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Der Zwerg verbarg seinen Schrecken. »Ich habe mir Zeit gelassen, Urgon ist so ganz nach dem Sinn unseres Volkes... Dann sind die Abbilder des Diamanten wohl bereits angefertigt?«, lenkte er das Gespräch in eine andere Bahn.

»Deine Zeichnungen waren ganz ausgezeichnet.« Gandogar rief seinen Gemmenmeister herbei, der die Edelsteine auf einem mit schwarzem Samt bezogenen Kristalltablett hereinbrachte. Wie an einer Schnur aufgezogen, lagen sie dort aufgereiht. Tungdils ungeübtes Auge konnte sie nicht auseinander halten. Einer glich dem anderen bis in die Facette.

Er nahm den echten Edelstein heraus und legte ihn darunter. »Die Täuschung ist vollkommen«, gestand er. Er zählte und kam auf vierzehn Kopien. »Eine ist zu viel«, stellte er fest. »Sieben Menschenreiche, fünf Zwergenreiche und ein Elbenreich machen zusammen dreizehn.«

Der König der Vierten betrachtete die Schmuckstücke, nickte ebenso wie sein Gemmenmeister. »Niemand wird sie durch bloßen Anblick unterscheiden können«, stimmte er ihm zu. »Und es ist keine zu viel, Tungdil. Wir haben beschlossen, dass auch du ein Abbild erhalten sollst, nicht nur die Könige des Geborgenen Landes und der künftige König der Dritten. Diese Ehre hast du dir sicherlich doppelt und dreifach verdient. Wenn du aber diese Verantwortung nicht tragen möchtest, werfen wir eines der Abbilder in die Esse.«

»Nein«, kam es sofort aus seinem Mund. »Ich fühle mich geehrt.«

Gandogar hob eine Ecke des Samttuches nach der anderen an und hielt sie fest; die Steine rutschten in die dadurch entstehende Kuhle und mischten sich. Schon jetzt hätte Tungdil nicht mehr sagen können, welcher Diamant derjenige mit der magischen Energie war. Aber der Großkönig fasste die Zipfel fester, schüttelte das Tuch, die Diamanten sprangen vor den Augen der Zwerge verborgen klackernd auf und ab, dann ließ er ein Ende los, und sie kullerten auf das durchsichtige Tablett zurück. »Ruft die Boten«, befahl er laut.

Die Tür des Thronsaals öffnete sich, herein kamen ein Elb, sieben Menschen und vier Zwerge. Nacheinander traten sie nach vorn und wählten sich einen Diamanten. Manche griffen sofort zu, andere ließen sich Zeit, als gäbe sich ihnen der echte Stein zu erkennen.

Als noch zwei übrig waren, hieß Gandogar seinen Gemmenmeister, sich zu Tungdil zu begeben. »Ich lasse dir die Wahl«, sagte er.

Tungdil langte zuerst nach dem rechten, zögerte und entschied sich dann doch für ihn.

Gandogar strich den letzten ein. »Nun kehrt zu euren Königen zurück und bringt ihnen mein Geschenk zu Ehren des neuen Friedens im Geborgenen Land«, wandte er sich an die Boten und hielt seinen Diamanten in die Höhe. »Richtet ihnen meine Worte aus: So, wie sich die Steine gleichen, sollen unsere Gedanken zukünftig im Einklang sein und unsere Herzen zum Wohl unserer Heimat schlagen. Kommen Zweifel an der Gemeinschaft unserer Völker auf, sollen sie den Stein betrachten und sich erinnern.« Er wies zur Tür, die Menschen, Zwerge und der Elb verneigten sich und verließen die Halle. Rumpelnd schlossen sich die Flügel.

»Da du nun zu mir gekommen bist und vor mir stehst, möchte ich wissen, ob du dir mein Anerbieten überlegt hast, Tungdil.« Der Großkönig deutete auf den Platz neben seinem Thron. »Möchtest du mein Berater sein?«

Das Geborgene Land, Idoslân,

6235. Sonnenzyklus, Sommer

Seine Füße bewegten sich von selbst auf der Straße, die er wohl mehr als einhundert Mal entlanggegangen war. Tungdil näherte sich einem vertrauten, traurigen Ort.

Der Sommer bescherte den Menschen Idoslâns die besten Ernten, Gemüse und Getreide sprossen in Hülle und Fülle aus den Ackerböden, die Bäume standen in voller Blüte und lockten die Bienen an. Ein warmer Wind strich über die satten, grünen Wiesen, auf denen das Vieh weidete. Große Kuhaugen glotzten dem Wanderer hinterher, ehe das Gras wieder wichtiger für das Tier wurde.

Es hat sich nichts geändert. Der Zwerg schritt um die letzte Biegung und blieb stehen. Vor sich sah er das zerschlagene Eingangstor, das in den Stollen Lot-Ionans führte. Unter Gebüschen entdeckte er rostende Rüstungen. Eisen und abgenagte Knochen, mehr war von den Orks nicht geblieben, auf die er und die Zwillinge damals getroffen waren. Es hat sich doch vieles geändert.

Orks gab es keine mehr. Ihre Knochen waren der letzte Beweis dafür, dass sie Idoslân heimgesucht hatten, doch der Stern der Prüfung hatte ihren schwarzen Seelen ein Ende bereitet. Prinz Mallen hatte eine Expedition in die Höhlen Toboribors gesandt, die sich durch die heißen Gänge gequält hatte, ohne eines der Scheusale zu entdecken.

Das Geborgene Land hat seine Geborgenheit teuer erkauft. Tungdil dachte an die vielen toten Freunde, an das Grab Boëndals an der Hohen Pforte, das er besucht hatte und an dem er zusammen mit Ingrimmsch in Tränen ausgebrochen war. Boïndil hatte jeglichen Wahn verloren, die einst irren, stets weit aufgerissenen Augen waren normal geworden und erinnerten ihn an die des Bruders. Auch seine Art zu sprechen war nun besonnener. Der Tod verändert auch die Lebenden.

Tungdil näherte sich dem dunklen Eingang, stieg über die Trümmer des Tores hinweg und betrat den kühlen, nach Erde riechenden Gang dahinter.

Er kam nicht weit, noch immer war der Stollen größtenteils eingestürzt. Sie hatten damals, als sie gegen die Orks fochten, die Stützbalken eingeschlagen, um die Übermacht in ihrem Rücken zu verschütten. Das tonnenschwere Geröll bildete einen Wall, durch den er sich graben musste, um in die alte Behausung seines Ziehvaters zu gelangen.

Unbewusst berührte er das zerschlissene Halstuch, das er an seinem Handgelenk trug. Es war ein Andenken an Frala, die junge, freundliche Magd, die ihm wie eine Schwester gewesen war und die hier mitsamt ihren Töchtern Sunja und Ikana von den Orks umgebracht worden war.

Er schluckte schwer, der Kloß in seinem Hals saß fest. Die Traurigkeit ließ sich nicht so einfach bezwingen. Es wird Zeit, dass ich aufräume.

Tungdil begann mit seiner harten Arbeit. Ein Sonnenumlauf folgte dem nächsten, während sich der Zwerg mit Spitzhacke und Schaufel vorwärts grub, neue Stützbalken einsetzte und das Geröll hinauskarrte. Die zerschmetterten Überreste der Orks warf er auf einen großen Haufen, den er anzündete, um sie zu Asche zu verbrennen, die der Wind verwehte. Einen Schädel behielt er als Zeichen des Triumphes und der Mahnung zurück.

Schließlich erreichte Tungdil sein Zieclass="underline" Er gelangte in den Teil des Stollens, der nicht eingestürzt war. Die Bohlen sahen stabil aus, und so wagte er eine Erkundung.

Gelegentlich fand er noch Skelette von Orks. Sie waren zwar dem niederhagelnden Gestein entkommen, hatten aber wohl keinen Ausgang mehr gefunden und waren elend zu Grunde gegangen. Den gebrochenen Knochen nach zu urteilen, mussten sie sich gegenseitig erschlagen haben, um an Fleisch zu kommen. Lediglich ein Skelett trug keine Zeichen eines Kampfes. Dein Sieg über die anderen hat dir nichts gebracht. Verhungert bist du dennoch.

Der Zwerg schleppte auch ihre Skelette hinaus und entfachte ein weiteres Feuer, um sie restlos zu vernichten; danach suchte er die Überreste der Menschen, die mit ihm hier gelebt hatten. Außer einer Ansammlung von kleinen und großen Gebeinen war nichts von ihnen geblieben.

Er begrub sie auf einer Anhöhe gegenüber dem Eingang des Stollens. Aus einem der großen Felsbrocken meißelte er ihnen einen Grabstein und schmiedete ihre Namen in Eisen, die er in den Stein schlug.

Nach dem letzten Hieb setzte er sich, betrachtete die Hügel Idoslâns, die Siedlungen der Menschen, die einen nie gekannten Frieden genossen, und wischte sich den brennenden Schweiß aus den Augen, in den sich Tränen gemischt hatten.