Hosjep nahm seinen Hammer und Nägel, um sich weiter um den Onager zu kümmern. Wie gut, dass ich die Truppen nicht bis dorthin begleiten muss, dachte er fröstelnd.
Bis zum Sinken des Sonnengestirns kletterte er auf der gewaltigsten der Schleudern herum und machte sich beim Einbruch der Dämmerung zum Absteigen bereit. Dabei ging er sorgfältig vor, denn es gab keine Sicherungsleine oder Fangnetze. Ein Fehltritt bedeutete einen Sturz aus mehr als zehn Schritt Höhe.
Überall im Lager, in dem neue Rekruten eingetroffen waren, wurden große Feuer entzündet. In die frisch ausgehobenen Gräben um die Zelte herum legten die Soldaten mit Pech und Teer getränkte Tücher und zündeten sie an. So schufen sie einen Ring aus Flammen, durch den kein Alb hindurchgelangen konnte, ohne sich schwere Verletzungen zuzuziehen. Jede Stunde, so lautete die Anweisung, wurde etwas von der stinkenden Masse nachgeschüttet, die so zäh war, dass sie nicht im Erdreich versickerte. Den beißenden Qualm und den Gestank nahmen die Männer gern in Kauf. Sie bildeten im Vergleich zum Tod das kleinere Übel.
Hosjep war zufrieden. Die Wurfmaschinen erhoben sich erneut und drohten den Resten des Waldes mit ihren langen Armen; in zehn Umläufen wären zudem die Lager mit Petroleum und Öl vollständig aufgefüllt. Im Grunde sah es gut für das Heer aus.
Wenn da nicht die Angst, die Geschichten und der Aberglaube gewesen wären...
Zeit für ein gutes Mahl und einen Humpen Bier! Hosjep freute sich auf sein Bett aus Stroh, auf dem er seine müden Glieder ausruhen konnte. Er sprang auf den schräg nach unten zeigenden Wurfarm und wollte auf dem mannsbreiten Balken nach unten balancieren, als er sah, dass die Flamme des Feuers neben der Maschine kleiner wurde, sich ängstlich zusammenduckte und ins Holz kriechen wollte.
Hosjep verharrte an seinem Platz und schaute sich um.
Nicht nur dieses Feuer verhielt sich merkwürdig. Alles, was brannte, von der Kerze auf dem groben Tisch der Soldaten bis zur Öllampe vor dem Zelt des Kommandanten, litt daran, verkleinerte sich und verlor seine Leuchtkraft, bis es auf einen Schlag stockfinster im Lager wurde.
Der Zimmermann hörte keinen Laut. Die Menschen waren vor Schreck erstarrt, horchten in die Finsternis und beteten, dass sich nichts regte.
Ich hätte niemals geglaubt, dass es nachts so dunkel werden könnte. Sogar der Mond und die Sterne verbergen sich hinter den Wolken. Hosjep kam es so vor, als würde das gesamte Heerlager von Schwärze umfangen, die es ihm unmöglich machte, die Hand vor Augen zu sehen.
Die Pferde rochen etwas. Laut wieherten sie ihre Furcht heraus, versuchten sich loszureißen. Die Pfosten, an denen ihre Leinen festgebunden waren, ächzten und gaben schließlich der geballten Kraft nach.
Er hörte das Knirschen und Krachen, dann donnerten hunderte von Hufen durch das Lager, rissen Zelte um, trampelten Soldaten nieder. Die Tiere sahen genauso wenig wie die Menschen und wandten sich blind in die entgegengesetzte Richtung, aus der die Witterung in ihre Nüstern stieg. Gelegentlich spürte Hosjep eine Erschütterung des Holzes, wenn eines der Pferde dagegen rannte.
Staub wirbelte bis zu ihm hinauf, er roch Asche von erloschenen Feuern. Allmählich endete das ohrenbetäubende Rumpeln; die Pferde waren geflohen und wieherten leise in der Ferne.
»Sammeln«, schrie ein Offizier, der besonders abgebrüht war, um die erschrockenen Rufe und das Jammern der Verwundeten zu übertönen. »Dritter Zug zu mir, formiert euch. Die Pikenträger nach vor...« Er verstummte, und gleich darauf erklang das Fallen eines gerüsteten Körpers.
Alle, die nahe genug gestanden hatten, wussten, was es bedeutete.
»Weg!«, brüllte jemand angsterfüllt, eine Waffe fiel zu Boden, und schnelle Schritte erklangen. »Sie sind im Lager! Sie sind hier!«
Hosjep kauerte sich flach auf den Onagerarm und hoffte, dass er so weit oben und zwischen den senkrecht aufragenden Holzpfeilern vor aller Augen verborgen war, falls die Dunkelheit wich.
Um ihn herum brach das Sterben an.
Ein einzelner, lang gezogener Todesschrei leitete das Gemetzel ein, und die Geräusche, die ihm ein grausamer Wind aus allen Ecken des Lagers zutrug, würde er in seinem ganzen Leben nicht mehr vergessen.
Die Albae schienen sehr genau zu wissen, wo sich die Soldaten befanden. Unablässig sirrte es aus allen Richtungen. Ein verirrter Pfeil traf den Zimmermann ins Bein, doch er biss die Zähne zusammen, um sich nicht durch einen Schmerzenslaut zu verraten.
Das Klirren von Schwertern und die gellenden Schreie der Menschen hielten an. Dann riss die Wolkendecke auf; die Nachtgestirne durchbrachen die Finsternis und offenbarten Hosjep das grausame Schlachten.
Die Leichen der Soldaten lagen übereinander und bildeten einen grotesken Teppich, der mit zahlreichen dunklen Flecken besät war, wo das Blut der Sterbenden die umliegenden Kadaver besudelte.
Auf diesem Teppich eilten die Albae hin und her, stets auf der Suche nach Überlebenden, die sich unter den Bergen aus Leichen tot stellten und sich so das Leben erhofften. Zielsicher wurden sie gefunden und besonders grausam hingerichtet.
Palandiell, sei mir gnädig. Sie haben alle umgebracht! Hosjep entdeckte nicht einen einzigen erschlagenen Alb. Wie konntest du das zulassen?, haderte er mit seiner Schutzgöttin, Tränen des Entsetzens in den Augen.
Eine Albin kam über die Kadaver geritten, getragen von einem Stier mit gewaltigen Hörnern, die wie der Schädel von einer eisernen Maske umschlossen waren. In den Aussparungen für die Augen loderte es glutrot. Sie rief den Albae in ihrer Nähe etwas zu, woraufhin einige die Kehlen der Toten öffneten, um das Blut in Gefäßen aufzufangen. Andere machten sich an den Wurfmaschinen zu schaffen, bestrichen sie mit Pech und gossen das restliche Petroleum darüber.
Ich kann wählen, ob ich lieber verbrenne oder abgeschlachtet werde, dachte Hosjep verzagt. Wenn die Flammen höher schlugen, würde er sich den Pfeil aus dem Bein ziehen und ihn sich durchs Herz stoßen. Lieber verbrennt mein Leib, als dass ich in ihre Hände falle, entschloss er sich.
Da hob der Bulle den Kopf und schaute geradewegs zu ihm auf; sein Schnauben machte die Reiterin aufmerksam, und sie folgte seinem Blick.
Der Zimmermann erkannte ihr Gesicht nicht, es lag hinter einer Augenmaske und einem Stück schwarzem Stoff verborgen. Sie hob ihren Kampfstab und sagte etwas; ein Alb nahm seinen Bogen und schoss nach ihm.
Der Pfeil traf ihn in die linke Schulter. Aus dem Gleichgewicht gebracht, stürzte er hinab, prallte auf eine Seitenstrebe des Onagers und landete auf einer weichen Unterlage aus toten Körpern.
»Zurück! Zurück, ihr Dämonen!«, weinte er und wälzte sich herum, wollte aufstehen. Als ihm einer der Albae zu nahe kam und sich nach ihm bückte, zog er das Schwert eines Getöteten und stach so unvermittelt zu, dass die Klinge dem Feind in den Bauch stieß.
Aber der Alb starb nicht.
Er richtete sich auf, umfasste den Griff und zog sich die Schneide eigenhändig heraus. Schwarzes Blut floss aus der Wunde, doch der Strom verebbte bald.
Sie hat sich geschlossen! Hosjep kroch zurück. Deswegen haben sie keine Verluste... Palandiell, was haben wir dir getan, dass du unseren Feinden erlaubst...
»Mensch«, sprach ihn die Albin an. »Deine Götter waren dir wohlgesonnen, denn du hast das hier überlebt. Kehre zu deinem König zurück und berichte ihm davon. Sag ihm im Namen der Unauslöschlichen, dass wir nicht weichen werden. Wir haben neue Kräfte erhalten, Tion gab sie uns, und du hast gesehen, was sie bewirken.« Sie lenkte den Stier nahe an ihn heran. »Oder hast du Zweifel an dem, was du sahst?«
»Nein«, rief der Mann und wich noch weiter zurück. »Ich werde es Mallen ausrichten.«
»Dann geh.«