Die Gefangene warf ihr einen mörderischen Blick zu und zuckte dann mit den Schultern. »Vielleicht, Schwarzauge.«
»Also nicht.« Es sieht aus, als rönne geschmolzenes Palandium über die Erde... Für Ondori kam nur eine Lösung für das Phänomen in Frage, und die lautete: Andôkai.
Die Maga musste von den Menschen so lange beschwatzt worden sein, bis sie sich einen Zauber hatte einfallen lassen, um gegen ihr Volk vorzugehen. Kaum nahm die Idee in ihren Gedanken Form an, so schalt sie sich selbst deswegen. Der Beiname »die Stürmische« verriet, dass sich die Maga auf Winde und derlei verlegt hatte. Es wäre bestimmt nicht ihre Art, nachts wie ein Fanal durch die finstere Gegend zu ziehen und die Späher der Albae dankenswerter Weise auf ihr Kommen aufmerksam zu machen.
Was geht dort vor? Ondori hatte ein ungutes Gefühl, das klare Weiß des Lichtes schmerzte ihr in den Augen. »Halt«, rief sie laut. »Lasst die Abteilungen umkehren.« Zur Erklärung deutete sie auf das schimmernde Band. »Wir sehen uns das genauer an, bevor wir uns um Âlandur kümmern.«
Die Melder ritten auf ihren Nachtmahren los, um ihren Willen weiterzutragen, zwei blieben bei ihr. Gedankenverloren berührte Ondori das Mal auf ihrer Stirn, das der Segen der Unauslöschlichen auf ihrer Haut hinterlassen hatte. Sie konnte sich täuschen, doch es begann zu brennen, als hätte es sich entzündet.
»Ondori«, sagte einer der Melder und wies nach Süden. »Ist da nicht auch Feuerschein?«
Sie strengte sich an, um etwas zu erkennen, und sah in der Tat viele Meilen entfernt einen Schein, der demjenigen glich, welcher sich ihnen näherte. »Von ihm droht uns keine Gefahr«, stellte sie beruhigt fest. »Aber wir behalten ihn im Auge. Nicht dass er - was immer er ist - uns umgeht und von Norden her angreift!«
»Also haben wir es mit zwei Heeren zu tun«, vermutete der Melder und lächelte. »Die Unauslöschlichen werden sich freuen, so viele neue Knochen überbracht zu bekommen.«
Sie rieb sich die stechenden Narben auf der Stirn. »Gewiss«, murmelte sie und empfand eine ungewohnte Unsicherheit beim Anblick des Lichts, das sich geschwind näherte. »Beeilen wir uns. Ich möchte wissen, womit wir es zu tun haben.«
Während die Sonne aufging, beobachtete Ondori den Heereszug, auf dessen polierten weißen Rüstungen sich die Strahlen spiegelten und es unmöglich machten, sie länger zu betrachten. Die Banner mit den Runen waren ihr völlig unbekannt und stammten sicherlich nicht aus dem Geborgenen Land.
»Zweitausendfünfhundert Mann Reiterei und nochmals zwanzigtausend Mann Fußtruppen«, überschlug einer der Melder an ihrer Seite die Menge der namenlosen Feinde. »Wir sollten den Unauslöschlichen Bescheid geben.«
»Unsere Späher werden sie sicherlich entdeckt haben«, beruhigte Ondori ihn und kniff die Augen eng zusammen. »Wir greifen ihre Nachhut an, sobald es Abend geworden ist und ihre verdammten Harnische nicht mehr wie Diamanten funkeln. Ich möchte ein paar von ihnen gefangen nehmen, damit wir sie verhören können.«
Das Wenige, das sie von den Rüstungen und der Kleidung erkannte, passte zu keiner der Truppen, denen sie je gegenübergestanden hatte, und dabei hatten am Schwarzjoch Soldaten aus allen Menschenreichen gekämpft. Woher kommt dieses Heer? Sie fand es ungewöhnlich, dass man ihnen ausländische Söldner auf den Hals hetzte und zuvor nichts davon zu hören gewesen war. Schließlich hatten genug Albaespäher die Gespräche an den Lagerfeuern der Belagerer Dsôn Balsurs belauscht.
»Wer immer sie sind, ich werde sie herzlich nach Art der Albae begrüßen«, lachte sie böse und kehrte zusammen mit ihren Begleitern zu ihrer Truppe zurück, mit der sie sich in aller Ruhe bis zum Abend an das Ende des feindlichen Heeres hängte und darauf lauerte, dass die Sonne versank.
Die Zwergin hatten sie an einen Baum gebunden; sie gaben ihr Schnee zu essen, damit sie nicht verdurstete.
»Es wird nicht lange dauern. Wir sind bald wieder bei dir, um dich zu den Unauslöschlichen zu bringen«, versprach ihr Ondori und bewegte probehalber ihren Fuß. Das Schwarze Wasser hatte die Wunde am Unterschenkel geheilt, sie fühlte sich an, als hätte sie niemals einen Dolch zu spüren bekommen.
Die Albin stieg in den Sattel des Bullen und setzte sich an die Spitze des Trupps.
Was sie sah, als sie die Nachhut aus einem Versteck heraus beobachteten, schmeckte ihr nicht. Die Rüstungen der Fremden hatten die Strahlen der Sonnen gespeichert, sie verloren kaum etwas von ihrem Gleißen und zwangen Ondori zu einem ungewöhnlichen Befehl. Sie ließ ihre Krieger die Binden mit den dünnen Schlitzen über die Augen legen, mit denen sie sich bei Märschen über Schneeflächen vor Blindheit schützten.
Mehr schlecht als recht vor dem merkwürdigen Weiß bewahrt, griffen sie die Nachhut aus dem Hinterhalt an.
Schon beim Ansturm auf die hinteren Reihen überfiel Ondori Unsicherheit. Agrass schnaubte und tänzelte aufgeregt, anstatt wie sonst in gestrecktem Galopp in die Linien der Feinde zu brechen und sie durcheinander zu bringen. Je näher sie kam, umso heißer fühlte sich das Mal auf ihrer Stirn an.
Das Gefecht begann unerwartet schlecht.
Die unbekannten Soldaten mussten ihre Attacke erahnt haben, oder sie verstanden sich so gut aufs Kriegshandwerk, dass sie durch nichts aus der Ruhe zu bringen waren.
Als der Erste von ihnen durch einen Albaepfeil aus dem Sattel geholt wurde, formierten sich die Schildträger auf der Stelle zu einem Wall. Hinter sie begaben sich Teile der Reiterei, welche mit ihren langen Schilden die Mauer auf gut drei Schritt aufstockten; durch die Lücken schoben sich Lanzen und Hellebarden.
Plötzlich flammte über den Albae eine Mitternachtssonne auf und überschüttete sie mit kaltem, weißem Glanz. Ondori schrie auf, als ihr Mal auf der Stirn wie flüssiges Feuer brannte und ihr unsägliche Qualen bereitete. Der Angriff geriet ins Stocken.
»Ihr seid die Albae, wie uns berichtet wurde«, sprach die Sonne zu ihnen. »Ich spüre, dass ihr verdorben seid und den Samen Tions in euch tragt, um ihn ständig weiterzuverbreiten.« Die Sonne schien heller, heißer. »Doch damit hat es nun ein Ende. Ihr werdet das Geborgene Land nicht länger mit eurer Existenz bedrohen.«
Eine Glutwelle rollte über die Albae hinweg, ein Drittel von ihnen stand in Flammen und wälzte sich in Agonie auf dem getauten Boden, um das Feuer zu ersticken. Doch vergebens.
Ondori sah die glühende Wolke vorwärts stieben und warf sich unter ihren Stier, hoffend, dass er sie mit seinen Hufen nicht zertrampelte.
Sie schloss die Augen und spürte die sengende Hitze. Um sich herum hörte sie es knistern, als Haare und Kleidung ihrer Krieger Feuer fingen; es stank bestialisch. Sie bekam einige heftige Tritte von den Hufen ihres Bullen ab, dann endete der mörderische Hauch, der geradewegs aus dem Maul eines Drachen zu kommen schien.
Die Albin sprang auf die Füße und sah die verkohlten, zuckenden Reste ihres Stiers auf dem Boden liegen. Das Feuer hatte selbst die eiserne Kampfmaske teilweise verflüssigt, was dem Bullen letztlich den Tod gebracht hatte.
»Weg!«, schrie sie laut. »Zurück in den Wald!«
Ihre Befehle gingen in den höhnischen Rufen der fremden Soldaten unter, die ihrerseits den Angriff eröffneten. Die Reiterei der Nachhut preschte vorwärts, galoppierte auf ihren Schimmeln unerschrocken durch die schwarzen Linien der Albae und stach und schlug dabei Dutzende von ihnen nieder.
Ondori erstarrte. Obwohl die meisten ihrer Krieger nur Treffer in den Körper erhielten, erhoben sie sich nicht wieder. Welches Wunder auch immer an den Waffen der Gegner haftete, es war stärker als die Macht des Schwarzen Wassers.
Wir sind so verletzlich wie gewöhnliche Kämpfer, dachte sie voller Entsetzen und wandte sich zur Flucht. Gegen diesen Feind gab es kein Bestehen.