»Ein trauriges Lied. Gut, dass es vorüber ist, sonst hätte ich mich betrinken müssen«, murmelte Boïndil und legte die bearbeitete Beinschiene an. »Nun zwickt nichts mehr«, bestätigte er die Qualität der Arbeit.
»In zwei Sonnenumläufen wird alles fertig sein«, schätzte die Schmiedin. »Vorher müsst ihr den Avataren noch Gnade gewähren.«
»Von mir aus«, griente Boëndal, der sich an seiner Armschiene zu schaffen machte und sich voller Respekt wunderte, wie exakt die Zwergin schmiedete, obwohl sie alles andere als in bester Verfassung war. »Aber retten wird sie nichts mehr.«
»Es wird verflucht schnell heiß, wenn sie einen mit Magie bewerfen.« Ingrimmsch streichelte seinen zu Zöpfen geflochtenen Bart. »Ich werde ihn mit Wasser tränken, damit er mir nicht abflämmt. Das wäre ausgesprochen ärgerlich, wo ich ihn so sehr gepflegt habe.«
»Ah, hier seid ihr.« Rodario betrat die Schmiede. »Die lustigen Gesellen bereiten sich darauf vor, einmal mehr das Geborgene Land vor dem Einfluss finsterer Mächte...« Er hielt inne und legte den Zeigefinger gegen die Unterlippe. »Nein, eigentlich sind es keine finsteren Mächte. Wie erklärt man dem einfachen Volk, dass die Guten gegen die Guten kämpfen, um die Bösen zu beschützen?«
»Dir wird etwas einfallen«, zeigte sich Tungdil überzeugt. »Hat deine Gefangene noch etwas Wichtiges ausgeplaudert?«
»Nicht ausdrücklich. Aber mir fiel etwas ein.« Er nahm eine kleine Zange und spielte damit herum. »Lirkim hat erwähnt, der Eoîl sei der Meinung, dass ein Teil des Dämons, der Nudin zum Verräter an den eigenen Freunden machte, immer noch existiert.«
»Was?« Balyndis sah den Mimen überrascht an.
»Ich habe mir darüber auch meine Gedanken gemacht.« Tungdil deutete auf seine meisterlich geschmiedete, dennoch gewöhnliche Axt. »Wenn er Recht hat, brauchen wir unbedingt die Feuerklinge wieder, die sich noch immer in den Händen der Albae befindet. Aber ich gestehe, ich habe keine rechte Vorstellung davon, wie es dem Wesen gelang, auch nur ein Stück von sich zu bewahren. Ich habe es mit der Feuerklinge vernichtet, ihr alle habt es gesehen.«
»Seine Macht kann nicht groß sein, sonst hätte er sich längst wieder gezeigt. Das Tote Land hat seinen Einfluss verloren, nichts deutet darauf hin, dass das Böse, wie wir es von einst kennen, noch existiert. Mehr als das Schwarze Wasser ist nicht geblieben.« Rodario legte die Zange zurück. »Aber ich mache mir trotzdem Sorgen. Es wäre gut, wenn ihr den Eoîl lebend fangen könntet.«
Ingrimmsch lachte lauthals. »Er ist der Stärkste der verbliebenen Magi, hast du das vergessen?«
»Ich habe meine Avatara auch lebendig gefangen genommen. Ohne Wunderrüstung«, hielt er schnippisch dagegen und vermied es wohl wissend, die näheren Umstände der Eroberung zu beschreiben.
»Weshalb sollten wir ihn verschonen?«, hakte Boëndal diplomatischer als sein Bruder nach.
»Weil dieser Eoîl in der Lage ist, das bisschen Dämon zu erkennen«, rückte er mit der Sprache heraus. »Lirkim hat es mir gesagt.«
»Also doch eine Neuigkeit.« Tungdil dachte nach. »Dann hat der Besuch der Avatare auch eine gute Seite. Mithilfe des Anführers können wir den letzten Rest der Bedrohung ausfindig machen.« Er nickte Rodario zu. »Jetzt ergibt die Schonung des Eoîls Sinn.«
»Das hätte der Schwätzer doch gleich sagen können«, brummte Boïndil, drehte den Schleifstein und begann, seine Beile zu schärfen. »Und was machen wir dann? Zerren wir ihn an einer Kette hinter uns durchs Geborgene Land und warten darauf, dass er irgendwann auf etwas zeigt?«
»Ich vermute, dass sich der letzte Rest des Dämons an einer Stelle aufhält, wo Schwarzes Wasser oder ein Entseelter Wald zu finden ist.« Boïndil legte die Hände an den Gürtel. »Das ist doch wahrscheinlich, oder? Die Menschen haben berichtet, dass man dort wahnsinnig wird. Vielleicht ist dies das Werk des Dämons?«
»Zuerst nehmen wir Porista ein und schlagen die Avatare, danach kümmern wir uns um alles andere«, meinte Tungdil, nahm die fertigen Teile seiner Rüstung und machte sich auf den Weg zurück in seine Unterkunft, um sich zu stärken. Schmieden machte hungrig.
Später trafen sie sich in dem Besprechungszelt, wo Königin Xamtys sie mit guten Nachrichten erwartete.
»Glaïmbar, Balendilín und Gandogar haben ihre Reiche wieder besetzt und senden ihre Heere zur Unterstützung nach Porista. Prinz Mallen versucht, weitere Freiwillige aufzutreiben; er schreibt, König Belletain habe sich seiner Umnachtung sowie seines Leibarztes aus dem Stamm der Dritten entledigt und ihn um Erlaubnis gebeten, ein Heer durch Idoslân senden zu dürfen. Dennoch wird keiner von ihnen es schaffen, außer vielleicht Belletain mit seinen zehntausend Mann, rechtzeitig zu uns zu stoßen.«
»Zehntausend kommen gerade recht. Wir nehmen die Stadt ein«, sagte Tungdil entschlossen. »Furgas hat mir versprochen, die besten Belagerungsmaschinen in kürzester Zeit für uns zu bauen. In vier Sonnenumläufen werden wir mit dem Beschuss des feindlichen Heeres beginnen, um ihre Zahl vor dem eigentlichen Kampf zu reduzieren. Anschließend verschaffen wir uns Zutritt zur Stadt. Zwei Breschen genügen uns vollkommen, und wir kennen die Schwachpunkte Poristas.«
»Dabei hatten wir alles so schön aufgebaut«, ärgerte sich Rodario. »Hoffentlich treffen wir dabei nicht mein Curiosum.« Er ging zum Ausgang. »Ich werde noch einmal mit Lirkim reden.« Seine Hand schlug das schwere Fell zurück, das als dämmender Türvorhang diente. »Ich glaube, dass ich sie dazu bringen kann...«
Ein heller Lichtschein durchbrach die winterliche Dämmerung, eine dreckig graue Sonne schoss aus den Schneewolken herab und hielt auf das Lager der Zwerge zu.
Die erschrockenen Rufe der Wachen brachten Leben in die Zelte, die Zwerge stürzten mit Waffen und Schilden ins Freie, auch Narmora stand unter ihnen und reckte die Arme, um einen Zauber zur Abwehr zu sprechen.
Doch es gelang ihr nicht rechtzeitig.
Die Kugel färbte sich lediglich dunkelgrün und verlor etwas von ihrer Leuchtkraft, ehe sie mit Macht durch das Dach der Köhlerhütte fuhr; dann schlugen malachitfarbene Flammen so lang wie vier Speere aus den Fenstern und zur Tür hinaus, und die kleine Behausung brach brennend auseinander.
Eilig sprangen Zwerge herbei und schippten Schnee auf die brennenden Trümmer, um ein Übergreifen des Feuers auf die Zelte zu verhindern.
Rodario starrte in das Inferno, in dem niemand überlebt haben konnte. »Lirkim«, raunte er betroffen. Er brachte den Frauen, denen er begegnete, wahrlich kein Glück.
Der Eoîl hatte ihnen bewiesen, dass seine Stärke nicht zu unterschätzen und er im Stande war, Verrat selbst auf große Entfernung zu ahnden. Daher unternahmen sie alle Anstrengungen, die Wurfmaschinen noch schneller zu bauen. Furgas konstruierte sie so, dass sie große, mit Nägeln gespickte Holzklötze, halbe Baumstämme und Felsen zu schleudern vermochten. Petroleum oder Öl standen ihnen nicht zur Verfügung, daher musste das Gewicht der Geschosse ausreichen, die Feinde zu verletzen.
Die Späher der Albae berichteten, dass das Heer der Avatare sich vollends auf die Verteidigung Poristas einrichtete und nicht den Versuch unternahm, die Gegner in einer Schlacht vor den Mauern zu einer Entscheidung zu zwingen. Sie vermieden einen offenen Schlagabtausch und überließen es den Zwergen und Albae, den verlustreichen Angriff zu führen. Dann stiegen die Temperaturen unerwartet, und das Land wurde in dichten Nebel gehüllt. Keine Seite sah mehr viel.
Auch die Zwerge blieben nicht untätig.
Als geschickte Mineure gruben sie einen Tunnel bis in den Kanal, durch den Tungdil und seine Freunde gegangen waren, um Balyndis und Dorsa zu befreien.
Einige aus den Reihen der Kriegerelite der Dritten, so lautete der Plan, würden diesen Weg zusammen mit den Albae wählen und das Terrain für Tungdil, die Zwillinge und weitere Soldaten der Ersten und Freien bereiten. Im besten Fall gelang es ihnen, die Verteidiger völlig zu überrumpeln.