Der Malachit, den Narmora in sich trug! Rasch steckte er ihn ein, ohne jemandem von seinem Fund zu berichten. »Nichts«, sagte er zur Schmiedin. »Ich dachte, ich wäre auf etwas getreten.«
In der Stadt hatte sich bereits herumgesprochen, dass der Kampf ausgestanden war.
Während sie durch die Gassen Poristas schritten, wurden hinter den Scheiben der Häuser die erleichterten Gesichter der Einwohner sichtbar. Bald öffneten sich die Türen, und die Menschen traten mit freudigen Minen heraus. Sie klatschten den Zwergen zu, ließen sie hochleben, man brachten ihnen zu essen und etwas Heißes zu trinken, sodass aus der Rückkehr ins Lager ein unvorhergesehener Triumphzug der Avatarenbezwinger wurde.
Die Zwerge nahmen die Gaben dankend an. Auch wenn es nicht in ihrer Art lag, überschwängliche Freude vor Fremden zu zeigen, legte sich auf die bärtigen, erschöpften Gesichter ein zufriedenes Lächeln.
Weniger zurückhaltend präsentierte sich Rodario, der von seiner Trage aus majestätisch winkte und sehr darauf bedacht war, gesehen zu werden.
»Liebe Leute, bald werdet ihr auf der Bühne erleben können, wie der Eoîl sein Leben gegen den tapferen Zwerg und mich, den Unglaublichen Rodario, verlor«, rief er laut. »Lang leben die Zwerge und lang leben die Menschen von Porista!« Seine Worte wurden mit neuerlichen Begeisterungsrufen quittiert. »Eine bessere Werbung für mich und das Curiosum kann es gar nicht geben«, raunte er dem kopfschüttelnden Ingrimmsch zu.
Tungdil überlegte bei der Rückkehr ins Lager, was er Xamtys und den Königen erzählen sollte. Der Eoîl wird, wenn es nach mir geht, auf ewig ein Dämon bleiben. Rodario und ich kennen die Wahrheit, die schädlicher wäre als die Lüge. Dass er den unglückseligen Malachit besaß, wollte er auf alle Fälle verschweigen, von dem Diamanten würde er ihnen dagegen berichten. Es galt, eine Lösung zu finden, um den machtvollen Stein vor dem Zugriff Unwürdiger zu schützen.
Auf dem freien Feld vor Porista offenbarten sich den Zwergen die Auswirkungen des Bebens.
Die verschneiten Felder waren von breiten, dunklen Spalten durchzogen, die Erde hatte sich an manchen Stellen geöffnet und alles verschlungen, was sich darauf befunden hatte. Glücklicherweise war das Heerquartier der Zwerge verschont worden; ein Spalt schlängelte sich exakt zwischen den Zelten hindurch, als wollte er keines von ihnen in die Tiefe reißen.
»Wir haben keine allzu schweren Verluste erlitten«, berichtete Balyndis, als Tungdil sich auf Geheiß eines Heilers auf eine Liege bettete und seine Wunden versorgt wurden. Die Schmiedin gab sich Mühe, ihn von den kommenden Schmerzen abzulenken. »Die Albae haben uns einen großen Teil der Arbeit abgenommen. Aber an der Nordseite, wo die Dritten angriffen, gab es ein Massaker. Die Streiter der Avatare rechneten dort mit unserem Hauptangriff, und obwohl es gute Krieger sind, überstanden sie die Attacken nicht. Nur eine Hand voll blieb übrig.«
Der Heiler entfernte den Verband und drückte die Wundränder auseinander, um in den Schnitt zu schauen.
»Salfalur?«, knurrte Tungdil und unterdrückte den Schrei.
Sie schüttelte den Kopf. »Er und Lorimbas fielen beim Rückzug, so berichteten uns die Überlebenden. Wir werden ihre Leichen suchen.«
Erleichtert und enttäuscht zugleich atmete er auf. Damit war der Mord an seinen leiblichen Eltern zwar gerächt, aber leider nicht von ihm. Auch der Tod Myrs wurde Salfalur nicht so vergolten, wie er es verdient hätte. »Aber er ist tot. Ich hoffe, dass ihre Seelen in der Ewigen Schmiede seine Vernichtung feiern.«
Balyndis gab ihm einen Kuss auf die Stirn. »Das werden sie sicherlich.« Für einen Augenblick herrschte wieder ein Gefühl von Vertrautheit zwischen ihnen, es war Liebe, die sie verband und ewig miteinander verbinden würde.
Das Fell am Eingang des Heilerzeltes wurde nach hinten geschlagen. Furgas stürmte herein und blickte sich um, dann entdeckte er Tungdil und eilte auf ihn zu. Seine Augen waren gerötet, so als hätte er geweint.
»Tungdil! Ich bin froh, dich lebend zu sehen.« Sie reichten sich die Hände. »Man sagte mir, dass du mir vielleicht berichten könntest, was aus Narmora geworden ist«, begann er mit belegter Stimme. »Ich habe sie in der Stadt nirgends finden können, sie hatte das Tor beim Angriff verlassen und...« Eine Träne sickerte aus seinem Augenwinkel, lief die Wange herab, seine Unterlippe begann zu zittern. »Was ist mit ihr?«, raunte er erstickt. »Muss ich nach meiner Tochter nun auch noch meine Gemahlin begraben?«
Dem Zwerg wurde eiskalt. Der Stern der Prüfung! Er hat auch mit der kleinen Dorsa kein Mitleid gezeigt. Eine schreckliche Wut auf die Eoîl stieg in ihm hoch. Auch wenn Dorsa einen Anteil Albaeblut in sich getragen hatte, war das süße Geschöpf doch bisher niemals in der Lage gewesen, Schlechtes zu tun.
»Sie starb, als sie sich der Eoîl entgegenstellte.« Er wollte, dass Furgas Narmora als Heldin in Erinnerung behielt. »Sie tat alles, um eure Tochter vor dem Stern der Prüfung zu bewahren, aber der Macht der Eoîl war sie nicht gewachsen. Auch wir haben es vergeblich versucht.«
Furgas stieß einen verzweifelten Schrei aus und barg das Gesicht in den Händen. Laut erklang sein Weinen, und es schnitt tief in Tungdils Seele. Ihm stieg das Wasser in die Augen; auch Balyndis konnte ihr Mitgefühl nicht unterdrücken, sie nahm den Mann in den Arm, der den Sieg über die Avatare wohl am bittersten von ihnen bezahlt hatte.
»Wofür?«, fragte er gedämpft. »Wofür haben wir all das unternommen, Tungdil?« Er nahm die Hände weg und schaute den Zwerg hadernd an. »Wir haben gekämpft, weil wir dachten, das Geborgene Land ginge gegen sie verloren.« Er sprang auf und zeigte auf den Ausgang. »Aber es ist nichts Schreckliches geschehen! So viele Tote wegen nichts und wieder nichts! Sie haben uns das Böse vom Hals geschafft, und wir haben uns ihnen in den Weg gestellt, anstatt uns mit ihnen zu einigen. Wir hätten das alles vermeiden können!« Er sank auf den Stuhl. »Und Narmora und Dorsa würden noch leben«, flüsterte er.
»Furgas, deine unsägliche Trauer und der Verlust blenden deinen Verstand«, versuchte Tungdil, den Mann zu beruhigen. »Sie hätten den Stern der Prüfung...«
»Nein! Wir hätten ihnen den Weg nach Toboribor, nach Borwôl und zu den anderen Bestien auf Straßen weisen können, die ungefährlich für uns waren, und sie hätten sie mit ihrem Heer niedergeworfen, ohne diesen verfluchten Zauber zu nutzen, der mir Kind und Weib raubte«, fuhr er aufgebracht dazwischen. »Aber wir haben sie angegriffen.« Er stand auf, musterte den Zwerg hasserfüllt. »Wir haben sie angegriffen wegen euch. Ich habe auf den Rat deines Volkes vertraut, Tungdil, wie viele andere Menschen im Geborgenen Land. Dieses Mal war ich schlecht beraten. Palandiell soll mich von nun an vor euresgleichen behüten.«
Furgas wandte sich abrupt um und achtete nicht auf die Rufe von Tungdil. Voller Zorn verschwand er aus dem Heilerzelt.
»Lass ihn«, empfahl ihm Balyndis. »Er hat zu viel verloren, als dass er jetzt zur Vernunft kommen könnte. Gib ihm Zeit.«
Der Heiler machte mit einem Räuspern auf sich aufmerksam. »Du hast einen Splitter des Speers, der dich traf, im Knochen stecken. Ich muss ihn entfernen«, sagte er und reichte ihm einen lederumwickelten Eisenbeißklotz. Tungdil wollte ihn zuerst ablehnen. »Nimm ihn. Es wird wehtun.«
Also schob er ihn sich zwischen die Zähne. Balyndis hielt seine Hand, als die Gehilfen des Heilers die Wundränder mit gebogenen Haken auseinander zogen, damit er besser an den Knochen gelangte. Als sich die Backen der Zange um das Metallstück schlossen und der Heiler zu zerren begann, schwanden seine Sinne. Er hatte nicht einmal Zeit gehabt zuzubeißen.