Выбрать главу

Ondori wagte keinen Widerstand, Narmora war zu einschüchternd und zu überzeugend. »Ich werde deinen Willen erfüllen«, stammelte sie. »Damit du siehst, dass ich dich nicht betrügen werde, verrate dich dir, wo ich eine Gefangene angebunden habe. Eine Unterirdische.« Sie beschrieb den Weg zu dem Baum, wo sie die Zwergin zurückgelassen hatten, dann eilte sie aus dem Lager und verschwand in der Dunkelheit.

»Ich will nicht wissen, was du gesagt hast«, meinte Boïndil missmutig. »Ich will auch diese Sprache nicht gehört haben.«

»Dann hätte ich allerdings nicht erfahren, dass nicht weit von hier eine Zwergin auf ihre Befreiung wartet«, gab Narmora grinsend zurück, während ihre Augen wieder ihre normale Farbe annahmen. »Soll ich Djerůn schicken, oder wollt ihr sie selbst befreien?«

Diese Frage hätte sie gar nicht zu stellen brauchen. Für die Zwerge war es eine Selbstverständlichkeit, eine der Ihren aus der misslichen Lage zu befreien, und so zog Tungdil mit den Zwillingen und dreißig Freiwilligen durchs Unterholz, um die Gefangene zu suchen.

Sie erreichten die Stelle.

Allerdings war jemand vor ihnen da gewesen, wie sie am getauten Schnee und den zahlreichen Fußspuren im Matsch erkannten. An der Tanne lag das Seil, mit dem die Albin ihre Gefangene verschnürt hatte.

»Die Avatare haben sie gefunden.« Tungdil umrundete den Stamm auf der Suche nach einem Hinweis auf die Herkunft der Zwergin. Neben den Schuhabdrücken und halb in die Erde gestampft, entdeckte er eine zerrissene Halskette aus geschmiedeten Eisenplättchen, die mit winzigen Goldkügelchen versehen waren.

Er kannte sie nur zu gut.

»Balyndis«, presste er hervor, hob die Kette auf und befreite sie zärtlich vom Schmutz. Damit war den Fremden nicht nur seine wahre Liebe, sondern auch das Geheimnis von Djerůns Rüstung in die Hände gefallen.

»Wollen denn die Prüfungen gar nicht enden?«, grummelte Boïndil. »Irgendwann ist es auch für mich genug.«

Boëndal aber klopfte Tungdil tröstend auf die Schulter. »Einen besseren Ansporn, das Heer der Avatare zu vernichten, wird es nicht mehr geben, Gelehrter. Keine Sorge, wir befreien deine Schmiedin aus den Händen der Feinde.«

»Es ist nicht mehr meine Schmiedin, hast du das vergessen, Boëndal?« Tungdil wickelte die Kette um sein rechtes Handgelenk, über das Halstuch von Frala, seiner getöteten Menschenfreundin. Und wenn ich gegen alle Avatare einzeln antreten muss, Vraccas, ich bekomme sie wieder.

»Nein, ich habe es nicht vergessen. Sie ist Glaïmbars Weib. Dennoch wird sie immer deine Schmiedin sein.« Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: »Und ich wünsche mir, dass sie es eines Tages wieder richtig sein wird.«

Stumm gab ihm Tungdil Recht.

*

Tungdil, den Zwillingen und der Gruppe der zehntausend Dritten gelang es in einem Gewaltmarsch das Heer der Avatare zu überholen. Vor der Schneise, welche die Menschen in den Wald an der Grenze zu Dsôn Balsur gebrannt hatten, stellten sie sich auf. Zweitausend ließ Tungdil in zwei Abteilungen rechts und links von ihrer Hauptstreitmacht ins Unterholz kriechen und sich vor den Blicken verbergen.

Die Albin, die er in die Hauptstadt ihres Reiches geschickt hatte, überbrachte ihnen die Nachricht vom zeitweiligen Waffenstillstand, den sie an dem erfreulichen Umstand erkannten, dass es keine schwarzen Pfeile auf sie regnete und keine Albae über sie herfielen.

Andere hatten in der Vergangenheit weniger Glück gehabt als sie. Mit Grausen betrachteten die Zwerge die Reste der absonderlichen Skulpturen aus menschlichen Kadavern, welche die Albae als Zeichen ihres Triumphes in der Schneise aufgestellt hatten. Allenthalben wehten Fahnen aus abgezogener Haut im Wind, auf die albische Symbole und Runen mit dem Blut der Getöteten geschrieben waren. Die Witterung hatte den widerlichen Kunstwerken in den Sommermonaten bereits stark zugesetzt, der Frost bewahrte sie jedoch vor weiterem Zerfall, und der Schnee bedeckte die Leiber mit einem weißen Tuch und ersparte den Zwergen den Anblick erschreckender Einzelheiten. In Momenten wie diesen verspürten Tungdil und seine Freunde nicht übel Lust, die Avatare gewähren zu lassen.

Die Dritten zeigten ihre Angst, so sie überhaupt welche empfanden, überhaupt nicht. Ihre tätowierten Gesichter waren nach Süden gerichtet, von wo der Feind auftauchte; diszipliniert bildeten sie Reihe um Reihe, die Schilde vor sich haltend und in der freien Hand die Waffe.

Auf Boïndil, der sich wie sein Bruder stets in der Nähe von Tungdil aufhielt, machten sie mächtig Eindruck. Auch wenn es keiner der Zwillinge aussprach, sie sahen es als ihre Aufgabe an, das Leben ihres Freundes zu bewahren und ihn vor Anschlägen aus den eigenen Reihen zu schützen. Nur weil die Zwerge zusammen kämpften, bedeutete es nach wie vor nicht, dass sie einander vertrauten.

Ein Späher, den Tungdil ausgesandt hatte, kehrte am späten Nachmittag im Laufschritt zurück. »Sie kommen«, schnaufte der Zwerg. »Der Abstand unseres Hauptheeres dürfte etwa einen halben Sonnenumlauf betragen, ich habe sie am Horizont erkennen können.«

Tungdil bedankte sich bei ihm und sandte ihn zurück in die Reihen. »Einen halben Sonnenumlauf«, wiederholte er die Nachricht. »Das wird ein hartes Stück Arbeit.« Unwillkürlich dachte er an das schnelle Ende der viertausend Albae, die an die Avatare geraten waren. Ein verflucht hartes.

»Es wird nicht einfach, aber es ist nicht unmöglich«, versuchte Ingrimmsch ihn aufzuheitern und zog sein zweites Beil.

Stunden später kam ein unwinterlich warmer Wind auf, der die Ankunft ihrer Gegner ankündigte.

»Haltet die Linie«, mahnte Tungdil sie und ließ seine Anweisungen per Melder an die Hauptleute überbringen. »Wenn das Feuer kommt, hebt die Schilde schräg vor euch und duckt euch dahinter, dann rollt es über euch hinweg.«

Sie hörten das Donnern der Hufe. Die Reiterei der Avatare schwenkte herum und formierte sich in zwei langen Linien hintereinander; dahinter marschierte die Vorhut des Heeres auf und gab den Reitern samt Tieren Deckung mit langen Spießen, hinter die sie sich nach einem Angriff zurückziehen konnten.

Die Zwerge verfolgten das Treiben ungerührt. Erst als das Funkeln und Glitzern zu grell wurde, banden sie sich Tücher zum Schutz gegen die Helligkeit vor die Augen.

Dann löste sich eine Lichtgestalt aus den Reihen und näherte sich ihnen langsam. Sie schwebte über den Schnee, der unter ihr auf der Stelle zu Wasser wurde.

In einer Entfernung von zehn Schritten hielt sie an. Es war unmöglich, ein Gesicht in den gleißenden Umrissen auszumachen. »Ihr seid die Zwerge«, sprach sie mit unendlicher Güte in der Stimme. »Ihr habt das Geborgene Land seit tausenden von Zyklen vor den Bestien Tions beschützt, soweit es euch möglich war, und dennoch stellt ihr euch uns entgegen, die wir das gleiche Ziel verfolgen?«

»Avatar, wir bitten dich und deine zehn Begleiter, unsere Heimat sofort zu verlassen«, entgegnete Tungdil. »Ihr seid nicht gut für den Boden, die Menschen und alles Land um euch herum.«

»Wir haben einen Auftrag, Tungdil Goldhand«, antwortete die Stimme einnehmend. »Albae, Orks und Oger, von all denen bietet das Land uns etwas. Und so gehen wir nicht eher, bis wir sie vernichtet haben, um euch von ihnen zu erlösen, Tion zu demütigen und unsere Macht zu vergrößern, damit wir eines Tages gegen ihn selbst ziehen können.« Der Avatar schwebte näher, es wurde deutlich wärmer. »Gebt uns den Weg frei, Zwerge, und es geschieht euch nichts.« Seine schimmernde Hand wies nach Norden. »Der Turm und die Stadt sind unser Ziel.«

»Wir können es euch nicht erlauben, denn mit mehr Macht bringt ihr noch mehr Schlechtes über die Menschen.« Tungdil hob seinen Schild und machte sich darauf gefasst, von brennendem Weiß eingehüllt zu werden. »Wir Zwerge beschützen das Geborgene Land vor Gefahr. Da ihr eine Gefahr seid, bleibt uns nichts anderes übrig, als euch aufzuhalten. Und es wird für...«