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»Was?« Crysania starrte ihn verständnislos an. Dann sagte sie bestimmt: »Du bist krank, im Delirium. Du weißt nicht, was du sagst.«

»Doch«, erwiderte er. »Sieh mich an. Bin ich vernünftig?«

Crysania musterte ihn eingehend und mußte dann zustimmend nickend. »Ja, das mußt du zugeben. Ich bin nicht im Delirium. Ich bin bei vollem Bewußtsein... Aber sag mir, wenn Paladin hier ist – und ich glaube, daß er jetzt hier ist —, warum hat er das geschehen lassen? Warum hat er meine Leute sterben lassen? Warum hat er dieses Leiden zugelassen? Warum hat er es verursacht? Antworte mir!« Er umklammerte sie zornig. »Antworte mir!«

Ihre eigenen Fragen! Raistlins Fragen! Crysania spürte, wie ihr Geist in verwirrende Dunkelheit geriet. Wie konnte sie ihm antworten, wenn sie selbst so verzweifelt nach diesen Antworten suchte? Mit tauben Lippen wiederholte sie Elistans Worte: »Wir müssen glauben. Die Wege der Götter können uns nicht bekannt sein, wir können nicht...«

Der junge Mann legte sich zurück, schüttelte kraftlos den Kopf, und Crysania verstummte; sie fühlte sich hilflos angesichts dieses heftigen Zornes. Ich heile ihn auf alle Fälle, beschloß sie. Er ist krank und schwach an Geist und Körper. In diesem Zustand kann man von ihm nicht erwarten, daß er ihre Worte verstand.

Dann seufzte sie. Nein. Unter anderen Umständen hätte Paladin es erlaubt. Der Gott wird meine Gebete nicht erhören, wußte sie verzweifelt. In seiner göttlichen Weisheit wird er den jungen Mann zu sich nehmen, und dann wird alles klar und deutlich werden. Aber jetzt konnte es nicht sein.

Plötzlich erkannte Crysania düster, daß die Zeit nicht verändert werden konnte, jedenfalls nicht von ihr. Goldmond würde den Glauben an die uralten Götter bei den Menschen in einer Zeit wiederherstellen, wenn die Menschen wieder bereitwillig zuhörten. Nicht vorher.

Eine Hand berührte ihr Haar, und sie sah auf.

Der junge Mann lächelte sie schwach an. »Es tut mir leid«, sagte er sanft, und seine vom Fieber ausgetrockneten Lippen zuckten. »Es tut mir leid, daß ich dich enttäusche.«

»Ich verstehe dich«, sagte Crysania ruhig, »und ich werde deinen Wunsch respektieren.«

»Ich danke dir«, erwiderte er. Lange Zeit konnte man nur sein mühsames Atmen hören. Crysania wollte aufstehen, aber sie spürte seine glühende Hand auf der ihren. »Bitte tu eines für mich«, flüsterte er.

»Alles«, sagte sie und lächelte.

»Bleib die Nacht bei mir, während ich sterbe...«

16

Die Stufen zum Schafott hinaufklettern, den Kopf gebeugt. Die Hände sind hinter meinem Rücken gefesselt. Während ich die Stufen hinaufsteige, will ich mich befreien, obgleich ich weiß, daß es zwecklos ist – ich habe Tage, Wochen verbracht, mich zu befreien, vergeblich.

Die Schwarzen Roben bringen mich zu Fall. Ich stolpere. Jemand fängt mich auf, bewahrt mich vor dem Sturz, zieht mich aber nichtsdestoweniger vorwärts. Ich bin oben angekommen. Der Block, dunkel befleckt mit Blut, steht vor mir. Hektisch versuche ich jetzt, meine Hände freizubekommen! Wenn ich sie nur losmachen könnte! Flucht! Flucht!

»Es gibt keine Flucht!« lacht mein Scharfrichter, und ich weiß, ich bin es, der spricht! Mein Lachen! Meine Stimme! »Knie dich hin, du erbärmlicher Zauberer! Leg deinen Kopf auf das kalte, blutige Kissen!«

Nein! Ich kreische vor Entsetzen und Zorn und kämpfe verzweifelt, aber Hände ergreifen mich von hinten. Boshaft zwingen sie mich auf die Knie. Mein widerstrebendes Fleisch berührt den eisigen Block! Immer noch ziehe und zerre und schreie ich, und immer noch zwingen sie mich nach unten.

Eine schwarze Kapuze wird über meinen Kopf gezogen, aber ich kann den Scharfrichter hören, der immer näher kommt, ich kann seine schwarzen Roben rascheln hören, ich kann die Klinge sehen, die gehoben wird...

»Raist! Raistlin! Wach auf!«

Raistlin schlug die Augen auf. Er war verstört vor Entsetzen und hatte einen Augenblick keine Vorstellung, wo er war oder wer ihn geweckt hatte.

»Raistlin, was ist los?« wiederholte die Stimme.

Starke Hände hielten ihn fest, eine vertraute Simme löschte den zischenden Schrei der niedersausenden Klinge des Scharfrichters aus...

»Caramon!« schrie Raistlin und klammerte sich an seinen Bruder. »Hilf mir! Halt sie auf! Laß sie mich nicht umbringen! Halt sie auf! Halt sie auf!«

»Pst! Ich werde nicht zulassen, daß sie dir was tun, Raist«, murmelte Caramon. Er hielt seinen Bruder an sich gedrückt und strich ihm über das weiche braune Haar. »Pst! Mit dir ist alles in Ordnung. Ich bin hier... ich bin hier.«

Raistlin legte den Kopf an Caramons Brust, lauschte dem Herzschlag seines Bruders und gab einen tiefen Seufzer von sich. Dann schloß er die Augen und schluchzte wie ein Kind.

»Komisch, nicht wahr?« brummte Raistlin einige Zeit später, als sein Bruder das Feuer anzündete und einen Eisentopf mit Wasser aufsetzte. »Der mächtigste Magier, der je gelebt hat, wird in einem Traum zu einem kreischenden Kind!«

»Das ist doch menschlich«, knurrte Caramon, beugte sich über den Topf und beobachtete ihn aufmerksam.

»Ja, menschlich«, wiederholte Raistlin und zog seinen Reiseumhang um sich.

Caramon warf ihm einen unsicheren Blick zu. Er erinnerte sich, was Par-Salian und die anderen Magier ihm bei der Versammlung im Turm der Erzmagier gesagt hatten. »Dein Bruder beabsichtigt, die Götter herauszufordern! Er strebt danach, selbst ein Gott zu werden!«

Raistlins Kopf schnellte plötzlich hoch. »Was war das?« fragte er.

Auch Caramon hatte das Geräusch gehört und sich erhoben. »Weiß nicht«, antwortete er leise und lauschte. Dann ergriff er sein Schwert und zog es aus der Scheide.

Im gleichen Augenblick schloß sich Raistlins Hand über dem Stab des Magus, der neben ihm lag. Raistlin erhob sich und goß den Kessel über dem Feuer aus, um es zu löschen. Dunkelheit senkte sich über sie, als die Glut erstarb.

Sie ließen ihren Augen Zeit, sich daran zu gewöhnen, standen still da und konzentrierten sich einzig und allein auf ihr Gehör.

Der Fluß, in dessen Nähe sie lagerten, plätscherte gegen die Steine, Zweige knarrten, und Blätter raschelten, als eine jähe Brise aufkam.

»Da ist es«, flüsterte Raistlin, als sein Bruder zu ihm trat. »Im Wald am anderen Ufer.«

Es war ein Geräusch, als ob jemand versuchte, lautlos durch ungewohntes Gelände zu kriechen. Es dauerte kurz an, dann hörte es auf und begann wieder.

»Goblins«, zischte Caramon. Er umklammerte sein Schwert und tauschte mit seinem Bruder einen Blick. Die Jahre der Dunkelheit, der Entfremdung zwischen beiden, die Eifersucht, der Haß – alles verschwand im Nu. Auf die gemeinsame Gefahr reagierend, waren sie eins, so wie sie es im Mutterleib gewesen waren.

Mit vorsichtigen Bewegungen trat Caramon in den Fluß. Der rote Mond Lunitari gab heute nur wenig Licht. Raistlin folgte seinem Bruder. Er hielt seinen Stab in der einen Hand, während die andere leicht auf der Schulter Caramons ruhte.

Sie überquerten den Fluß so lautlos wie der Wind, der über das Wasser wehte, und erreichten das andere Ufer. Sie konnten das Geräusch immer noch hören. Es wurde von etwas Lebendigem erzeugt, daran bestand kein Zweifel.

»Ein Stoßtrupp!« flüsterte Caramon. Er drehte sich um, damit sein Bruder ihn verstehen konnte.

Raistlin nickte. Stoßtrupps der Goblins ließen herkömmlicherweise Kundschafter zurück, die den Pfad bewachten, wenn sie ein Dorf plündern wollten. Da es eine langweilige Aufgabe war und zudem bedeutete, daß die ausgewählten Goblins keinen Anteil an der Beute hatten, fiel das Los im allgemeinen auf die Rangniedrigsten – die ungeschicktesten und am ehesten entbehrlichen Mitglieder des Trupps.

Raistlins Hand schloß sich plötzlich um Caramons Arm und hielt ihn fest. »Crysania!« flüsterte der Magier. »Das Dorf! Wir müssen wissen, wo der Stoßtrupp ist!«

Caramon blickte finster. »Ich fange ihn lebendig!« Er unterstrich seine Absicht mit einer Bewegung seiner riesigen Hand, die sich um einen imaginären Goblinhals legte.