»Sicher sind Zweifel berechtigt, Geliebter. Aber überlege selbst: Würden die Zwergenherrscher lieber auf ihn oder auf deine Worte hören, die vom sicheren Untergang des Geborgenen Landes künden?«
»Romo hat auch nichts bewiesen, und sie sind auf seinen Vorschlag eingegangen.« Tungdil blieb störrisch, überlegte dann aber. »Ja, ich verstehe. Die Lüge klingt besser.«
»Wäre ich Gandogar und müsste zwischen euch beiden abwägen, stünde das größere Gewicht auf der Seite der Dritten. Haben sie Recht und wir halten uns nicht an die Abmachung, wird das Geborgene Land vernichtet. Ich wollte diese Schuld nicht ein Leben lang mit mir herumtragen.«
»Und stattdessen schickst du tausende von Zwergen ins Verderben, obwohl du dir nicht sicher sein kannst, dass es keine Lüge ist?«, brauste er auf. »Das ist doch nicht dein Ernst, Myr. Bedenke, was es bedeutet, wenn wir ausgesperrt sind. Wir können uns lediglich mit List oder Gewalt einen Weg zurück in unsere Heimat bahnen, während die Dritten sich über unsere Dummheit goldgelb lachen, weil wir auf ihre Finte hereingefallen sind.« Er stand auf. »Ich muss Gandogar, den anderen Königen und den Clanoberhäuptern wenigstens diese zweite Möglichkeit vor Augen halten, auch wenn ich deine Vorbehalte verstehe.«
»Du wirst sie sicher gleich noch einmal hören.« Sie schaute zu ihm auf. »Tungdil, mich hast du nicht überzeugen können.« Sie küsste ihn auf den Handrücken. »Ich wünsche dir, dass Vraccas mit dir ist.«
»Wir danken dir dafür, dass du uns vor einem Betrug warnen möchtest.«
Tungdil wusste, was die einleitenden Worte bedeuteten, Gandogar hätte sich die folgenden Sätze sparen können. Es ist mir nicht gelungen, sie zu überzeugen. Die Erklärungen des Großkönigs, die sich nun anschlossen, hörte er gar nicht mehr richtig, sie glichen denen Myrs, genau wie sie es prophezeit hatte.
Stattdessen schaute er über die Gesichter der Könige, der Königin und deren Begleiter, die beunruhigt, besorgt und zutiefst unglücklich dreinblickten. Sie überlegen, wie sie ihren Clans den Befehl des Großkönigs erklären sollen. Warum Zwerginnen und Zwerge sterben müssen - und das vielleicht nur wegen der Boshaftigkeit der Dritten. Er verneigte sich vor Gandogar, obwohl der immer noch sprach, und nahm wieder Platz.
Der Großkönig nahm ihm die mangelnde Ehrerbietung nicht übel. »Ich weiß, dass ich als der wohl schlechteste Großkönig aller Stämme in den Büchern unseres Volkes eingetragen werde, aber Lorimbas lässt mir keine andere Wahl. Wir haben unser eigenes Wohl unter das der Völker des Geborgenen Landes zu stellen, wie Vraccas es von uns verlangt.« Er stand auf. »Wir reisen ab. Erinnere Gemmil daran, dass das Abkommen auch für seine Freien gilt. Jetzt, wo die Dritten die geheimsten Städte kennen, werden sie auch diese angreifen und besetzen wollen.« Er grüßte ihn mit einem Handzeichen und verließ die Zusammenkuft. Nach und nach leerte sich die Halle.
Tungdil schlug die Hände vors Gesicht. Der Kummer über das, was seinem Volk bevorstand, drohte ihn zu übermannen.
Um ihn herum wurde es leiser, sodass er glaubte, er wäre allein. Umso mehr erschrak er, als sich eine Hand auf seine Schulter legte. Er ließ die Hände sinken, blickte nach oben und schaute in das bärtige Gesicht Boëndals.
»Verzweifle nicht, Gelehrter. Mich hast du überzeugt.« Er trat zur Seite und machte Platz für eine Hand voll Zwerge, denen die Entschlossenheit in den Zügen gemeißelt stand. »Deine Worte haben ihre Wirkung nicht verfehlt, wenn auch nicht bei den Königen und der Königin, so doch bei dem ein oder anderen, der vernommen hat, mit welcher Inbrunst und Überzeugung du sprachst.«
Sie stellten sich ihm der Reihe nach vor, alle vier Stämme waren vertreten.
»Und?«, griente Boïndil. »Kannst du mit ihnen was anfangen? Hast du noch immer einen Plan, den du eigentlich den Herrschern vorschlagen wolltest? Wir hören dir gern zu.«
»Meinen Plan?« Tungdil dankte Vraccas, wenigstens ein paar Verbündete gefunden zu haben. »Nein«, antwortete er langsam, und ein breites Grinsen entstand auf seinem Antlitz. »Ich denke, ich habe mir soeben einen anderen, besseren einfallen lassen.«
»Um es dir gleich zu sagen, Tungdil Goldhand«, erhob einer von ihnen die Stimme, »ich werde nichts tun, was Verrat an meinem König, meiner Familie und meinem Clan bedeutet.«
»Es ehrt dich. Ich würde so etwas auch niemals von euch verlangen.« Sein Blick schweifte über die Reihe der Anwesenden. »Eher würde ich meinem Freund Ingrimmsch befehlen, mir den Kopf von den Schultern zu hauen.« Er winkte sie näher zu sich heran. »Aber ich werde euch mit einer Aufgabe betrauen, das ist sicher. Mit eurem Mut und dem Beistand des Göttlichen Schmieds...«
»... den wir mit Sicherheit haben«, warf Boïndil ein.
»... bereiten wir den Dritten eine böse Überraschung.« Und er erklärte ihnen, was sie zu tun hatten.
Narmora sprang aus dem Bett, eilte den Korridor entlang und stürmte in das Schlafzimmer von Furgas. Kurz darauf war auch Rodario bei ihm.
»Hat er geschrien?«
»Ja«, antwortete sie knapp. »Lauf und hole Myr. Sie wird erkennen, was ihn plagt.« Der Schauspieler rannte los.
Ist es schon soweit? Lässt der Zauber nach, mit dem Andôkai dich belegte?, fragte sie bang und tupfte Furgas den Schweiß von der Stirn und den Wangen.
Das Tuch färbte sich rosa. Unter das salzige Nass mischte sich Blut, es sickerte in dünnen Bahnen unter den geschlossenen Lidern hervor. Nein! Ich bin noch nicht bereit, dich von dem Gift zu befreien, das dir Andôkai verabreicht hat.
Narmora wartete ungeduldig auf das Erscheinen der Chirurga, die bald darauf zusammen mit Tungdil eintraf.
Myr untersuchte Furgas genau, horchte nach seinem Herzen und der Atmung, besah sich den Urin im Nachttopf und roch an der Haut. »Fieber. Bösartiges Fieber, hervorgerufen durch eine Vergiftung, lautet meine Vermutung.« Sie blickte Narmora an. »Sein Herz rast, ehrenwerte Maga. Es wird schneller und schneller, wie ein Hammerwerk, das von einem reißenden Bach angetrieben wird und ohne Wächter ist. Es wird zerspringen, wenn Ihr nichts dagegen unternehmt.«
Die Maga zuckte zusammen. »Ich... bin auf der Suche nach einem Zauber und habe gehofft, dass du etwas mischen könntest, um seine Qualen zu lindern.«
Myr hob die Augenbrauen. »Eine Vergiftung, die Eurer Macht trotzt? Dann muss es ein schreckliches Gift sein.«
»Kannst du ihm helfen oder nicht?«, fragte Narmora schärfer als beabsichtigt. »Beruhige sein Herz, Myr!«
»Ohne das Gift zu kennen, ist es mir nicht möglich, ehrenwerte Maga«, bedauerte sie. »Sein Leben liegt in Eurer Hand.« Sie packte ihre Utensilien zusammen und stand einen Moment unschlüssig im Raum, bis sie und Tungdil von Namora mit einem Kopfnicken entlassen wurden.
Kaum waren sie verschwunden, langte die Maga unter die Robe, holte den Malachitsplitter hervor und berührte die scharfkantigen Ränder, an denen noch das getrocknete Blut Andôkais haftete. Also muss es sein. Mit fliegenden Fingern wusch sie das Blut ab, öffnete die Robe und konzentrierte sich. Dabei richtete sie all ihre magische Aufmerksamkeit auf den Stein.
Plötzlich begann er zu leuchten und erwärmte sich, wurde heißer.
Samusin, ich bitte dich, schütze mein Leben und das von Furgas. Sie setzte die Spitze unterhalb ihres Brustbeins auf die helle Haut. Ihre Armmuskeln spannten sich und bereiteten sich darauf vor, den Malachit in sie hineinzutreiben, wie es Nudin einst bei sich getan hatte.
Nimm mein Leben, um seins zu erhalten, Samusin. Dann sterbe ich gern. Sie schloss die Augen und drückte sich den Splitter ins Fleisch.
Der Schmerz war unbeschreiblich.