Als die magischen Flammen knisternd erloschen, stand Ingrimmsch immer noch, kleine Lohen umzüngelten ihn und erstarben dann. Die umgearbeitete Rüstung hatte den heraufbeschworenen Gewalten entgegengewirkt.
»Hier sind sie«, schrie ein Mann in der Dunkelheit. Im nächsten Moment wurde er zu einem gleißenden Wesen aus Licht. »Hierher!«
»Ho, hat dein Hokuspokus nicht gewirkt, Betrüger? Ich bin gespannt, welche Farbe dein Blut hat«, grollte Boïndil und stürmte auf den Avatar zu; sein Bruder hob den Krähenschnabel und rannte ebenfalls los.
»Für Balyndis!«, rief Tungdil laut und stürzte sich in den Kampf.
Der selbst erkorene Avatar schleuderte ihnen einen Zauber nach dem anderen entgegen, um sie daran zu hindern, bis zu ihm vorzudringen, doch gegen die Zähigkeit und den ehernen Willen von drei wütenden, hasserfüllten Zwergen gab es kein Mittel.
Tungdil fühlte sich wie ein Stück Erz in einem Hochofen. Die Panzerung hielt ihm die zerstörerische Wirkung vom Leib, aber sie erhitzte sich dabei stark und würde ihn rösten, gelänge es ihm nicht rechtzeitig, den Avatar zu vernichten.
Die Waffen der Zwerge waren von den heißen Flammen rot glühend geworden, die hölzernen, angesengten Stiele drohten in Brand zu geraten, aber bevor die Beile, der Krähenschnabel und die Axt unbrauchbar wurden, fanden sie ihr Ziel.
Auch wenn sie den Mann wegen des Lichts nicht richtig erkannten, die Umrisse genügten ihnen vollkommen. Nach den ersten beiden Hieben Ingrimmschs erlosch der Schimmer, und vor dem Trio taumelte ein am Oberschenkel verletzter Mann von etwas mehr als sechzig Sonnenumläufen rückwärts, ein Kurzschwert zur Abwehr vor sich haltend.
Es nützte ihm nichts.
Das robenähnliche weiße Gewand schützte ihn nicht vor den heißen Klingen und dem langen, geschwungenen Spieß des Krähenschnabels. Von drei Seiten hackten sie auf ihn ein, bis er verstümmelt und wimmernd in der Gosse verblutete. Zur Sicherheit zertrümmerte ihm Boëndal den Schädel, dann liefen sie in den Kanal und schlossen ihn.
»Wieder einer weniger«, sagte Boïndil grimmig, als er die neugierigen Gesichter der wartenden Menschen sah. »Aber es wurde verflucht heiß in meinem Kleid.«
»Und wo habt ihr Ondori gelassen?«, erkundigte sich Rodario, der Lirkim auf seiner Schulter zurechtrückte und neben Tungdil herging.
»Die Albin!« Ihre Abwesenheit war ihnen erst aufgefallen, nachdem das Gefecht gegen den Magus geschlagen war. »Ich habe sie schreien hören...«
»Sie wird in der Glutwolke verbrannt sein«, schätzte Ingrimmsch und griente boshaft. »Es ist nicht schade um das Schwarzauge. Und wir müssen uns nicht den Kopf zerbrechen, wie wir sie loswerden.« Er stapfte den Kanal entlang und sicherte die Spitze. »Dabei hätte ich sie so gern erschlagen.«
Niemand sagte ein Wort des Bedauerns über den Tod Ondoris, allerdings war sich auch keiner wirklich über ihr Ableben sicher.
Sie schafften das nächste Wunder und erreichten das Heer aus Dritten, Freien, Ersten und Albae, deren Vorhut sich bis auf zehn Meilen an Porista angenähert hatte.
Tungdil brachte Balyndis sofort zu Narmora, welche die Zwergin mit ihren Kräften von den schlimmsten Schmerzen und Wunden befreite und den Rest der Heilung dem schier unzerstörbaren Zwerginnenkörper überließ.
Während der Prozedur vernahm Narmora den Schrei eines Kindes, und bei aller Härte, die sie als Maga bewies, schlug dennoch das Herz einer sorgenden Mutter in ihr. Bald lagen sich Furgas, Narmora und Dorsa in den Armen; die kleine Familie war gerettet und überglücklich. Gerührt standen die Zwerge um sie herum, auch Ingrimmsch wischte sich eine Träne von der behaarten Wange.
Tungdil wich nicht mehr von Balyndisʹ Lager, versorgte sie mit frischem Wasser, wusch ihr den Ruß und das getrocknete Blut vom Leib, behandelte die Brandmale mit heilenden Salben und wartete sehnlichst darauf, dass sie die Augen öffnete.
»Gelehrter, kommst du?«, fragte ihn Boëndal gegen Abend. »Narmora möchte, dass du beim Verhör der Avatara dabei bist. Je mehr Fragen uns einfallen, desto besser.«
Widerwillig trennte er sich von der Zwergin, berührte ihre Hand und folgte seinem Freund.
»Mach dir keine falschen Hoffnungen...«, fühlte sich der Zwerg verpflichtet anzumerken. »Glaïmbar wird dir auf ewig dankbar sein, dass du seine Gemahlin gerettet hast. Aber sie wird...«
»Ich weiß«, lächelte Tungdil wehmütig. »Ich weiß, lieber Freund. Sie wird ihn niemals verlassen. Aber ich weiß, dass ich sie immer lieben werde, so wie sie mich liebt. Es ist mir schon lange klar gewesen, dass sie mein Herz trotz Myr besaß, und so wird es bleiben. Ich halte es wie Boïndil und lasse die Finger von Frauen. Jeder Bund mit einer Zwergin wäre eine Beleidigung für ihre Gefühle und ein Verrat an Balyndis. Ich bin dankbar, dass ich es war, der sie retten durfte, und ich bin noch dankbarer, wenn es mir gelingt, sie wieder als Freundin bezeichnen zu dürfen. Ich bitte Vraccas, dass sie mir mein Verhalten verzeiht.«
Boëndal nickte und führte ihn zu der Köhlerhütte, in der sie Lirkim eingesperrt hatten. Narmora, Ingrimmsch und Rodario, der einen Eimer in der Hand hielt, waren bereits da.
»Fangen wir an.« Der Mime leerte den Eimer über Lirkims Rücken, die sie mit dem Gesicht nach unten auf den Boden gebunden hatten. Eiskaltes Wasser ergoss sich über sie, und sie riss auf der Stelle die Augen auf. Rodario ging neben ihr in die Hocke. »Sei gegrüßt. Wir konnten unsere Unterhaltung in Porista nicht fortsetzen, daher habe ich dich mit zu meinen Freunden genommen. Sollte es auch nur das kleinste Anzeichen geben, dass du zauberst, wirst du sterben. Hast du verstanden?«
Die Frau versuchte, sich umzuschauen, blickte aber nur auf Stiefel, Schienbeine und die Spitzen von Waffen, die auf ihren Kopf gerichtet waren. »Mein rechter Arm tut höllisch weh«, sagte sie erstickt.
»Ja, ich glaube, er ist gebrochen, als ich dich... als du aus dem Fenster gefallen bist.« Rodario gab sich alle Mühe, nicht nett zu klingen und schon gar kein Mitleid zu zeigen, auch wenn es ihm in Anbetracht ihrer Schönheit sehr schwer fiel, in ihr ein Wesen zu sehen, dass sicherlich den Tod tausender verschuldet hatte. »Hast du meine Worte von eben verstanden?«
»Ich werde nicht zaubern«, versprach sie, und ihre Stimme zitterte ebenso sehr wie ihr Körper. Die Kälte, durch die sie getragen worden war, und das eisige Wasser machten ihr zu schaffen.
»Was habt ihr mit der magischen Quelle vor?«, begann er das Verhör. Schon wollte er eine Decke über sie legen, doch Tungdil nahm sie ihm sofort aus den Händen, und seine braunen Augen blickten unerbittlich.
»Der Eoîl hat die Quelle aufgespürt, als wir unterwegs nach Dsôn Balsur über die Ausläufer eines Magiefeldes zogen, und einen Weg gefunden, ihre Energien für uns zu nutzen«, erklärte sie hustend. »Ich weiß nicht genau, was er vorhatte, aber er sagte uns, dass wir kurz davor stünden, die höchste Macht zu erlangen.«
»Wer und wie viele seid ihr wirklich?«, wollte Narmora wissen. »Ihr seid Menschen, das ist sicher. Sprich, denn jedes Stocken bringt dich dem Tod näher.«
Lirkim nickte schwach. »Wir sind sieben Hexer, drei Frauen und vier Männer, und der Eoîl. Wir haben uns vor etwa vierhundert Sonnenzyklen zusammengetan und unsere Kräfte vereint, um Macht zu erlangen, die uns allen Widersachern überlegen sein lässt. Die Legende von den Avataren und unser Auftreten halfen uns, noch mehr Schrecken zu verbreiten. Ihr seid die Ersten, denen es gelingt, uns in Bedrängnis zu bringen.«
Boïndil trat gegen ihren Fuß. »Sag, was ein Eoîl ist.«
»Ein Eoîl ist ein... Eoîl. Er ist nicht leicht zu beschreiben und er ist der Einzige von uns, der wahrlich göttlich ist.«
»Göttlich? Dass ich nicht lache. Verschone uns mit deinen Märchen, er ist ein Hochstapler, ein Augenblender wie du«, höhnte der Zwerg.