So erkannte er die Zwergengestalt, die den Pfad entlangkam, sich umschaute, ihn entdeckte und den Hügel hinaufstieg.
Er erhob sich, um den Besuch zu begrüßen. Lange schloss er Balyndis in die Arme. »Es ist schön, dich zu sehen. Haben sie dich geschickt, damit du mich überzeugst, zu einem der Stämme zurückzukehren?«, fragte er sie belustigt. »Gandogar hat sich vielleicht gedacht, dass ich deinen Bitten eher erliegen würde als seinen.«
Die Schmiedin ließ den Rucksack von den Schultern gleiten und sank ins Gras. Sie ächzte, rieb sich die Fußgelenke. »Ich hätte mir unterwegs doch ein Pony kaufen sollen. Der Marsch zieht sich.« Ihr Blick richtete sich auf den Grabstein, stumm drückte sie Tungdil ein weiteres Mal an sich. Sie musste nichts sagen.
Gemeinsam betrachteten sie den Zug der Wolken, wie sich der Himmel von hellem zu dunklem Blau verfärbte und die ersten Sterne aufblinkten.
»Ich soll dir Grüße ausrichten«, sagte Balyndis nach einer Weile. »Es sind zu viele, um sie einzeln zu nennen. Denke einfach an alle Freunde, die du dir gemacht hast. Und Rodario lässt ausrichten, dass du ihm noch einen Witz schuldest.« Sie grinste. »Der, in dem der Ork den Zwerg nach dem Weg fragt.«
Tungdil lachte auf. »Oh, den hatte ich glatt vergessen.« Er schwieg. »Wenn du zum Großkönig zurückkehrst, Balyndis, richte ihm aus, dass ich nicht weiß, wie lange ich hier bleiben werde«, sagte er nachdenklich. »Ich kann mich nicht entscheiden, wohin ich gehöre. Mein Herz schlägt für die Zwerge, ebenso schätze ich die Nähe der Menschen, die in ihrem Tun freier sind als mein Volk. Ich denke mehr wie ein Mensch denn wie ein Zwerg, das wurde mir immer stärker bewusst.«
»Und was ist mit den Freien?«
»Nach Goldhort bringt mich nichts mehr zurück. Zu viele Erinnerungen, die mir nicht gefallen.« Er schaute sie an. »Wenn ich weiß, was ich möchte, lasse ich es ihn wissen. Vielleicht gehe ich auch ins Jenseitige Land und forsche nach denen, die ihre Runen in den Fels schlugen. Wenn Gandogar meinen Rat benötigt, bin ich jederzeit für ihn da.«
Sie rang sich ein Lächeln ab. »Es ist tragisch. Da haben die Kinder des Schmieds einen wahren Helden in ihren Reihen, und er hadert mit sich selbst, anstatt in ihren Hallen zu leben und sich als Berater des Großkönigs weiteres Ansehen zu verdienen.« Sie hob den Kopf und schaute zu einem besonders hell leuchtenden Stern. »Vielleicht gehört das zu einem Helden dazu. Dass er hadert. Es bewahrt ihn davor, sich allzu übermächtig zu fühlen.«
»Erzähl mir Neuigkeiten aus unserem Volk«, bat er sie. »Ich möchte auf andere Gedanken gebracht werden.«
Die Zwergin dachte nach. »Es ist friedlich geworden, Tungdil. Die Überlebenden der Dritten haben sich uns angeschlossen. Die Zeit des Hasses ist vorbei. Das Schwarze Gebirge wird aus einem Bündnis aus allen fünf Zwergenreichen gehalten.«
Er schwieg, biss sich auf die Lippen, um nicht Salfalurs Worte zu verraten. »Was ist mit den Freien?«
»König Gemmil entschied, dass sie das bleiben, was sie sind: frei. Sie kehrten in ihre unterirdischen Städte zurück und werden weiterhin jeden Zwerg aufnehmen, der zu ihnen kommt«, erzählte sie. »Es ist besser so. Eine Vermengung wäre nicht gut gegangen. Aber wir werden in Handel miteinander treten.«
»Was noch?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Nichts. Alles geht seinen alten Gang, nur dass es keine Bestien mehr gibt, die uns im Geborgenen Land zu schaffen machen. Sogar die Schwarzen Wasser haben sich in klare Seen verwandelt, der letzte Keim des Bösen wurde vernichtet.« Sie seufzte. »Es ist eigentlich zu schön, um wahr zu sein.«
Tungdil sah den Malachit vor seinem inneren Auge zerspringen. Nichts ist mehr übrig, was Gefahr bedeutet. »Dann liegt es an den Zwergen, dafür zu sorgen, dass es so bleibt.«
Balyndis zögerte. »Es gibt ein... Gerücht. Angeblich ist das Geschenk, dass Gandogar an Königin Isika von Rân Ribastur sandte, nicht angekommen. Man fand weder den Boten noch die Eskorte, die den Diamanten beschützen sollte.«
»Wie konnte das geschehen?«, sagte der Zwerg kopfschüttelnd. »Es sind... wichtige Geschenke!«
»Räuber, Tungdil. Isika hat ihre Leute ausgeschickt. Früher oder später werden die Verbrecher gefasst, ein solcher Stein bleibt nicht lange im Verborgenen.«
Er zwang sich zur Ruhe. Jetzt waren andere an der Reihe, er hatte vom Heldentum vorerst genug. »Und wie geht es dir? Was macht das Reich der Fünften?«
»Wir haben vieles erreicht. Es erblüht in neuer Pracht, und du wärst stolz auf das, was durch dich auf den Weg gebracht wurde.« Sie schenkte ihm ein bezauberndes Lachen. »Du wärst stolz, und Giselbart Eisenauge wäre es auch. Glaïmbar gibt sich alle Mühe, ein guter König zu sein, und er wird es werden.«
Tungdil sog die Luft ein. »Ist er auch ein guter Ehemann?«
Sie schluckte. »Er war es«, wisperte sie.
Er fuhr aufgeregt herum, starrte sie an. »Wieso...?«
»Er hat mich freigegeben«, antwortete sie mit zitternder Stimme. »Eines Morgens nahm er mich in den Arm, sah mich ernst an und sagte, dass er mich von seiner Seite entlässt und den Ehernen Bund aufhebt.« Sie rang mit der Fassung. Tungdil erkannte Unsicherheit, Glück und Angst zugleich in ihrem liebreizenden Antlitz und konnte nicht fassen, was er da hörte. »Ich fragte ihn, wieso. Ob ich ihm eine schlechte Gattin gewesen sei.«
»Und was antwortete er?«, sagte er rau, seine Kehle war trocken.
»Er antwortete, dass er jemandem versprochen habe, mich niemals unglücklich zu machen. Und das gelänge ihm nicht, wenn er mich hielte. Ich solle mir einen Gatten suchen, den ich liebte.« Sie barg ihr Gesicht in den Händen, weinte vor Erleichterung. »Ich habe mir jede Nacht gewünscht, dass ein Wunder geschehen möge, das uns, Tungdil, wieder zusammenbringt. Ist es ein Unrecht, dass ich mich nun, wo es eingetreten ist, darüber freue?«
Vraccas, damit gibst du mir das Wichtigste in meinem Leben wieder! Alles um ihn herum sang und freute sich, er wollte laut rufen, wollte schreien, so viel Freude empfand er bei ihren Worten. Aber er beherrschte sich, streichelte ihr kurzes Haar, das nachgewachsen war, und drückte ihre Hände nach unten. Erleichterung lag auf ihren tränennassen Zügen.
»Nein, es ist kein Unrecht«, beruhigte er sie und nahm sie in den Arm. Im Stillen dankte er Glaïmbar und zollte ihm Respekt vor der Größe, die er bewiesen hatte. Er küsste sie, schob sie behutsam von sich und kniete sich vor ihr hin. »Balyndis Eisenfinger aus dem Clan der Eisenfinger vom Stamme Borengars, möchtest du dein restliches Leben, und wenn es tausend Sonnenzyklen währt, mit mir verbringen und den Ehernen Bund eingehen?«
Balyndis trocknete sich die Tränen. »Mein Herz ist ihn schon lange mit dir eingegangen und hat ihn niemals gelöst, Tungdil Goldhand. Es gehört dir auf ewig.«
Sie umarmten einander, drückten sich und spürten die tiefe Verbundenheit miteinander, die nun nichts mehr zu stören vermochte, während der Mond hinter dem Hügel emporstieg und Idoslân in eine Welt aus Silber verwandelte.