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Sie hob die Schultern, und er kannte ihre Antwort, ehe sie über die blauen Lippen kam: »Der Eoîl weiß es. Er kennt und erkennt ihn.«

Rodario dachte, ein Geräusch vor der Eingangstür gehört zu haben, und sah einen Schatten am Fenster der Hütte vorbeilaufen. Jemand hatte ihre knappe Unterredung belauscht.

Er stand auf, rannte zur Tür, erspähte aber durch das dichte Schneetreiben nichts als einen Schemen, der sich im Gestöber verlor. Es gab keine Fußabdrücke vor der Tür, die in die Richtung wiesen, in die der Unbekannte gelaufen war.

Narmora? Sollte sie es gewesen sein? Er kehrte in die Hütte zurück. Was hat das nun wieder zu bedeuten?

VIII

Das Geborgene Land, im Nordosten des

Königreichs Urgon, vor den Toren

des Reichs der Vierten im Braunen Gebirge,

6234./6235. Sonnenzyklus, Winter

Verstimmt stapfte Hauptmann Vallasin durch den stetig höher werdenden Schnee und hielt genau auf die Stellung des vordersten Postens zu. Er raffte den wärmenden Wollmantel enger um seine Lederrüstung. »Was ist?«, rief er schon von weitem, um sich einen sinnlosen Weg zu ersparen. »Neues?«

»Nein, Hauptmann«, brüllte der Soldat zurück. »Das Tor ist nicht zu bewegen.«

Sofort blieb Vallasin stehen, hob die Hand grüßend und kehrte noch schlechter gelaunt in sein Zelt zurück, wo ihn ein Feuer und ein heißer Tee erwarteten.

Das Ritual wiederholte sich seit mehr als vierzig Sonnenumläufen, ohne dass er etwas Neues zu hören bekam. Er ging zu dem Posten, der ihm sagte, dass sich nichts tue.

Er betrat seine Unterkunft, hängte den Mantel an einen Haken am Mittelpfosten des Zeltes und warf sich in den Feldstuhl. Sein Hilfsoffizier brachte ihm den Becher mit dem dampfenden Getränk. Trotz des Feuers herrschten wenig erfreuliche Temperaturen zwischen den dünnen Leinenwänden; der Winterwind blies unbarmherzig durch jede noch so kleine Ritze.

»Haben die...« Der Hilfsoffizier brach mitten im Satz ab, er sah am Gesicht des Hauptmanns, dass es nichts gab, worüber man sich freuen durfte.

»Es kann nicht angehen!«, brach es aus Vallasin zornig heraus. »Wir stehen mit zehntausend Mann vor den Toren eines unbewachten Zwergenreiches und schaffen es nicht, die verfluchte Tür aufzusprengen.«

Er trank von seinem Tee und schaute auf den Berg von Anweisungen, die ihm König Belletain inzwischen hatte zukommen lassen. Beinahe täglich erkundigte sich der Herrscher Urgons nach dem Stand der Mission, und jedes Mal musste ihm der Hauptmann einen Boten senden, der mit enttäuschender Nachricht an den Hof zurückkehrte.

Auf Dauer würde es sich nicht gut auf sein hart erarbeitetes Amt auswirken. Der wahnsinnige Belletain könnte bald auf den Gedanken kommen, einen anderen zum Hauptmann zu befördern und ihn wegen Unfähigkeit abzusetzen. »Es muss endlich gelingen!«

»Die Zwergenscharniere sitzen unerreichbar für unsere Mineure«, erinnerte ihn sein Hilfsoffizier. »Wir können die Tore weder aushebeln noch Keile darunter schieben.«

Vallasin hob einen Schrieb in die Höhe. »Ich weiß das. Erkläre das unserem König und den Männern da draußen, die in der Kälte hocken und denen das Blut gefriert.« Immer wütender werdend, stand er auf und lief zwischen Eingang und Hauptpfosten hin und her. »Siebenundvierzig sind mir schon erfroren! Siebenundvierzig! Und weshalb? Wegen eines verdammten Tors und einer gebrochenen Abmachung.«

Die Tore, so war es mit den Dritten vereinbart gewesen, hätten offen stehen müssen, damit der Einmarsch und die Suche nach dem Hort der Vierten schnell und reibungslos vonstatten ginge. Aber der Eingang zeigte sich unüberwindbar, trotzte Rammböcken und Keilen, und sogar ihre Pickel schlugen sich an dem Granit stumpf.

Verfluchte Warterei. Zuerst waren sie auf Anordnung von Belletain hierher marschiert, um sich für eine Eroberung bereit zu halten, dann tauchte das Entsatzheer der Dritten auf, somit standen schon zwei Heere vor verschlossener Tür. Plötzlich packten die Dritten ihre Siebensachen zusammen und verschwanden ohne Erklärung. Vallasin blieb nichts anderes übrig, als weiter auszuharren, mochte es noch so sinnlos sein. Befehl war Befehl.

Sie hörten Pferdegetrappel, das sich ihrem Zelt näherte.

»Bei Palandiell, das wird der nächste Bote sein, den uns Belletain schickt«, brauste Vallasin auf. »Wird er denn niemals müde, noch schlechtere Neuigkeiten zu lesen?«

Ein Bote betrat das Zelt, über und über mit einer dünnen Schneeschicht versehen; der Schal vor seinem Gesicht war in Höhe von Mund und Nase mit einer Eiskruste bedeckt, die Feuchtigkeit des Atems gefror in dem Wollstoff binnen weniger Augenblicke. Er nahm eine gesiegelte Lederrolle aus seiner Satteltasche und hielt sie dem Befehlshaber hin. »Für Euch, Hauptmann.«

Vallasin wies seinen Hilfsoffizier an, dem Reiter einen Tee einzuschenken, damit er sich aufwärmte, derweil öffnete er den Verschluss der Rolle und nahm das Papier heraus.

Ohne es zu lesen, wollte er es auf den Stapel legen und die bereits vorgefasste Antwort in die Transporthülle schieben, als er bemerkte, dass sein König dieses Mal mehr an ihn geschrieben hatte. Und es handelte sich nicht um seine Abberufung.

»Nanu?«, wunderte er sich laut. »Unser geschätzter König erteilt uns einen Marschbefehl. Wir verlassen das Braune Gebirge«, fasste er das Gelesene erleichtert zusammen und ließ die Unteroffiziere antreten, die sich bald darauf in seiner Unterkunft drängten.

»Meine Herren, König Belletain schreibt, dass sich große Dinge im Geborgenen Land tun. Er erklärt das Bündnis zwischen ihm und König Lorimbas Stahlherz für beendet, da er die vertraglich festgehaltenen Pflichten seitens der Dritten als nicht erfüllt betrachtet.« Er rollte das Blatt zusammen. »Für uns bedeutet das: Zelte abbrechen und Abmarsch. Morgen früh möchte ich aus der Eiskammer verschwunden sein.«

»Und wohin marschieren wir, Hauptmann?«, fragte einer der Unteroffiziere.

Vallasin deutete auf einen neuen Punkt auf der Landkarte. »Wir gehen in zügigem Marsch nach Süden, wie es Belletain von uns verlangt, und schwenken scharf ein. Dort wird unser Vorstoß nicht unbedingt erwartet, die Überraschung wird groß sein.«

»Schlecht für die Gegner«, lachte einer seiner Männer, und die anderen fielen mit ein.

»Und unser Vorteil«, bestätigte der Hauptmann und war erleichtert darüber, dass sich niemand gegen das Vorhaben stellte. Er selbst betrachtete es als schwierig, zumal sie sich über die eigenen Landesgrenzen hinweg bewegten, aber Prinz Mallen von Idoslân würde sicherlich nichts dagegen haben. Es wäre der kürzeste Weg. »Bereitet die Leute darauf vor, dass sie schnell sein müssen.«

Er schickte sie hinaus und setzte ein knappes Antwortschreiben an Belletain auf. Dieses Mal gab es für ihn keinen Zweifel daran, dass er und seine kleine Streitmacht bald Erfolge vorzuweisen hätten.

Sie durften nur nicht zu spät kommen.

Das Geborgene Land, Gauragar, zehn Meilen

vor der Hauptstadt des ehemaligen

Zauberreiches Lios Nudin, Porista,

6234./6235. Sonnenzyklus, Winter

Balyndis verdrängte das Dunkel um ihren Verstand. Sie hob die Lider und schaute sich um, erwartete, die Kuppel über sich zu sehen, die für sie alle Schönheit verloren hatte. Zu viel hatte sie in der Halle erleiden müssen. Wäre es ihr gestattet, so würde sie den Raum eigenhändig einreißen.

Doch sie schaute auf eine weiße Zeltwand, und es war gegen Mittag, wie ihr der Stand der Sonne verriet.