Er deutete auf die Kette. »Es blieb dir aber genug Zeit, um dir solchen Schmuck zu fertigen?«, neckte er sie.
Sie lächelte. »Sie ist dir aufgefallen?« Die Krummhörner verstummten, Beifall brandete auf, und Balyndis klatschte sogleich beigeistert mit.
Tungdil legte einen Arm um ihre Schulter. »Das wirst du sein lassen, hier zu schuften. Ich brauche dich im Grauen Gebirge.« Tief blickte er ihr in die Augen. »Nicht nur als beste Schmiedin, sondern auch als meine Gefährtin. Die Trennung hat mir gezeigt, wie sehr ich deine Nähe benötige.«
Überrascht von dem Geständnis, blickte sie ihn an. »Tungdil Goldhand, das, wovon du redest, ist eine überaus ernste Angelegenheit.«
»Ich weiß«, nickte er und wich ihren forschenden Blicken nicht aus. »Wir haben viel zusammen erlebt, wir werden noch viel zusammen erleben, und ich möchte mit dir noch darüber reden und mich erinnern, wenn mehr als vierhundert Zyklen vergangen sind. Unsere Kinder werden diese Geschichten lieben und uns kein Wort davon glauben.« Er küsste den Haaransatz ihrer Stirn. »Balyndis Eisenfinger aus dem Clan der Eisenfinger vom Stamm des Ersten, Borengar - ein Dritter von Ungewisser Herkunft und gänzlich unzwergischer Erziehung fragt dich: Willst du mit mir im Grauen Gebirge an der Esse Drachenbrodem den Treuebund eingehen?«
Die Zwergin schluckte ihre Rührung hinunter. »Nichts wird uns fortan mehr trennen können. Ich spüre das eherne Band, das sich zwischen unseren glühenden Herzen gebildet hat, schon seit langem.«
Sie machte einen Schritt nach vorn und nahm ihn in die Arme. Tungdil drückte sie fest an sich, sog ihren Geruch ein und schloss überwältigt von so viel Glück die Lider, als er ihre Stimme hörte, die sagte: »Ich will, Tungdil Goldhand.«
Und wäre im nächsten Augenblick die Halle der Zwerge eingestürzt, hätten sich alle Ungeheuer des Geborgenen und Jenseitigen Landes auf ihn gestürzt und wäre er von einhundert Bolzen durchbohrt in ihren Armen gestorben, kein Moment in seinem Leben wäre schöner gewesen als dieser eine.
Das Geborgene Land, Königreich Gauragar,
23 Meilen südwestlich von Dsôn Balsur,
6234. Sonnenzyklus, Spätwinter
Elbenfürst Liútasil stand auf dem höchsten der hölzernen Wachtürme und überblickte die nahezu endlosen bunten Zeltreihen, die nach strengem Plan angeordnet waren. Er nutzte die Zeit, um sein dunkelrotes Haar mit einem filigranen Silberkamm zu bürsten; die Perlmutteinlagen an den Zacken verhinderten, dass das Metall die feinen Strähnen zu sehr strapazierte. Sanft glitten die Zacken hindurch und lösten kleine Knötchen oder abgestorbene Haare.
Die Streitmacht unter seiner Führung hatte ihre leinernen Behausungen aufgeschlagen und das Lager mit Palisaden befestigt. Darum herum zog sich ein Graben von sieben Fuß Tiefe und sieben Fuß Breite. Weder die Menschen noch die Elben wollten sich so nahe vor dem Reich der Finsternis ohne größtmöglichen Schutz zur Ruhe begeben.
Während Prinz Mallen von Ido mit seinen schnellen Reitern die Orks und anderen Scheusale jagte, die sich nach der Schlacht am Schwarzjoch abgesetzt hatten, wandte sich das zusammengewürfelte Heer aus den Königreichen des Geborgenen Landes gen Norden, um das Reich der Albae zu zerschlagen und die boshaften, grausamen Verwandten der Elben zu vernichten oder zumindest über die Berge ins Jenseitige Land zu treiben. Die Aufteilung wurde von allen Befehlshabern gut geheißen.
Der Herrscher über Âlandur roch die Feuer, über denen das Essen der Männer und Frauen garte, gewahrte die Ausdünstungen von Mensch und Tier und hörte die leisen Unterhaltungen, die ihm der Wind zutrug. Einige der Krieger waren in die Vorbereitungen auf den Kampf vertieft. Sie schliffen ihre Schwerter und Lanzen, andere tauchten die Pfeilspitzen in die Exkremente der Pferde und Kühe, damit eine tiefere Wunde genügte, um dem Gegner den sicheren Tod zu bringen. Und wieder andere sanken betrunken auf ihre Schlafstatt. Sie schütteten den Wein in sich, um im Rausch ihre Angst vor den Albae zu vergessen.
»Menschen«, sagte er leise, bedauernd, und packte den Kamm weg. Sie schwächten sich selbst, indem sie vor dem Kampf alles andere taten, als sich die notwendige Ruhe zu gönnen.
Dennoch benötigte er ihre Zahl, um gegen Dsôn Balsur vorgehen zu können. Seine wenigen Elbenkrieger reichten schon lange nicht mehr aus, um sich gegen die Übermacht der Albae zu verteidigen.
Liútasil machte sich nichts vor. Ohne den Sieg am Schwarzjoch wäre sein Reich innerhalb der nächsten zehn Zyklen gefallen, daher schuldete er den Menschen und sogar den Zwergen Dank. Die letzten Scharmützel an den Rändern Âlandurs waren Rückzugsgefechte der Albae, die alle Kräfte sammelten, um Dsôn Balsur zu verteidigen.
Es fällt mir nicht leicht, Große Göttin Sitalia, dachte er und richtete die Augen auf eine Gruppe Betrunkener, die sich um den letzten Weinschlauch balgten, bis ihr Weibel sie zur Ordnung rief und von herbeigerufenen Wachen auseinander treiben ließ. Es hagelte Stockhiebe, die Säufer verschwanden jammernd in ihren Unterkünften. Sie sind so gänzlich verschieden. Ich verstehe ihr Denken in solchen Augenblicken nicht. Doch Ihr werdet Euch etwas dabei gedacht haben, Sitalia, uns Seite an Seite mit Menschen und Zwergen gegen die Albae ziehen zu lassen.
Er wandte sich ab und machte sich daran, die Leiter hinabzusteigen. Seine Schritte lenkten ihn an den gespannten Stoffbahnen vorbei zu dem großen, purpur-farbenen Versammlungszelt, in dem beraten werden sollte, was seine Späher erkundet hatten.
Die Befehlshaber aus Tabaîn, Weyurn, Sangreîn, Urgon und Gauragar erwarteten ihn bereits; sie saßen an dem großen Kartentisch, schwiegen und tranken von dem Wasser, das man ihnen gebracht hatte. Wenigstens sie blieben vernünftig und Herr ihrer Sinne.
In einer Ecke standen drei Elben in leichten Lederrüstungen, die eben von ihrem Erkundungsgang zurückgekehrt waren. Der Schmutz Dsôn Balsurs haftete noch an ihren Kleidern und Schuhen, ihre leichten Lederrüstungen wiesen Schnitte auf, und vereinzelt waren Blutflecken auf dem Leder zu sehen. Die Erkenntnisse über die Albae wurden mit Schmerz bezahlt.
Liútasil nickte in die Runde und bedeutete den Spähern, ihre Entdeckungen preiszugeben. Da sie die Sprache der Menschen nicht beherrschten, übersetzte er den Kommandanten, was sie zu berichten hatten. »Unser Feind hat sich tief in sein Reich zurückgezogen und zahlreiche Fallen hinterlassen, die uns einen geschlossenen Vormarsch erschweren. Den Wäldern, welche durch die Macht des Toten Landes schwarz wurden, gelang es nicht, sich von der Bosheit zu befreien. Unsere erste Prüfung wird darin bestehen, unbeschadet durch den Wall der Bäume zu gelangen.«
»Und wenn wir abwarten?«, schlug der Befehlshaber der sangreînischen Truppen vor. »Wir haben schon an anderen Orten gesehen, dass der Fluch des Toten Landes genommen wurde und sich die Erde erholte. Vielleicht geschieht es auch hier? Einen Marsch durch peitschende Äste und schlagende Stämme möchte ich meinen Leuten nicht zumuten. Es wird sich auf ihren Kampfgeist auswirken.« Die anderen Menschen stimmten ihm zu.
»Ich verstehe Eure Vorbehalte.« Liútasil setzte sich und stützte die Arme auf die Platte. »Wir Ihr wisst, gehörten diese Wälder einst den Elben, und sie sind alt. Zu alt. Ihre Wurzeln haben das Übel zu lange eingesogen und sind vollständig von ihm durchdrungen«, fasste er zusammen. »Meine Späher haben gesehen, dass die Bäume endgültig sterben und zu Stein werden, doch es wird lange dauern, bis sie ihre Äste nicht mehr bewegen können. Diese Zeit will ich den Albae nicht geben. Wir haben ihnen am Schwarzjoch eine Niederlage zugefügt, von der sie sich nicht erholen dürfen, versteht Ihr das?«