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»Dann war es wirklich eine Elbin? Kam sie aus Âlandur?«

Liútasil schob den Teller von sich und schenkte sich Gewürzwein ein. »Nein, die Eoîl haben keinen festen Ursprung, kein Reich, zu dem sie gehören. Sie sind ein Mythos, Tungdil, ein Teil unserer Legenden.« Nach einem langen Schluck hob er an zu erzählen:

»Sitalia, die Tochter Palandiells, schuf unsere Vorfahren aus Licht, reiner Erde und Morgentau.

Sie lehrte unsere Vorfahren die Künste des Heilens, die Natur und das Leben zu verstehen. Sie verlangte Ehrfurcht vor allem, was lebte und keinen Gefallen an sinnloser Zerstörung fand. Musik, Tanz, Gedichte, Malen, Bildhauerei, Erzählungen wurden unsere Künste, Krieg und Not waren uns damals fremd.

Aber die Menschen und Zwerge verstanden unser Streben und Tun nicht. Sitalia sah, wie unglücklich unsere Vorfahren waren, und schuf für sie Länder, in denen sie sich wohl fühlten. Dorthin zogen sie sich zurück. Die Ältesten von ihnen, die Ersterschaffenen, wurden von Sitalias Hand zweifach berührt und zu ihren Lehrern erhoben. Sie standen über den anderen Elben.

Tion das Zweigeschlecht langweilte das Treiben sehr. Weil seine Göttergeschwister nur freundliche Wesen formten, widmete es sich allem Abscheulichen. Es vergrub das Abscheuliche unter der Erde, damit es aufgehe wie die Saat und bei Dunkelheit hervorkomme, Orks, Oger, Trolle, Kobolde, Bogglins, Riesen und Schlimmeres. Manche Saat ging nicht auf und blieb im Boden, wo sie gelegentlich von Zwergen und Goldgräbern, Salzbauern und Bergleuten entdeckt wird.

Tion gab dem Abscheulichen auch Flügel und warf es in die Luft, damit es von den Winden aufs Geratewohl verteilt werde.

Nicht nur das.

Tion vergiftete das Wasser vieler Seen. Jeder und jede, die daraus tranken, verloren ihre Freundlichkeit. So gelangten Neid, Hass, Gier und Wollust in die Herzen der Wesen. Und es stach allen Wesen einen Dorn ins Fleisch, den es Alter nannte, sodass sie nicht ewig leben konnten.

Sitalia bemerkte den Dorn und zog ihn bei den Elben, die sie als Erste erschaffen hatte, rasch heraus, ehe er festwuchs. So entstanden die Eoîl.«

Liútasil leerte sein Glas. »Du versteht, weshalb kein Angehöriger unseres Volkes die Waffe gegen sie führen würde? Sie leben ewig, seit der Erschaffung durch die Göttin Sitalia. Sie sind unsere Lehrer, reisen umher, bekämpfen Tion in all seinen Formen. Sie sind uns heilig und werden von uns verehrt«, sprach er achtungsvoll. »Sitalia hätte uns vernichtet, wenn wir gegen eine Eoîl ins Feld gezogen wären.«

Tungdil nickte, von der Antwort nicht vollauf befriedigt, und aß weiter. »Verdiente sie diese Verehrung? Sie hatte keine hohe Meinung von den Elben. Sie sprach davon, dass Ihr minderwertig wäret.«

Der Elb lächelte rücksichtsvoll. »Aus ihrer Sicht macht uns der Makel des Alters ihnen gegenüber geringer. Die Eoîl leben so lange sie möchten.«

»Oder so lange man sie lässt«, fügte der Zwerg hinzu und meinte es aufrichtig, ohne Hohn. »Sind alle Eoîl wie sie? Wie kommt es, dass das Geborgene Land niemals etwas von ihnen gehört hat?«

»Warum sollte es etwas von ihnen hören?«, hielt Liútasil dagegen. »Sie haben mit den Menschen und Zwergen nichts zu schaffen, und wir reden üblicherweise nicht mit Außenstehenden über unsere Ältesten. Wozu auch?« Er goss sich von dem Wein nach. »Nein, es sind nicht alle Eoîl so wie diejenige, gegen die du angetreten bist. Ich kenne zwei, und sie haben sich darauf beschränkt, die besten Sänger und Maler Âlandurs zu unterrichten, um sie in die höchsten Weihen der Kunst einzuführen. Ihre Gedanken waren vollkommen unschuldig und frei von Gewalt.«

Tungdil hatte mit weniger Geduld gerechnet und freute sich über die Offenheit seines Gegenübers. »Diese Eoîl beherrschte die Magie wie kein Magus und keine Maga des Geborgenen Landes«, setzte er zu einer neuen Frage an. »Die magische Quelle in Porista ist nun zwar versiegt, dennoch möchte ich wissen, ob die Elben in der Lage sind, diese Künste zu nutzen, Fürst. Wer weiß, was dem Land als Nächstes droht, und vielleicht findet sich in den Reihen Eures Volkes der nächste...«

»Nein.« Liútasil schüttelte den Kopf. »Nein, Tungdil. Ich kann es dir mit Gewissheit sagen: Es gibt keinen Elben in Âlandur, der die Veranlagung in sich trüge, ein Magus oder eine Maga zu werden. Sitalia bedachte uns nicht mit dieser Gnade. Das war einst anders.«

»Ihr seid Euch sehr sicher.«

»Ich warte schon sehr lange darauf, einen magiebegabten Elben oder eine solche Elbin zu finden«, gestand er ihm. »Jede Auffälligkeit an einem Neugeborenen würde mir sofort gemeldet. Doch es hat sich nichts getan. Nicht jetzt und nicht in den letzten vierhundert Zyklen. Nun, wo die Albae vernichtet sind, brauchen wir auch keinen Magus mehr, der uns gegen sie beistünde.« Der Elb lachte. »Ich weiß nun, warum du deinen Namen Gelehrter trägst. Du möchtest alles wissen.«

»Nicht alles. Damit wäre mein Leben zu langweilig.« Der Zwerg trank von seinem Bier und wählte eine seltsam anzuschauende Frucht von einer Platte aus, die nach Beeren und Minze schmeckte. »Wo wir vorhin von Unsterblichkeit gesprochen haben: Was hat es mit den Unauslöschlichen auf sich? Ich habe sie auf dem Turm gesehen, sie kämpften gegen die Eoîl und waren plötzlich verschwunden.« Er neigte sich nach vorn. »Sind auch sie unsterblich wie die Eoîl? Wurde auch ihnen der Stachel des Alters entfernt?«

Dieses Mal sah Tungdil, dass Liútasil die Antwort kannte, sich aber nicht bereit zeigte, sie ihm zu geben. Elben und Albae verband mehr, als es dem stolzen Volk aus den Wäldern Âlandurs recht war. Er entsann sich, was Narmora vor ihrer Veränderung durch den Malachit beherrscht hatte. »Die Albae können Feuer über große Entfernung durch die Kraft ihrer Gedanken auslöschen, sich lautlos bewegen, sie hinterlassen keine Spuren, und sie werden eins mit der Dunkelheit.« Ihn beschlich ein unschöner Gedanke. »Vermögen sie es vielleicht, Magie zu wirken? Wahre Magie?«

»Worauf willst du hinaus?« Der Elb verstand seine Frage nicht.

»Wäre es den Unauslöschlichen möglich gewesen, sich mittels Magie vom Turm an einen Ort zu begeben, an dem sie vor dem Stern der Prüfung in Sicherheit wären?«, brachte es der Zwerg auf den Punkt.

Liútasil erwiderte den Blick, senkte die Augen nicht. »Ich kann dir zu den Herrschern der Albae nichts sagen, Tungdil. Sie sind uns ebenso ein Mysterium wie allen anderen Völkern des Geborgenen Landes.« Er stockte. »Doch sind deine Überlegungen vermutlich nicht die falschesten, was die Magie angeht«, wich er ins Unklare aus. »Aber ich bezweifle, dass sie dem Stern der Prüfung entrannen.« Er hob sein Gefäß. »Trinken wir auf ihren Untergang.« Humpen und Glas stießen miteinander an.

Der Zwerg ließ es gut sein. Mehr würde er nicht erfahren, der Elb gab ihm mit seinen vagen Auskünften zu verstehen, dass er sich auf einem zu persönlichen Gebiet befand. »Niemals wird das Geheimnis der Eoîl von mir verraten werden, Liútasil«, versicherte er ihm. »Aber eines möchte ich aus Eurem Munde hören: Was werdet Ihr tun, wenn sich ein neuer Eoîl aufmacht und das Geborgene Land bedroht?«

Der Elb legte die Fingerspitzen zusammen. »Nichts, Tungdil Goldhand. Alles andere wäre Frevel.« Er nahm das Besteck zu Hand und setzte sein Mahl fort.

Schweigend genossen sie die ausgesuchten Köstlichkeiten, danach erzählte der Zwerg von der Schlacht und dem Tod zahlreicher Freunde und Feinde, dem Untergang der Dritten und der Macht, die dem Edelstein gebündelt innewohnte; dass er nach Dsôn Balsur ging, verschwieg er ihm, und sagte stattdessen, er reise ins Braune Gebirge.

Ehe der Elbenfürst ihn allein im Zelt zur Nachtruhe zurückließ, versprach er ihm, den Diamanten, den er bekommen sollte, sorgsam zu verwahren. Er reichte Tungdil einen kleinen Rucksack. »Darin findest du eine Leinwand, die Wind, Regen, Sonne, Schnee und Kälte trotzt. Sie wird deine Rasten auf deinen Wanderungen angenehmer machen, fast, als wärest du in einer trockenen Halle im Herzen des Gebirges«, verabschiedete er sich. »Ich bete zu Sitalia und unseren Ahnen, dass sie dir Gnade gewähren und dich nicht wegen des Todes der Eoîl zur Rechenschaft ziehen.«