu seinem Bett, goß Wasser in eine Schüssel, tauchte ein Tuch hinein, dann setzte sie sich zu ihm und legte das feuchte Tuch auf seine glühende Stirn. »Ich bin auch eine Klerikerin«, sagte sie und berührte leicht ihr Medaillon. »Ich werde zu meinem Gott beten, daß er dich heilt.« Sie legte die Hände auf die Schultern des jungen Mannes. Dann begann sie: »Paladin...«

»Was?« rief er und ergriff sie mit einer glühenden Hand. »Was tust du da?«

»Ich werde dich heilen«, antwortete Crysania und lächelte ihn an. »Ich bin eine Klerikerin Paladins.«

»Paladin!« Der junge Mann zog vor Schmerz eine Grimasse, dann sah er ungläubig zu ihr auf. »Das hast du doch gesagt. Wie kannst du eine seiner Klerikerinnen sein? Sie sind alle, so wird gesagt, vor der Umwälzung verschwunden.«

»Das ist eine lange Geschichte«, erwiderte Crysania. »Ich werde sie dir später erzählen. Aber jetzt glaube mir, daß ich wahrhaftig eine Klerikerin dieses großen Gottes bin und dich heilen werde!«

»Nein!« schrie der junge Mann, und seine Hand schloß sich so fest um die ihre, daß es schmerzte. »Ich bin auch ein Kleriker, ein Kleriker der Götter der Sucher. Ich habe versucht, meine Leute zu heilen, aber ich konnte nichts für sie tun. Sie sind gestorben!« Er schloß gequält die Augen. »Ich habe gebetet! Die Götter... haben nicht geantwortet.«

»Weil diese Götter, zu denen du gebetet hast, falsche Götter sind«, sagte Crysania ernst und strich besänftigend über das schweißnasse Haar des jungen Mannes.

Als er die Augen wieder öffnete, musterte er sie aufmerksam. Er sah gut aus und wirkte ernst, gelehrt. Seine Augen waren blau, sein Haar goldblond. »Wasser«, murmelte er zwischen ausgetrockneten Lippen.

Sie half ihm sich aufsetzen. Durstig trank er aus der Schüssel, dann legte sie ihn vorsichtig auf das Bett zurück. Er starrte sie immer noch an und schüttelte den Kopf.

»Du weißt von Paladin, von den uralten Göttern?« fragte Crysania leise.

»Ja«, antwortete der junge Mann bitter. »Ich weiß von ihnen. Ich weiß, daß sie das Land zerstört haben. Ich weiß, daß sie Stürme und die Pest über uns gebracht haben. Ich weiß, daß in diesem Land böse Dinge freigelassen worden sind. Und dann haben sie uns verlassen. In der Stunde unserer Not haben sie uns aufgegeben!«

Jetzt war Crysania an der Reihe, große Augen zu machen. Sie hatte Ablehnung, Unglauben oder sogar völlige Unwissenheit, was die Götter betraf, erwartet. Damit konnte sie umgehen. Aber dieser bittere Zorn? Das war nicht die Konfrontation, auf die sie sich vorbereitet hatte. Sie war mit der Erwartung gekommen, einen abergläubischen Mob vorzufinden, und war auf ein Massengrab und einen sterbenden jungen Kleriker gestoßen.

»Die Götter haben uns nicht aufgegeben«, erwiderte sie. »Sie sind hier und warten nur auf den Klang eines Gebetes. Das Böse, das über Krynn gekommen ist, führten die Menschen selbst herbei, durch ihren Hochmut und ihre halsstarrige Unwissenheit.«

Die Geschichte von Goldmond, wie sie den sterbenden Elistan geheilt und ihn dabei zu dem uralten Glauben bekehrt hatte, fiel Crysania ein und erfüllte sie mit Freude. Sie würde diesen jungen Kleriker heilen, ihn bekehren... »Ich werde dir helfen«, sagte sie. »Dann werden wir Zeit zum Reden haben.« Wieder kniete sie neben seinem Bett, ergriff das Medaillon um ihren Hals und versuchte es noch einmaclass="underline" »Paladin...«

Eine Hand packte sie grob und tat ihr weh. Erschreckt sah sie auf.

Es war der junge Kleriker. Er hatte sich halb aufgerichtet und starrte sie aufmerksam an. »Du brauchst mich nicht zu überzeugen. Ich glaube dir!« Er sah nach oben. »Ja, Paladin ist bei dir. Ich kann seine Gegenwart spüren. Vielleicht sind meine Augen offener, da ich mich dem Tod nähere.«

»Das ist ja wunderbar!« rief Crysania glückselig. »Ich kann...«

»Warte!« Der Kleriker rang nach Atem. »Hör zu! Weil ich glaube, weigere ich mich, daß du mich heilst.«