Damit habe ich diese Aufgabe vollends erfüllt, Vraccas. Tungdil fühlte sich erleichtert, den letzten Rest des Bösen, dem wohl auch Narmora anheim gefallen war, ausgemerzt zu haben.
Eine letzte Pflicht wartete auf ihn.
Er nahm die Öllampen aus den Halterungen und warf sie gegen die Wände; die Reste des Brennstoffs tränkten das Holz, die Bilder, die Skulpturen. Danach entzündete er das Öl und beobachtete, wie sich die Flammen hungrig darüber hermachten.
Der Zwerg verließ den Thronsaal und begab sich zum Ausgang des Turmes. Unterwegs legte er ein Feuer nach dem anderen. Das Gebäude sollte ausbrennen und zusammenstürzen, das hatte er sich fest vorgenommen. Ganz Dsôn würde in einem Feuersturm vergehen, ehe ein Mensch, ein Elb oder ein Zwerg hierher kamen.
Tungdil verließ den Turm und sah bereits die Flammen an einigen Stellen herausschlagen. Er spürte die Müdigkeit in den Beinen, die vielen Meilen, die er gelaufen war, aber nichts würde ihn dazu bringen, eine Nacht in der Stadt der Albae auszuharren.
Seine letzten Kräfte aufbietend, stieg er die Treppe hinunter, wanderte auf der breiten Straße zum Kraterrand und zündete ein Gebäude nach dem anderen an.
Als er den Aufstieg erreichte, brannte ein Drittel Dsôns. Der Wind, den Samusin gesandt hatte, um seine Sinne zu narren und sein Herz mit Furcht zu belegen, fachte die Feuersbrunst weiter an.
Der Turm der Unauslöschlichen gemahnte an eine riesenhafte Fackel. Brennende Stücke brachen aus ihm heraus, stürzten den Berg hinab und schlugen in den darunterliegenden Häusern ein. Und so breitete sich das Feuer immer weiter aus.
Tungdil setzte sich und beobachtete zufrieden, wie der Turm Funken stiebend in sich zusammensackte; das Bersten der Balken war trotz des prasselnden Feuers herauszuhören. Schreie hatte er bislang keine vernommen.
Nun geht das Böse wirklich aus dem Geborgenen Land. Niemand kommt, um es vor dem Untergang zu bewahren, freute er sich, dann stemmte sich auf die müden Beine und kämpfte sich den steilen Weg hinauf, damit er bei Sonnenaufgang das erlösende Tagesgestirn erblicken würde und die Düsternis Dsôn Balsurs vergessen könnte.
»Die Toten«, sagte eine dunkle Stimme vor ihm auf dem Pfad; ein schwarzer, gedrungener Umriss hob sich vor dem Sternenhimmel ab und schwang eine Waffe gegen ihn, »verlangen Rache.«
Erschrocken riss Tungdil die Feuerklinge hoch, aber die Wucht hinter dem Schlag konnte er nicht aufhalten.
Ein schwerer Gegenstand prallte gegen den Stiel, drückte sich mitsamt der Waffe gegen seinen Körper und schleuderte ihn rücklings zu Boden. Tungdil schlitterte mehrere Schritte weit den abschüssigen Weg hinab; der glitschige Untergrund begünstigte seine ungewollte Rutschpartie, und er verlor den Helm.
Als er sich aufrichtete, sah er seinen Feind vor sich auftauchen. Wegen des Feuers in dessen Rücken erkannte er nicht, um wen es sich handelte. Zu klein für einen Alb, zu groß für einen Zwerg.
Wieder surrte die gegnerische Waffe heran; dieses Mal sah er den übergroßen Kriegshammer und bemühte sich nicht einmal mehr, den Schlag parieren zu wollen. Er ließ sich fallen, damit der schwere Kopf an ihm vorbei schoss. Aufhalten würde er ihn nicht.
Nur ein Mann, den er kannte, hatte solch eine Waffe gebraucht. Aber er ist tot. Er fiel bei Porista.
Tungdil zog die Axt durch den Schlamm, hackte nach dem rechten Knöchel des Angreifers und traf, wie er am Widerstand und dem Aufstöhnen hörte. »Salfalur?«
Er bezahlte seinen kleinen Erfolg mit einem Hammerschlag auf die Brust. Hätte er ein Kettenhemd getragen, wären ihm alle Rippen zersprungen, doch der massive Harnisch bewahrte ihn vor dem Tod.
»Ganz recht, Tungdil. Salfalur, den ihr bei Porista für tot gehalten und begraben habt«, bekam er zur Antwort. »Ich habe dir gesagt, dass ich dich töten werde, wenn alles vorüber ist.« Der Hammer flog heran und zielte auf den Kopf des Zwergs, der seinen Schädel im letzten Moment wegzog. Dreck spritzte auf und ihm ins Ohr, hastig kroch er rückwärts, um sich an der Felswand hochstemmen zu können. »Nichts kann mich davon abhalten, auch wenn es nicht leicht war, dich aufzuspüren.«
Tungdil gelang es aufzustehen, dann sah er den Dritten vor sich. Er hielt den Kriegshammer mit beiden Händen, die zuckenden Flammen machten die Tätowierungen in seinem Gesicht lebendig. Er sparte sich jedes Wort. Zwischen ihnen gab es nichts zu verhandeln, Nachsicht würde keiner von ihnen üben.
Bevor Salfalur ihm zusetzen konnte, attackierte Tungdil ihn. Die Feuerklinge gab ihm die Zuversicht, als Sieger aus diesem Zweikampf hervorzugehen, auch wenn sein ausgelaugter Körper eine ganz andere Botschaft sandte.
Der Dritte parierte den Schlag mit dem Griff seines Hammers, ließ eine gepanzerte Hand los und drosch sie Tungdil ins Gesicht.
Die Eisenspitzen auf den Knöcheln rissen üble Wunden, Sterne tanzten ihm vor den Augen, aber er ließ die Waffe nicht los, auch nicht nach dem zweiten Schlag mit der Faust, dem er einfach nicht ausweichen konnte. Salfalur hatte sein linkes Auge verletzt; ein heißer Schmerz zuckte hinauf zu seinem Verstand, Blut quoll aus der Braue darüber und raubte ihm die Sicht.
Mit einem Wutschrei drückte er die Feuerklinge ruckartig nach vorn und rammte sie seinem Widersacher unterhalb der Kehle durch die Panzerung.
Salfalur ließ von ihm ab und sprang zurück, nur um den Hammer zu schwingen und ihn gegen Tungdil zu schmettern. Wieder traf er ihn gegen die Brust, die Rüstung wurde verbogen und wölbte sich nach innen, sodass sie ihm das Atmen schwer machte. Salfalurs Körperkraft und das Gewicht der Waffe schleuderten ihn auf ein Neues mehrere Schritte weit nach hinten, er strauchelte, fiel auf die Straße und japste nach Luft.
Er hörte die eiligen Schritte des Dritten, der nachsetzten wollte. Schon sah er ihn, angestrahlt vom Schein der Flammen, und er wirkte wie ein wesenhaft gewordener Funke in einer Schmiede, der sich den Hammer des Meisters gegriffen hatte und auf seinen Schöpfer losging. Sein Gesicht war eine Maske des Zorns.
Der Anblick weckte in Tungdil den Widerstand gegen das bevorstehende Ende.
Ich werde hier nicht enden. Nicht in Dsôn. Trotzig stemmte er sich mit Hilfe der Feuerklinge in die Höhe, packte sie unten am Stiel, hielt sie seitlich vom Körper weggestreckt und verfiel in leichten Trab, alle Schmerzen, die er dabei empfand, missachtend.
Brüllend hielten sie aufeinander zu, jeder wollte den anderen mit einem einzigen Schlag vernichten.
Sie trafen aufeinander, die Waffen schnellten vor und stießen hell klirrend zusammen, verhakten sich und wurden durch die immense Kraft, mit der sie geführt worden waren, beiden Streitern aus den Händen gerissen.
Die Feuerklinge flog nach rechts, der Hammer nach links. Tungdil wankte los, um die Axt zu holen, auch Salfalur hechtete nach seinem Hammer.
Tungdil erreichte seine Waffe, hob sie auf und wandte sich um, damit er den Dritten nicht aus den Augen verlor, als ihm auch schon der Hammer ein drittes Mal gegen die Mitte seines Leibes prallte. Salfalur hatte ihn geworfen.
Die Rüstung verformte sich noch mehr und gab den Druck der Waffe weiter, sein Brustbein brach und bereitete ihm höllische Schmerzen. Wie ein plumpes Insekt fiel er auf die Straße. Seine Sinne schwanden, ihm wurde eisig kalt, obwohl das Flammeninferno um ihn herum tobte und ihn mit Wärme überschüttete.
Stiefelschritte näherten sich ihm. »Da liegt er, der Verräter an seinem eigenen Stamm. Dafür hat es sich gelohnt, mich aus dem Dreck zu wühlen und dir die vielen Meilen zu folgen.« Der breite Schatten des Dritten fiel über ihn. »Der Tod ist nicht qualvoll genug für dich, Tungdil. Aber er bereitet mir Befriedigung. Myr ist gerächt.«
»Du wirst der letzte Zwergentöter sein«, presste Tungdil röchelnd hervor. »Dein Stamm ging unter, du wirst einsamer sein, als ich es jemals war.«