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»Niemals!«, protestierte Boïndil laut und hieb mit der Faust auf den Tisch. »Dann hätten die Dritten gewonnen, und...«

»... das Geborgene Land wäre vor den Avataren Tions gerettet«, vollendete Gandogar laut und Ehrfurcht gebietend. »Boïndil Zweiklinge, ich weiß, wie du dich fühlst. Auch in mir sträubt sich alles, den Dritten unsere wunderschönen Berge und Hallen zu überlassen. Doch erinnere dich an den Auftrag, den wir von unserem Schöpfer Vraccas erhielten.« Er sprach sie reihum an. »Erinnert euch alle! Wir sind dazu auserkoren, die Bewohner des Geborgenen Landes vor jedem Schaden zu behüten. Verlangt dies von uns, deswegen unserer Heimat den Rücken zu kehren, um den Untergang zu verhindern, ist es unsere Pflicht, so zu handeln.«

Nach den Worten des Großkönigs herrschte Schweigen im Raum. Verzweifelt suchten die Zwerge nach einer anderen Lösung.

»Wie wäre es mit einem schnellen Feldzug gegen die Dritten, um sie zur Preisgabe der Waffe zu zwingen?«, warf Königin Xamtys ein.

Balendilín lehnte ihre Idee ab. »Das Schwarze Gebirge ist uns allen vollkommen unbekannt. Ich kenne keine sicheren Wege und Pässe. Allein die Vorbereitungen für unser Unternehmen würden zu lange dauern, um sie mit einem Überraschungsangriff zu überrumpeln, selbst wenn uns die Menschen und Elben beistünden. Und außerdem sitzen sie noch im Schwarzjoch und könnten uns von dort aus in den Rücken fallen.«

»Der Zeitpunkt ihres Vorhabens ist aus ihrer Sicht vollkommen.« Tungdil sank gegen die Lehne des Stuhls. »Sie lassen uns fast keine Wahl.«

»Fast?«, horchte Gandogar auf. »Tungdil Goldhand, stehst du ein zweites Mal davor, ein Held zu werden?«

»Nicht ich. Die Dritten.«

Boëndal und Boïndil wechselten schnelle Blicke, sie ahnten, was ihr Freund der Runde gleich erzählen wollte. Balyndis bemerkte die Kopfbewegung der Brüder, Ingrimmsch zwinkerte ihr aufmunternd zu und gab ihr ein beruhigendes Handzeichen.

Tungdil fuhr sich über die Stelle, an der das Gold sich in seine Haut gebrannt hatte; es glänzte im Schein der sinkenden Sonne. »Ich war lange genug in Goldhort, der Stadt der Freien, um etwas über die Ausgestoßenen zu lernen. Unter ihnen leben Zwerge, die einst dem Stamm Lorimburs angehörten und die wie ich alles andere als von dem Wunsch beseelt sind, andere Zwerge zu töten.« So sehr er sich bemühte, es nicht zu tun, er schaute doch kurz zu Glaïmbar. »Sie kennen sich im Schwarzen Gebirge aus.«

»Und die meisten wären sicherlich bereit, uns beizustehen. Sie könnten uns als Führer dienen«, sprang ihm Myr bei und bereute es sogleich.

Die Köpfe drehten sich, alle schauten sie noch neugieriger an.

Sie war ein seltsam heller Fleck in ihrer Runde. Eine Zwergin, die keinerlei Rüstung trug und ganz und gar nicht nach dem aussah, was Vraccas aus dem Stein geschlagen hatte, ließ man den Alabaster in ihrem Namen einmal außen vor. Selbst wenn man ihn berücksichtigte, gab er kein gutes Bild ab. Alabaster war weich, keinesfalls stabil und taugte kaum für etwas. Er stand weit unter dem Granit, aus dem der Göttliche Schmied die ersten Fünf geschaffen hatte.

»Was wir von den Dritten zu halten haben, wurde uns eben von Romo eindrucksvoll dargelegt!« Damit sprach ausgerechnet Balyndis aus, was die Mehrheit der Zwerginnen und Zwerge dachte. »Das geht nicht gegen dich, Tungdil. Ich bin die Letzte, die deine Loyalität anzweifelt. Doch ich kenne dich sehr gut, was ich von den anderen Dritten nicht behaupten kann.«

»Eine Dritte ist die Königin der Freien«, wollte er ihnen erklären, als er spürte, wie ihn Myr unter dem Tisch heimlich gegen den Knöchel trat. Er erinnerte sich an ihren Verdacht, Sanda sei eine Spionin, also ließ er Sanda besser unerwähnt.

»Und ich kenne etliche von ihnen, denen ich mein Leben anvertraue, wie ich es meinem Gemahl anvertrauen würde.« Noch während Myr sprach, erkannte sie an dem ablehnenden Blick der vielen Augenpaare, dass sie sich ihren Atem sparen konnte.

»Nein, auf diese Verbündeten möchte ich mich nicht stützen müssen«, erteilte Gandogar dem Vorschlag eine Absage.

»Großkönig, wir verschenken einen Vorteil«, versuchte Balendilín die Meinung zu kippen. Er hatte erkannt, dass sich ihnen eine Gelegenheit eröffnete, Lorimbasʹ Vorhaben zu vereiteln. »Mit ihnen als Kundschafter kann uns eine Überraschung gelingen.«

Tungdil nickte dem Einarmigen dankbar zu. »Gandogar, nicht einmal du kennst die Ausmaße des unterirdischen Reichs der Ausgestoßenen. Würde ich dir eine Zahl nennen, so würdest du sie mir nicht glauben.« Er erhob sich, um seiner Rede mehr Gewicht zu verleihen. »Sie standen uns bei, am Grauen Gebirge, als die schrecklichsten Orks erschienen, die ich jemals sah. Zweitausend Zwerginnen und Zwerge. König Gemmil sandte sie uns innerhalb weniger Sonnenumläufe.« Beschwörend blickte er zu Gandogar. »Wir brauchen sie, Großkönig. Und es sind viele.«

Gandogar senkte das Haupt, schloss die Augen und legte die Hände vor das Gesicht. Es war nicht klar, ob er betete oder in sich ging, um zu einer Entscheidung zu finden.

Niemand sprach. Myr drückte Tungdils Hand und lächelte ihn zurückhaltend an.

Seufzend richtete sich der Großkönig aller Zwergenstämme auf. »Wir werden weichen«, verkündete er gefasst.

Boïndil stieß einen empörten Schrei aus. »Kampflos? Wir gewähren den Dritten den Triumph und sollen uns im Jenseitigen Land eine neue Bleibe schaffen?«

»Großkönig, ist es weise?« Balendilín hatte noch immer nicht aufgegeben. »Es wird tiefster Winter sein, bis wir die Gebirge verlassen, und wir haben Frauen und Kinder bei uns. Die Verluste werden gewaltig sein, ohne dass uns ein einziges Rudel Bestien angreift. Und wir ahnen nicht mal, was uns im Jenseitigen Land erwartet. Oder im Nebel.«

»Ich weiß«, sagte Gandogar heiser. »Ich weiß es sehr genau, Balendilín. Ich werde jeden einzelnen Zwerg beweinen und mich vor Vraccas deswegen verantworten, denn ich habe den Befehl gegeben, hinaus in die eisigen Berge zu gehen, Grate und Gipfel zu überwinden.« Tränen standen in seinen Augen. »Dennoch lassen wir die Heimat mit dem Wissen zurück, dass sie fortbestehen wird und wir eines Tages zurückkehren können. Es ist kein Abschied für immer.«

»Also doch ein Krieg gegen die Dritten. Nur später«, sagte der Einarmige. »Er wird furchtbar werden. Du kannst dir denken, dass wir uns an unseren eigenen Bollwerken aufreiben und die Dritten uns mit Pfeilen, Steinen und heißer Schlacke eindecken werden, bis keiner von uns mehr übrig sein wird.« Sein Finger senkte sich auf die Karte, deutete auf das Schwarze Gebirge. »Noch sind wir hier, noch können wir...«

Gandogar erhob sich zornig. »Will mir denn keiner zuhören? Habt ihr vergessen, welches Amt ich innehabe? Es ist zu gefährlich. Die Avatare scheinen uns zu kennen und zu beobachten, wie ihr Attentat mit dem falschen Djerůn beweist. Je eher sie von den Dritten aufgehalten werden, desto besser. Ich habe die Entscheidung gefällt, und ich sage, wir verlassen das Geborgene Land!« Er hob den Zeremonienhammer und schlug so fest auf den Tisch, dass er zerbarst. »Tungdil«, wandte er sich mit bebendem Leib an ihn, »geh zurück in die Versammlung und überbringe Romo Stahlherz meine Worte.«

Tungdil stand auf, verneigte sich und verließ zusammen mit Myr den Raum. »Es ist nicht gut«, sagte er unterwegs halblaut. Wenn sie schon so viel wissen, warum haben die Avatare dann den falschen Djerůn zu Andôkai geschickt und nicht ins Schwarze Gebirge, um die Waffe der Dritten zu vernichten?