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»Ich frage mich, warum man solche hohen Türme baut«, schimpfte Ingrimmsch keuchend, als sie mehr als zwei Drittel ihres Weges zurückgelegt hatten.

»Tut ihr das nicht auch?«, neckte ihn Rodario.

»Aber wir haben einen Grund. Es geht darum, einen Rückzugsort zu haben, der unmöglich einzunehmen ist. Aber das hier«, er klopfte mit dem Krähenschnabel gegen die Mauer, »taugt nicht dafür. Es gibt keine Plattformen, keine Vorratskammern. Ein sinnloses Gebäude.«

»Vergessen wir einmal nicht die überragende Aussicht, die man von dort oben genießt.« Der Schauspieler schwitzte nicht weniger als die Zwerge. »Die Magi und Magae haben von hier aus bestimmt den Verlauf der Gestirne betrachtet.«

»Aber gehe ich deshalb die vielen Stufen hinauf? Zum Sternegucken? Man muss alles mühselig hinaufschleppen«, blieb er störrisch. »Und kaum steht man oben, ist die Sonne aufgegangen.« Er blies die Backen auf. »Den Erbauer würde ich gern mal fragen, was er sich dabei gedacht hat.«

Sie gelangten an das Ende der Treppe und sahen, weshalb das Tageslicht hereinfiel, obwohl sich über ihnen eine geschlossene Decke befand. Drei Seitenfenster ließen die Strahlen der Sonne herein, ein Spiegel bündelte sie und lenkte sie exakt nach unten. An der Wand neben dem Spiegel befand sich eine Tür, die zur Balustrade führte. Rodario spähte hinaus, der kalte Wind wehte durch seine schwarzen Haare. »Die Kämpfe dauern an«, meldete er den Zwergen. »Und... wenn ich mich nicht sehr täusche, rückt ein weiteres Heer aus dem Norden an.« Er kniff die Augen zusammen. »Kann es sein, dass die Albae ein weiteres Kontingent entsendtet haben? Wer auch immer anrückt, er hat sehr dunkle Rüstungen.«

»Es wird Belletain sein.« Tungdil schob den Mimen zur Seite, um selbst einen Blick nach unten zu werfen. »Die Richtung stimmt, aber ich kann die Banner nicht erkennen.«

»Solange sie auf unserer Seite kämpfen, ist es mir gleich.« Boïndils Knie zitterten, er lehnte sich gegen die Wand. »Es geht gleich wieder«, beruhigte er sie.

Rodario sah die blutigen Stiefelabdrücke. Der Lebenssaft des Zwergs sickerte unter der Panzerung an ihm hinab, tränkte das Leder und drückte sich durch die Nahtstellen. Die Wunde war viel tiefer, als er sie glauben ließ. Er machte Tungdil darauf aufmerksam.

»Du bleibst hier«, sagte dieser zu Ingrimmsch, um seinen Freund von dem weiteren Abenteuer abzubringen. »Du nützt uns nichts, wenn du uns halbtot vor den Augen des Eoîls zusammenbrichst und dich zu einer leichten Beute für ihn machst.«

Aber da geriet er bei Ingrimmsch an den Falschen. »Ho, Gelehrter! Ich lasse mir es nicht entgehen, ihn zu zerpflücken.« Mit dem berühmten Eigensinn seines Volkes packte er den Krähenschnabel fester und schritt zum Ausgang. »Worauf warten wir noch? Mach dich nützlich und öffne die Tür, Schwätzer.« Er grinste zum Zeichen, dass er es nicht so abwertend meinte, wie es klingen mochte.

Rodario warf einen Blick auf den dünnen Draht, der quer über den Boden und durch ein herausgebrochenes Loch in der Mauer weiter nach draußen verlief. Die schmale Öffnung sah nicht so aus, als bestünde sie schon seit langem. Haben die Avatare dieses seltsame Stück Kordel nach oben gezogen? Er drehte sich zu Tungdil, als ihm ihr vorletzter Gegner zuvorkam.

Die Tür wurde aufgestoßen, und eine strahlende Gestalt erhellte das Turminnere mit ihrem Licht.

»Ich seid mir nicht entgangen«, begrüßte sie die Stimme einer Frau. Sie schuf einen gleißenden blauen Blitz, den sie gegen Ingrimmsch jagte. Der angeschlagene Zwerg wankte, die Wucht des Zaubers und die Schwäche, unter der er litt, waren zu viel für ihn. Die Avatara sah es und lachte. »Die Rüstungen werden euch nichts nützen. Ihr könnt den Eoîl nicht mehr aufhalten.«

Rodario sammelte all seinen Mut. »Ihr werdet auf der Stelle damit aufhören, und ich, Rodario der Unglaubliche, angehender Magus und Famulus von Narmora der Unheimlichen, verschone euer Leben.« Er rief sinnlose Silben und hob den Arm, betätigte den Flammenwerfer und spie der Avatara eine Ladung brennender Bärlappsamen entgegen.

Der Abwehrzauber, mit dem die Maga die Attacke aufzuhalten versuchte, hätte gegen einen wahren Spruch sicherlich gewirkt, aber der Angriff gründete nun mal auf keinerlei Zauber. So schossen die Flammen ungehindert auf die Maga zu, die erschrocken und voller Schmerz aufschrie.

Das beginnende Schimmern um die Frau herum endete, die Zwerge und Rodario sahen, dass ihre Haare brannten, auch Teile ihrer Robe hatten Feuer gefangen.

»Ha! Dagegen hattet Ihr kein Mittel, nicht wahr? Und nun spürt meine ganze Macht!« Der Schauspieler ließ sich nicht mehr bremsen, warf eine seiner Glasphiolen und traf die Gegnerin auf die Brust.

Die Phiole prallte von dem weichen Stoff ab, fiel auf den Boden und zerbarst. Schon tat ihnen die Maga den Gefallen, bei ihren Löschversuchen einen Schritt nach vorn und genau in die kleine Pfütze zu treten. Die freigesetzte Säure fraß sich qualmend durch die Ledersohle und weiter in ihren Fuß.

»Das nenne ich nützlichen Hokuspokus!« Boïndil schwang lachend den Dorn des Krähenschnabels und traf die Frau in die rechte Schulter. Mit einem Ruck zerrte er sie zu Boden, und schon stand Tungdil an seiner Seite und hob die Axt, um sie zu köpfen.

Die Maga handelte instinktiv.

Anstatt einen Zauber gegen die geschützten Zwerge zu wirken, entriss sie mit ihren unsichtbaren Kräften Tungdil die Axt und ließ sie hart gegen Ingrimmschs Kopf schnellen.

Boïndil entwich ein dumpfes Ächzen. Der Schlag zertrümmerte ihm zwar nicht den Schädel, warf ihn jedoch zur Seite, sodass er ungelenk auf den Hintern plumpste. Das Gewicht seines Harnischs drückte ihn weiter nach hinten, über die Kante der Treppe hinweg.

»Gelehrter! Ich...« Er ruderte verzweifelt mit den Armen und kippte schließlich von der Stiege in den Schacht in der Mitte des Turmes.

»Nein!« Rodario hechtete hinterher und versuchte, den Zwerg an seiner Rüstung zu packen, aber seine Hände griffen nur einen Lederriemen, der auf der Stelle abriss. Ungläubig sah er mit an, wie Boïndil in dem Lichtstrahl nach unten schoss, dabei kleiner und kleiner wurde, bis er verschwunden war.

Tungdil schlug der Maga mit dem Panzerhandschuh ohne Unterlass ins Gesicht, bis es sich in eine blutige Masse verwandelt hatte und sie sich nicht mehr rührte, dann zog er seinen Dolch und stieß ihn ihr ins Herz. »Könnte ich, so würde ich dich tausend Tode sterben lassen.« Mit Tränen in den Augen hob er die Axt auf und schlug mehrmals auf sie ein, als könnte er ihren Leib für den Verlust Ingrimmschs bestrafen.

Mit Blutspritzern auf dem Visier und im Gesicht erhob er sich und trat hinaus auf die Balustrade, um sich dem Letzten der selbst erkorenen Avatare zu stellen.

»Wo bist du, Eoîl?«, rief er laut und blickte sich um. Suchend ging er den halbrunden Vorbau entlang und hielt sich dabei dicht an der Wand des Turmes. Rodario folgte ihm.

Sie entdeckten die Lichtgestalt, die soeben einen funkelnden Diamanten mit dünnem Draht in eine Halterung aus graviertem Kristall einspannte und diese an einem der Fahnenhaken der Bannermasten befestigte.

»Ihr seid bis nach oben vorgedrungen?«, sprach sie zu ihnen mit einer warmen Stimme, die es ihnen unmöglich machte einzuschätzen, ob es sich nun um einen Mann oder eine Frau handelte. Ihre Finger aus Helligkeit zogen an der Schnur, die Einfassung surrte nach oben und tanzte im Wind, der eisig um die Bauten strich. »Dann habt ihr meine Anerkennung verdient. Doch wenn ihr verhindern wollt, dass ich dem Geborgenen Land das Böse austreibe, so werde ich euch vernichten.«

»Wie du und deine Freunde tausende von Unschuldigen vorher vernichtet habt?«, hielt Tungdil dagegen und ging langsam auf das Wesen zu. »Du kannst nicht für das Gute kämpfen, wenn du dich nicht um die Schicksale derer scherst, die deinen Weg der Zerstörung kreuzen.«