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Sie schüttelten sich die Hände, der Elb ging hinaus. Tungdil leerte das Gewürzbier. Ich habe eine unsterbliche Elbin vernichtet. Er rülpste halblaut und grinste. Ingrimmsch würde jetzt sagen, dass sie eben doch sterblich gewesen ist.

Das Geborgene Land, das einstige Dsôn Balsur,

6235. Sonnenzyklus, Frühjahr

Tungdil ließ die Schneise, welche die Menschen in den Wald gebrannt hatten, hinter sich, marschierte auf seiner Wanderung an der Festung inmitten der Ebene vorbei und erreichte schließlich den obersten Rand des gewaltigen Kraters, den ein erzürnter Gott mit seiner Faust hineingeschlagen hatte. So wirkte es zumindest auf den Zwerg.

Zu seinen Füßen breitete sich das verlassene Dsôn aus, die Hauptstadt des entvölkerten Albaereichs. Niemals war ein Zwerg vor ihm so tief vorgedrungen, dazu noch ohne einen einzigen Schlag führen zu müssen. Niemals war überhaupt jemand so weit vorgedrungen.

Das einzig Beschwerliche waren bislang das Ziehen in seinem Bein, in dem die Klinge gesteckt hatte, dann die morastigen Wege, auf denen seine Stiefel bis zu den Waden einsanken, und das hüfthohe Gras, das sich ihm entgegenstemmte. Ansonsten scherte sich niemand um den Zwerg.

Er fand keinerlei Anzeichen auf die Albae, obwohl er fest damit gerechnet hatte, auf ein paar Überlebende zu stoßen oder einen der gefürchteten schwarzen Pfeile in den Leib geschossen zu bekommen. Doch es blieb ruhig und einsam. Der Stern der Prüfung hatte anscheinend alle ausgerottet.

Der Anblick der fremdartigen Baukunst der Albae versetzte ihn in Staunen. Sie hatte nichts mit dem Stil der Elben gemein, und die allgegenwärtige Düsternis wirkte bereits von seinem erhöhten Aussichtspunkt aus auf sein Gemüt.

Das schrecklichste Bauwerk erhob sich auf dem Berg in der Mitte des riesigen Kraters: ein fahler Turm aus Knochen, der wie eine Nadel in die Wolken stach. Er konnte sich denken, wo er sein Eigentum zu suchen hatte.

Vraccas, halte deine Hand über mich. Tungdil begann mit dem Abstieg in die Dunkelheit.

Sobald er in den Schatten trat, sank die Temperatur unangenehm und verstärkte das schauerliche Gefühl in seinen Eingeweiden. Der befremdliche Ort belegte ihn mit unerklärlichem Grauen, die Axt ließ er nicht mehr los. Seine Sinne waren bis aufs Äußerste gespannt, er horchte auf jedes noch so kleine Geräusch, vernahm das Säuseln des Windes, der um die seltsam verwinkelten Dächer wehte, das Klappern loser Fensterläden, das Quietschen von Metall, das Knarren von Holz.

Er gelangte in den Kraterkessel und ging auf den mit weißen Kügelchen aufgeschütteten Wegen entlang. Das Rascheln unter seinen Stiefeln empfand er als unbotmäßig laut. Jeder Schritt, den er tat, kostete ihn Überwindung. Gelegentlich stoben graue Wolken von den Dächern und Wegen auf; Asche ließ sich auf ihm nieder, als wollten ihn die Überbleibsel der vernichteten Albae an seinem Vordringen hindern.

Da habe ich gegen Orks, gegen Bestien und gegen eine Eoîl gekämpft, und nun jagt mir das tote Dsôn mehr Angst ein als alle bisherigen Gegner zusammen, wunderte er sich insgeheim, spähte nach rechts und nach links und ließ keine Seitengasse aus den Augen, stets bereit, sich zu verteidigen.

Je länger er lief, umso mehr stellte er fest, dass er sich verschätzt hatte. Die Stadt der Albae war riesig; erst gegen Abend gelangte er an den Fuß des Berges und erklomm die Stufen. Keuchend drückte er sich von der letzten Stufe ab, als die Sonne hinter dem Kraterrand verschwand und Dsôn in vollkommene Schwärze verfiel. Nur der Turm aus Gebeinen erstrahlte blutrot im Abendschein, während unter Tungdil Runen, Symbole und Zeichen in den Hauswänden und an den Dächern zu leuchten begannen.

Seine Härchen im Nacken und auf den Armen stellten sich auf. Sind etwa die Seelen der Albae zurückgekommen? Angriffsbereit wartete er ab, doch außer dem Leuchten tat sich nichts.

Der Wind verstärkte sich. Anscheinend machte sich der Gott Samusin einen Spaß daraus, ihn weiter zu erschrecken.

Die Böen fuhren zwischen den ausgeblichenen Gebeinen des Turms hindurch, und so manches Mal entstand dadurch ein einzelner, klagender Ton wie ein Schrei desjenigen, dessen Gebeine keine letzte Ruhe gefunden hatten. Klagend glotzten die leeren Augenhöhlen aus den verwitterten Schädeln auf ihn herab. Alles in Tungdil sträubte sich dagegen, dieses Gebäude zu betreten.

Mit pochendem Herzen ging er auf den Eingang zu, schritt durch die angelehnte Tür und erkundete den Turm.

Sein Inneres bestand aus Holz und Stein, die Knochen dienten offenbar als Verkleidung und Zier und als Zurschaustellung von Macht. Dennoch, Tungdil wusste, dass die Gemälde, an denen er vorbeilief, nicht mit gewöhnlichen Farben gemalt worden waren und dass es sich bei dem Untergrund nicht um Leinwand handelte. Den vollendeten Umgang mit Pinsel und Farbe beherrschten die Albae wie ihre elbischen Verwandten, jedoch setzten sie ihr Talent viel grausamer um. Unvorstellbar grausamer.

Weit hinter ihm ertönte ein Geräusch. Eine schwere Tür war zugefallen, laut hallte das Rumpeln durch die hohen Gänge, ein Luftzug brachte die letzten Öllampen, denen der Brennstoff nicht ausgegangen war, zum Flackern.

»Wer da?«, rief er, wandte sich um musste schlucken. »Ist da jemand?« Natürlich bekam er keine Antwort.

Das Unbehagen wollte nicht mehr von ihm weichen. Endlich stand er vor einer hohen Tür aus Tionium mit albischen Schriftzeichen, die er nicht übersetzen konnte. Wo denn, wenn nicht hier?

Er trat sie auf und schaute in den Raum aus dunklem Marmor dahinter. Das saalartige Zimmer war geschmückt mit bizarren Skulpturen aus Knochen der unterschiedlichsten Kreaturen, mal bemalt, mal unbemalt, mit Draht aus Gold und Tionium umwickelt, mit Edelsteineinlagen und Aufsätzen versehen. Etliche Bilder und Mosaiken sowie die rätselhaftesten Waffen zierten die Wände. In der Mitte führten Stufen hinauf zu einem Doppelthron. Die Sitze waren verwaist.

Das Blitzen von Diamanten machte Tungdil auf sein Ziel aufmerksam.

An der Wand hinter dem Thron war sie aufgehängt worden, achtlos und lieblos, für die Albae ein nutzloses Ding, das schön anzusehen war und einen Erfolg über die Zwerge bedeutete.

Er näherte sich ihr und streckte die Hand nach ihr aus. »Da bist du ja.« Ein kurzer Ruck, und die Feuerklinge befand sich wieder in seinem Besitz. Der Zwerg reinigte sie mehr symbolisch, als er mit dem Ärmel über den Axtkopf wischte, vollführte zwei Probeschläge und spürte dabei ihre Ausgewogenheit. »Keiner wird dich mir jemals wieder nehmen«, versprach er ihr wie einer Geliebten. »Ich habe eine Aufgabe für dich.«

Er griff in die Tasche, zog den Malachitsplitter hervor, während er sich dem Thron näherte, und legte ihn auf die dritte Stufe. Was auch immer in diesem letzten Überbleibsel von Nôdʹonn, dem Dämon oder einer anderen bösen Macht gesteckt hatte und den Stern der Prüfung überstanden haben sollte, es würde sogleich vergehen.

Tungdil hob die Waffe, nahm Maß und schwang sie einmal über den Kopf, um mit aller Kraft zuzuschlagen.

Die Diamanten entflammten wie einst im Schwarzjoch, als er sich Nôdʹonn und dem Dämon gestellt hatte. Die Feuerklinge zog einen leuchtenden Schweif hinter sich her und traf auf den grünen Edelstein. Die Schneide zersprengte ihn, er platzte knisternd auseinander, die Splitter sprangen über den schwarzen Marmor und verteilten sich.