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»Sie haben ihren Willen wohl noch nicht gebrochen, sonst wäre sie tot.« Tungdil legte sie sich über die Schulter. »Also haben sie ihrem Verstand auch nicht schaden können.«

Für ihn stand damit endgültig fest, dass die selbsternannten Abkömmlinge eines zweifelhaften Gottes keinerlei Gnade verdienten, auch wenn man ihnen die Ausrottung des Bösen durchaus zugute halten konnte. Doch nichts rechtfertigte ihr anmaßendes, grausames Verhalten gegenüber denen, die ihnen im Weg standen.

Er erhob sich auf und erstarrte. An der Wand der Ostseite des Raumes wartete sein Ziehvater Lot-Ionan!

»Ist es möglich?«, flüsterte er. Vorsichtig ging er auf den Mann zu, der ihn bei sich aufgenommen und groß gezogen hatte, bis er seinen Irrtum erkannte. Vor ihm erhob sich das, was Nôdʹonn aus seinem Mentor gemacht hatte: ein Ding, ein steinernes Abbild des geliebten Menschen. Der Zauber des Verräters hatte ihn in Fels verwandelt.

Unwiederbringlich, entsann er sich der Worte Andôkais. Er schluchzte, weil ihm der Anblick in der Seele wehtat und ihn an früher, die schönen Zyklen mit Lot-Ionan und der Magd Frala erinnerte. Tungdil berührte die Statue und wandte sich um. Es blieb keine Zeit für Trauer, nun war die Zeit des Hasses angebrochen.

Sie liefen zurück und stießen zur Amme, die sich ängstlich zur Flucht bereithielt. Von ihr bekam Balyndis eine dickere Decke, damit sie in der winterlichen Kälte nicht erfror. Furgas übernahm es, die ohnmächtige Zwergin zu tragen. Noch immer war ihr Eindringen in den Palast unbemerkt geblieben.

Ondori setzte sich an die Spitze, dahinter folgten die Zwerge, danach der beladene Furgas und die Amme Rosild mit Dorsa. Langsam, aber beständig kamen sie vorwärts, verließen das Gebäude durch einen der hinteren Ausgänge in den Garten und bewegten sich auf die Stelle zu, an welcher der verborgene Durchlass lag.

*

Das verdammte Miststück ist eine Avatara! Rodario handelte sehr ungalant. Er versetzte der aufgehenden Sonne, denn mehr als Helligkeit sah er im Augenblick nicht mehr, einen Tritt dahin, wo er den Hintern vermutete, sodass sie nach vorn gegen den Tisch geschleudert wurde. Es rumpelte, und das Gestirn erlosch.

Danach richtete er aufs Geratewohl seine beiden Flammenwerfer gegen die Soldaten und den anderen Avatar. Dabei schrie er aus dem Stegreif ersonnene Formeln, und als er die überraschten Schreie hörte, schleuderte er noch zwei der Glasröhrchen mit Säure hinterher. Anschließend hechtete er unter den Tisch.

Hatte er damit gerechnet, sogleich zu einem Aschehäufchen zu werden, stellte er nun fest, dass nichts dergleichen geschah. Zwar stank es verbrannt um ihn herum, doch das ging nicht von ihm aus.

Sobald er wieder etwas von seiner Umgebung sehen konnte, erkannte er, dass sich die Soldaten kokelnd am Boden wälzten und der Mann in der Robe tot zwischen ihnen lag. Eines der Gläschen hatte ihn am Kopf getroffen, die Hälfte seines Schädels und sein Gesicht waren von der Säure verschlungen worden.

»Ha!« Ermutigt von dem unerwarteten Erfolg, kroch er unter seinem Schutz hervor. »Das habt ihr davon, dass ihr euch mit Rodario dem Unglaublichen angelegt habt!« Lirkim lag mit dem Oberkörper auf der Tischplatte, begrub ihren Teller und zwei Anrichteplatten unter sich und war mit der Schläfe so hart gegen das Holz geprallt, dass sie das Bewusstsein verloren hatte. »Und nimm auch du zur Kenntnis: Kein Weib treibt Spielchen mit Rodario.«

Ich habe eben zwei Avatare besiegt! Er stemmte die Arme in die Hüften und lachte, wie es eine seiner Bühnefiguren sicherlich auch getan hätte. Und dich nehme ich mit. Du wirst uns erzählen, was du und deine Freunde mit der magischen Quelle beabsichtigen.

Er packte die Frau im Nacken und zog sie zurück, riss ihr sämtlichen Schmuck von Hals und Fingern, um sie ihrer magischen Energie zu berauben und ihn sich selbst einzustecken. Dann flößte er ihr nochmals einen ordentlichen Schluck Wein ein und zertrümmerte vorsichtshalber den leeren Dekanter auf ihrem Kopf, um sicherzugehen, dass sie nicht erwachte. Schlag und Alkohol sollten gemeinschaftlich dafür Sorge tragen.

Er warf sie sich eben über die Schulter, als er Getrappel vor der Tür vernahm. Die lauten und vor allem unüberhörbaren Geräusche des Kampfes hatten andere Wächter alarmiert. Die Freude über den Sieg erlosch, und auch sein Draufgängertum zerfloss wie Schminke in der Hitze eines vollbesetzten Theaters.

Seine Füße trugen ihn von selbst zum Fenster, er schaute hinab in den Garten und entdeckte mehrere Gestalten. Kleine Gestalten. Er stieß die Flügel auf. »He, Freunde! Ich habe eine Avatara gestohlen!« Er deutete auf ihren Hintern. »Aber ihre Mitgötter sind mir auf den Fersen. Wärt ihr wohl so gut, und...«

»Komm runter, Schwätzer!«, rief Boïndil zurück und gestikulierte wild. »Wir kennen einen Ausgang!«

»Es ist üblicherweise nicht meine Art, Frauen derart zu behandeln, verzeiht mir«, sagte er entschuldigend zu dem Hintern. Ohne länger zu zögern, warf er Lirkim über die Brüstung. Sie fiel nach kurzem Sturz in den Schnee, er hüpfte hinterher und landete knapp neben ihr. Schnell vergewisserte er sich, dass ihr Herz noch schlug, dann wuchtete er sich die Avatara auf die Schulter und lief hinter den Zwergen, Furgas und Ondori her, die auf magische Weise eine Öffnung in der ansonsten massiven Mauer des Palasts schufen.

Sie verließen den Garten und rannten die leeren Gassen Poristas entlang. Das dichter werdende Schneetreiben deckte ihre Flucht und machte es unmöglich, sie auf eine Entfernung von mehr als fünf Schritten zu erkennen.

»Welch glückliche Fügung«, keuchte der Schauspieler unter seiner Last und sah, dass seine Begleiter ihren Teil der Mission erfüllt hatten. »Es scheint, als wären wir wieder die Lieblinge der Götter. Balyndis, das Kind und eine Avatara. Erfolgreicher kann man nicht sein.«

»Was faselst du die ganze Zeit von einer Avatara?«, schnaufte Boïndil, bei dem sich das Gewicht der schweren Rüstung ebenso auswirkte wie bei Boëndal und Tungdil. Sie verloren weiter an Geschwindigkeit, was dem Schauspieler nicht unrecht war. Auch für ihn bedeutete das Schleppen eine ungewohnte Herausforderung. Der kräftige Furgas dagegen tat sich leichter.

»Ihr Name ist Lirkim. Sie tat zuerst so, als wäre sie eine Zofe im Gefolge der Avatare. Besser gesagt, ich ging davon aus. Aber beim Essen kam ihr Freund ungebeten hinzu, und ich erkannte, was sie in Wirklichkeit ist«, hechelte Rodario.

»Sicher. Der Schwätzer fängt eine Avatara.« Ingrimmschs Atem ging pfeifend.

Die Gefangene murmelte undeutliche Worte, es klang nach Avatar und Eoîl. Ondori lauschte auf die Töne und versetzte ihr rasch einen harten Faustschlag ins Gesicht, um sie zum Schweigen zu bringen. »Ein Zauber«, erklärte sie. »Ich wollte nicht, dass sie uns Schwierigkeiten macht.«

»Hört auf zu reden, spart euch die Luft zum Rennen«, zischte Tungdil und kämpfte mit zunehmendem Seitenstechen.

Sie erreichten den Platz, wo Ertil sie hinter einem Stapel leerer Fässer verborgen erwartete. Er öffnete ihnen den Eingang in den Kanal, als Ondori herum wirbelte und in die hektisch tanzenden Flocken starrte.

Der Schnee um sie herum wandelte sich, wurde zuerst zu Eisklümpchen, dann zu Wassertropfen, die auf ihre Rüstungen prasselten.

»Rein«, befahl sie und legte einen Pfeil auf die Sehne. Furgas brachte sich und Balyndis in Sicherheit, dann folgten die Amme und Rodario mit seiner Gefangenen.

Durch den Regen flog eine golden leuchtende Kugel heran, wurde größer und hielt genau auf Boïndil zu, der als Letzter in der Reihe stand.

Er hatte eben noch Zeit, das Visier des Helmes herunterzuklappen, dann traf sie ihn auf der Brust und verwandelte sich in einen Feuerball, der ihn vollkommen umfing. Sowohl Tungdil als auch Boëndal spürten die immense Hitze, und Ondori schrie auf.