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Gegen Einbruch der Dämmerung entdeckte er das gleißend helle Licht, das am anderen Ende des Passes aufleuchtete, seine Strahlen hinauf bis zu den Wolken sandte und sich näherte. Ihm kam es so vor, als wanderte eine silberne Sonne auf der Erde entlang.

Noch war es weit entfernt, doch Tungdil konnte sich gut vorstellen, welche Wirkung es aus nächster Nähe hatte. Bereits auf diese Entfernung konnte er nicht lange hinsehen.

»Es geht los.« Narmora trat neben ihn und legte die Hände auf die Brüstung. »Ich frage mich, ob wir nicht einfach mit ihnen verhandeln sollen. Warum sollen wir ihnen nicht sagen, dass es Nôdʹonn und den Dämon nicht mehr gibt und wie wir ihn vernichtet haben? Sie hätten keinen Grund, bei uns einzufallen.«

»Und wer soll das tun? Hingehen und mit ihnen sprechen?«, meinte Tungdil.

»Ich brauche eine Jungfrau«, sagte sie.

»Wieso, o unheimliche Unheimliche? Hat Djerůn etwa Appetit auf etwas Zartes?«, erwiderte Rodario trocken, als er sich zu ihnen gesellte.

»Keine Späße, Unglaublicher«, wies sie ihn zurecht. »Die Avatare verschonen das Reine, also werden sie einer Jungfrau nichts tun. Hoffe ich. Sie wird hinausgehen und ihnen erklären, dass sie zu spät kommen.« Sie schaute zu Tungdil. »Ich würde liebend gern selbst hingehen, aber ich würde ihnen wohl weit eher einen hervorragenden Grund bieten einzumarschieren.«

»Denkst du wirklich, das Vorhaben könnte gelingen?«

»Nun, wir sollten es wenigstens versuchen«, lautete ihre Antwort. »Oftmals ist die einfachste Lösung die richtige.«

So geschah es, dass gegen Abend eine junge Zwergin, gehüllt in weiße Pelze, die Hauptfeste verließ. Fyrna Edelhaupt aus dem Clan der Erzfinder, gerade einmal 24 Zyklen alt, nach zwergischen Richtschnüren noch juvenil sowie von keinem Zwergenmann berührt, wurde von Xamtys aus der Schar der Freiwilligen ausgesucht, die sich gemeldet hatten.

Narmora hatte ihr erklärt, was sie sagen sollte. »Mehr nicht. Wenn sie verhandeln wollen, kehrst du zu uns zurück und überbringst uns ihre Forderungen«, schärfte sie ihr ein. »Kein Wort über unsere Krieger und die Vorbereitungen.«

Die junge Zwergin gehorchte und schritt die Schlucht entlang. Obgleich sie mutig erschien, zuckte sie zusammen, als sich ein Wehr nach dem anderen hinter ihr schloss.

Sie verschwand in den Biegungen und war für die Augen der Zwerge bald nicht mehr zu erkennen, denen nichts anderes übrig blieb, als für sie zu beten und auf ihre Rückkehr zu hoffen.

Der grelle Schein bewegte sich unbarmherzig weiter.

Mitten in der Nacht, der Mond stand voll über dem Roten Gebirge, verharrte das Leuchten auf der Stelle, was von den Wartenden sehr schnell bemerkt wurde.

»Das gute Kind ist bei ihnen angelangt«, schätzte Xamtys angespannt. »Vraccas, bewahre sie vor Schaden!«

Narmora stützte die Arme auf die Zinne und ließ den Glanz nicht mehr aus den Augen. »Ich hoffe, dass sie ein Einsehen haben und abziehen.«

»Da!« Ingrimmsch zog an Tungdils Arm, dann deutete er auf das Licht. »Seht ihr, wie es schwächer wird?«

»Fyrna hat es geschafft!«, rief Xamtys ungläubig. »Vraccas... ich opfere dir meinen gesamten Hort, wenn du uns diese Prüfung ersparst!«

Tatsächlich verringerte sich sie Helligkeit, bis sie zu einem Widerschein an den Felswänden wurde und gänzlich verlosch.

Es ist tatsächlich geschafft! Tungdil wandte sich lachend zu Narmora. »Du hattest Recht! Die einfachste Antwort ist oftmals die richtige.«

Den Zwergen auf den Wehrgängen der Festung und auf den Wällen in der Schlucht entging das Geschehen nicht. Sie jubelten laut, die Spannung fiel von ihnen ab, und für wenige Augenblicke fielen die Schranken zwischen den Ersten, den Freien und den Dritten. Die Freude einigte sie. Kurz.

»Warten wir ab, was uns Fyrna erzählt«, sagte Tungdil und schüttelte der Maga die Hand. Dann ging er hinein, um sich einen Humpen heißes Gewürzbier zu nehmen und auf dem Turm die Rückkehr der tapferen Botin mitzuerleben.

Die Nacht verstrich.

Die Morgensonne erhob sich über die Gebirgskämme und wärmte die frierenden Zwerge mit ihren ersten Strahlen. Die Zuversicht der Zwerge wuchs.

Doch Fyrna Edelhaupt aus dem Clan der Erzfinder kam nicht.

Gegen Mittag ließ Xamtys einen Erkundungstrupp ausschicken, weil das Wetter sich zu verschlechtern drohte und bei einem Schneesturm keiner mehr einen Fuß vor die Tür setzen konnte.

Stunden später kehrten sie zurück, mit einer bewusstlosen, aber lebendigen Botin. Narmora untersuchte sie und kümmerte sich um die Erfrierungen, welche die Nacht im Schnee der jungen Zwergin beschert hatte.

»Ansonsten fehlt ihr nichts«, beruhigte sie Tungdil und die anderen nach einer ersten Begutachtung. Sie weckte sie mit leichten Schlägen gegen die Wange und reichte ihr einen Becher heißen Flechtentee.

Hastig trank Fyrna davon. »Ich habe versagt, Königin«, gestand sie bibbernd und beugte niedergeschlagen das Haupt vor Xamtys. »Ich kam zu spät.«

»Du kamst zu spät? Was soll denn das nun wieder heißen?« Boïndil deutete zur Schlucht. »Da unten sind sie nicht, also wo, bei allen Bestien Tions, sind sie hin verschwunden? Haben sie sich in Reinheit aufgelöst?«

»Sei ruhig«, brummte Boëndal und rempelte ihn in die Seite.

»Ich näherte mich ihnen, so weit es ging, doch irgendwann war das Licht zu grell. Also rief ich laut, um auf mich aufmerksam zu machen«, begann sie ihre Erzählung. »Eine Gestalt aus Licht flog heran und fragte mich freundlich, was ich wolle.« Fyrna schaute zu Narmora. »Ich sagte ihr genau die Worte, die Ihr mir aufgetragen hattet, ehrenwerte Maga, doch die Gestalt lachte. Es war ein grausames, klares Lachen, wie ein hoher und heller Ton, der durch meinen Körper lief. Ich spürte ihn.« Sie nahm einen Schluck. »Die Gestalt sagte, ich solle mich nicht sorgen, es ginge rasch. Dann berührte sie mich, und ich... erwachte hier bei euch.«

Tungdil schaute in die besorgten Gesichter seiner Freunde. »Wenn sie nicht hier sind und auch nicht auf dem Weg zu uns, wo sind sie dann verblieben?«

»Im Tunnel«, ertönte Lorimbasʹ Stimme krächzend hinter ihnen. Der Dritte hatte sich ihnen unbemerkt genähert und die letzten Worte vernommen. »Sie haben unsere Tunnel entdeckt.«

Tungdil lief ein Schauder über den Rücken. »Sie werden mitten im Geborgenen Land erscheinen. Und am Schwarzjoch erwartet sie niemand«, flüsterte er entsetzt. »Wir stehen an der falschen Stelle, um sie aufzuhalten!«

Die Betroffenheit lähmte sie. In ihrer Vorstellung sahen sie, wie das reine Licht aus dem Berg schwebte und das Weiße Heer ihm folgte und auf der vergeblichen Suche nach Nôdʹonn ganze Städte und Länder zu Asche verbrannte.

»Bin ich in einer Gruft? Genug geschwiegen«, forderte Ingrimmsch entschieden. »Worauf warten wir noch? Wir wissen, wo wir gebraucht werden.«

Das Geborgene Land, das Königreich Gauragar,

Schwarzjoch,

6234. Sonnenzyklus, Frühwinter

Theogil Harthand nahm die Kette mit beiden Händen und zog fest daran. Die Umlenkrollen und die Funktionsweise des Flaschenzugs erleichterten ihm die Arbeit. So hob er die herrenlose Lore, die auf der falschen Schiene gestanden hatte, mühelos an und von den Gleisen.

Er wusste nicht, woher sie gekommen war.

Als er seinen Dienst angetreten hatte, hatte sie da gestanden. Wahrscheinlich hatte sie sich aus einem toten Gleis gelöst, doch glücklicherweise war sie unterwegs mit keiner anderen Lore kollidiert, in der Zwerge saßen. Das hätte sicherlich einen schweren Unfall nach sich gezogen. Nun blockierte sie die Spur für eventuelle Nachzügler, die im Schwarzjoch einen Halt einlegten, ehe sie weiter ins Rote Gebirge rollten, um sich den Avataren zu stellen.