Lirkim blieb standhaft. »Er ist ein Eoîl. Dort, von woher ich komme, gibt es sehr wenige. Sie sind mächtige Beschwörer, und jede Kreatur zittert vor ihnen. Ihr werdet es sehen, wenn ihr gegen Porista zieht, wie ich vermute. Er wird euch vernichten. Seine Macht ist es, welche die Landstriche in Wüsten verwandelt und Meere zu Salzseen macht, nicht unsere! Wir sind...«
»Und ihr schöpft eure Kraft aus dem Bösen, das ihr vernichtet?«, hakte die Maga ein.
»Ja. Der Eoîl hat uns seine Formel beigebracht, welche die Niedertracht, die in den Scheusalen vorhanden ist, in Energie umwandelt. Diese nutzen wir, um unsere Sprüche zu sprechen. Als wir hörten, dass das Geborgene Land über eine finstere Quelle...«
»Ihr wusstet davon? Ihr seid nicht wegen Nôdʹonn zu uns gekommen?«
»Der Eoîl wusste es. Er hat auch gesagt, dass der Dämon, der Nôdʹonn leitete, nicht vollkommen bezwungen sei.«
»Nun habe ich aber genug von diesem Eoîl-Gefasel!« Schon zückte Boïndil ein Beil, aber Boëndal hielt ihn zurück.
»Ihr seid in Porista, weil der Eoîl etwas mit der Quelle zu tun beabsichtigt, aber du weißt nicht, was er vorhat?«, fasste Tungdil zusammen. Sie nickte. »Was wolltet ihr von der Zwergin?«
»Sie haben die Untergründige an einen Baum gefesselt gefunden und sich gewundert, was das zu bedeuten habe«, gab sie zur Auskunft. Ihre Zähne schlugen wegen der Kälte rasch aufeinander und machten ihre Sätze abgehackt. »Sie haben ihr vorgegaukelt, sie träfe auf ihresgleichen, die sie befreien wollten, und so erzählte sie, dass sie die Formel für die Rüstung im Kopf habe. Als die Schlacht für uns verheerend endete und Timshar und Sʹliinsh von einem Aneoîl zerrissen wurden, dachten wir uns, dass es nur diese besondere Rüstung sein konnte, die sie meinte. Wir wollten die Formel in unseren Besitz bringen.«
»Hast du sie so zugerichtet?«
»Nein. Es war der Eoîl. Er hasst die Untergründigen aus tiefstem Herzen.«
Offenbar kannte Lirkim die Kreaturen, die aus Djerůns Art stammten, und es schien eine Verwandtschaft zwischen ihnen und dem Eoîl zu existieren. Tungdil fragte nach.
»Sie haben nichts miteinander gemein, außer dass sie die Kreaturen des Bösen töten, wenn auch aus unterschiedlichen Beweggründen. Der Aneoîl tut es, weil er die Schwachen unter ihnen ausrottet, der Eoîl tut es, weil er alles Böse vernichtet.« Sie drehte den Kopf und schielte zu Narmora. »Es war seine Idee, einen Aneoîl zu deiner Meisterin zu senden. Er wusste, dass der Anschlag gelingen würde.«
Narmora lächelte böse. »Es mag sein, dass er dir sehr mächtig erscheint, dein Eoîl, aber er hat vieles nicht bedacht.«
»Ja! Mich beispielsweise«, sagte Rodario sofort.
Tungdil freute sich über die Neuigkeiten, die ihre Gefangene ausplauderte. Er nahm nicht an, dass sie es wagte zu lügen, dafür wirkte sie zu eingeschüchtert von der Düsternis der Köhlerhütte und dem ganzen Drumherum. Vier Hexer haben wir getötet, eine Hexe liegt gefangen vor mir, blieben zwei herkömmliche Zauberer und ein Eoîl, was immer es ist. Zuversicht breitete sich in ihm aus. Wenn alles vorüber ist, werde ich sie zum Jenseitigen Land befragen. Sie weiß sicherlich mehr über die Untergründigen. Jetzt ist nicht die Stunde dazu.
Narmora dachte nach. »Wie weit sind die Vorbereitungen des Eoîl gediehen?«
»Er sagte uns, dass wir uns nicht mehr lange zu gedulden brauchten. Gestern rechnete er mit neun bis zehn Sonnen«, hörten sie alle die ernüchternde Antwort.
»Er wird sich beeilen, da er davon ausgeht, dass wir sie verhören«, sagte Tungdil ernst. »Wir brauchen rasch einen Plan zur Eroberung von Porista, oder dem Geborgenen Land steht die schwärzeste Stunde bevor.«
Boëndal blickte ihn an. »Wie kommst du darauf, Gelehrter?«
»Erinnert ihr euch an das Beben unter unseren Füßen?«, antwortete er.
Narmora machte ein besorgtes Gesicht. »Ich spüre es, seit wir uns auf dem Land bewegen, das von den Magiefeldern durchdrungen ist. Sie sind kaum mehr vorhanden, so als versiegte die Quelle.«
»Oder jemand leitet die Quelle um«, gab Tungdil zu bedenken. »Was immer der Eoîl unternimmt, es muss enden, sonst bringt er das Gefüge des Geborgenen Landes durcheinander und reißt es womöglich ins Verderben.« Er schaute in die Runde. »Wir treffen uns in meinem Zelt, sobald die Sonne aufgegangen ist. Wir haben eine Stadt einzunehmen.« Er wandte sich zum Gehen.
»Was geschieht mit ihr?« Ingrimmsch deutete auf die Liegende, deren Lippen sich blau verfärbt hatten. »Sie wird zaubern und ist zu gefährlich...«
»Es ist meine Gefangene, sie kann nicht mehr zaubern. Ich habe ihr den Schmuck abgenommen, in dem ihre Kräfte liegen«, erhob Rodario die Stimme. »Ich bestimme, was wir mit ihr tun oder lassen.«
Narmora schüttelte den Kopf. »Nein, Unglaublicher. Die Sicherheit aller wiegt schwerer. Sie gehört zu denen, die sich selbst als Avatare bezeichnen, und sie haben mir keinen Grund gegeben, Schonung zu gewähren. Sie sind zu gefährlich.«
»Ich flehe euch an, mir mein Leben zu schenken«, bibberte Lirkim, der es kaum mehr gelang, ein Wort herauszubringen. »Selbst wenn ich wollte, könnte ich euch nicht mit Zaubersprüchen gefährlich werden.« Nun schauten sie alle zur Gefangenen. »Rodario sprach die Wahrheit. Ohne meine Amulette bin ich harmlos«, gestand sie.
»Das würde ich auch behaupten«, lachte Boïndil.
»Bitte, ich will nicht, dass wir sie einfach umbringen«, richtete sich Rodario eindringlich an die Maga. »Es ist nicht rechtens.«
»Ich bin ebenfalls dafür, dass wir sie am Leben lassen, zumindest bis sich Porista in unserer Hand befindet.« Tungdil schaute verächtlich auf sie herab. »Wir werden sehen, ob sie ihren Freunden etwas bedeutet und ob sie uns im Kampf gegen sie nützlich sein wird.« Außerdem sträubte sich alles in ihm dagegen, eine Wehrlose zu töten.
Narmora hob die Hand und jagte einen prasselnden Blitz in den Rücken Lirkims.
Die Frau schrie, bäumte sich auf und riss an den Fesseln, ohne sich befreien zu können. Der Einschlag hatte ihr Gewand zerfetzt und eine Brandblase von der Größe einer Männerhand hinterlassen. Keuchend entspannte sich die einstige und entzauberte Avatara wieder, als der schrecklichste Schmerz sie verließ.
»Ja, es scheint, als hätte sie ihre Kräfte verloren«, sagte die Maga leise, bückte sich und riss ihr eine Haarsträhne aus. »Damit, Lirkim, kann ich einen Zauber weben, der dich überall findet. Er wird dich töten, ganz egal ob im Geborgenen Land oder sonst wo. Benimm dich anständig, und du wirst verschont bleiben.« Sie verließ die Hütte, die Zwerge folgten ihr, und vier der Krieger der Dritten blieben als Wächter zurück.
Rodario nahm eine Hand voll Schnee von draußen und legte ihn auf die Blase, unter der sich das Wasser sammelte. Lirkim zuckte zusammen.
»Danke«, wisperte sie und schluchzte. »Danke, dass du mein Leben gerettet hast.«
Er löste ihr die Fesseln, half ihr auf und brachte sie zu einem Lager. Sie legte die nassen Kleider ab und schlüpfte unter die groben Decken.
»Was wolltest du von mir, Lirkim? Damals in Porista«, fragte er sie leise.
»War das nicht offensichtlich?«, gab sie zurück. »Du bist ein anziehender Mann, ich war auf der Suche nach Unterhaltung außerhalb des Palasts. Ich begegnete dir, den Rest hätte der Abend gebracht.«
Ja, fürwahr, ein abenteuerlicher Abend. Ehe sein Mitleid für die Frau noch größer wurde, rief er sich die Bilder der Schlacht vor Dsôn Balsur ins Gedächtnis, und er sagte sich immer wieder, dass ihre Freunde und sie, mochte sie noch so zart und gebrechlich aussehen, furchtbare Dinge getan hatten. Vierhundert Sonnenzyklen, und dennoch sieht sie jung und frisch aus... »Du hast von dem Dämon gesprochen, Lirkim. Das Wesen, das von Nudin Besitz ergriffen hatte und ihn zum Verräter werden ließ.« Sie nickte. »Wie kann er überlebt haben?«