Es tat sich nichts. Der Alb verschmolz mit der Dunkelheit, nicht einmal das Mondenlicht wollte ihn verraten oder besaß die Macht dazu.
Dem Zwerg wurde bald klar, dass ihm der verhasste Alb wegen seiner finsteren Künste überlegen war. Mit Trotz und Hass auf den, der seine Freunde und Gefährten getötet hatte, stellte er sich seiner aufkeimenden Furcht.
Das dumpfe Surren, mit dem der nächste Schlag sein Kommen ankündigte, ließ ihn rechtzeitig den Kopf einziehen. Die Waffe pfiff knapp über ihn hinweg, aber ehe er sich umdrehen konnte, zog sie ihm in einer zweiten Bewegung die Beine weg. Etwas biss ihm in den rechten Unterarm; heiß fuhr der Schmerz hindurch und zwang ihn, die Hand zu öffnen. Die schwere Axt, die letzte Möglichkeit, sich gegen das feindliche Wesen zu verteidigen, entglitt ihm.
Unvermittelt sah er eine schmale Stiefelsohle vor seinen Augen, sie senkte sich auf seine Kehle und drückte ihm die Luft ab. »Dachtest du wirklich, du könntest gegen mich bestehen, Unterirdischer?«
Er schaute an der Spitze vorbei und erkannte eine hoch gewachsene Gestalt in dunkler Rüstung. Der obere Teil des Gesichts wurde durch eine Kampfmaske aus Tionium verdeckt, schwarzer Stoff ließ Nase, Mund und Kinn dahinter schemenhaft erkennen. Der Rest des Kopfes lag unter einer Kapuze, die zu einem dunkelgrauen Cape gehörte.
»Warum nicht?«, presste er hervor. »Wenn du nicht feige wärst und dich im Dunklen verstecktest, lägest du gespalten auf der Erde.«
»Ein frommer Wunsch«, kam es belustigt hinter dem seidenartigen Tuch hervor, welches der Atem in wellenhafte Bewegungen versetzte. »Oder dein letzter Wunsch, Bundror?«
»Ja«, krächzte er.
Der Stiefel hob sich. »Dann soll es so sein.«
Bundror erhob sich ein weiteres Mal, packte die Axt und betrachtete kurz den tiefen Schnitt in seinem Unterarm, aus dem sein Blut in Strömen quoll. Er biss die Zähne zusammen, um die Qualen nicht zu zeigen, und senkte entschlossen den Kopf. Der Stimme nach konnte es sich um eine Albin handeln, die Maske und die Rüstung machten es zusammen mit dem Umhang unmöglich, Genaueres festzustellen. »Vraccas wird mir die Kraft geben, dich zu besiegen.« Er blickte sich rasch um, entdeckte jedoch keine weiteren Feinde. Nur sie? Wie war es ihr möglich, uns alle allein zu bezwingen? Besitzt sie Zaubermächte?
»Du wirst meine Krieger erst sehen, wenn sie es möchten«, schien sie seine Gedanken lesen zu können, den Kampfstab um die eigene Achse wirbelnd. »Ich warte, Unterirdischer.«
Er lief auf sie zu und schleuderte die Axt nach ihr, die sie mit einem raschen Hieb abwehrte.
Mehr Zeit der Ablenkung hatte Bundror nicht gebraucht.
Er riss einem der Toten ein handlicheres Beil aus dem Gürtel und packte einen Schild, um sich auf die Albin zu stürzen. Mit dieser leichteren Bewaffnung rechnete er sich mehr Aussichten auf einen Erfolg gegen sie aus.
Zwischen den Leichen seiner Freunde entspann sich in ungleiches Gefecht.
Die beiden Enden des Kampfstabes schienen überall zu sein, zuckten hier und stießen da nieder, trafen gegen das metallbeschlagene Holz und krachten im nächsten Moment gegen sein Kettenhemd, um ihm die Luft aus den Lungen zu jagen und die Rippen zu brechen. Bei den wenigen Gelegenheiten, die sich für ihn auftaten, schlug er zu und knurrte jedes Mal vor Enttäuschung auf, weil es der flinken Albin gelang, das Beil zu parieren oder aus seiner Bahn zu drängen.
Bundror verstand, dass er sie auf diese Weise nicht bezwingen konnte und sein Tod sicher war. Eine andere, ebenfalls sehr zwergische Weise zu kämpfen war gefragt. Vraccas, steh mir bei! Er warf das Beil nach ihr, und während sie auswich, packte er den Schild mit beiden Händen und rannte schreiend auf sie zu.
Seine ungewöhnliche Attacke überraschte sie. Er spürte den Widerstand, den ihr Körper ihm bot, er hörte, dass sie rumpelnd gegen seinen Schutz prallte und mit einem Stöhnen zu Boden ging.
»Verfluchtes Spitzohr!«, brüllte er in einer Mischung aus Freude und Hass. »Ich brauche keine Axt, um dir den Kopf von den Schultern zu schlagen.« Er drückte sich ab und sprang auf sie, die untere Kante des Schildes zielte auf ihren Hals.
Da geschahen zwei Dinge.
Die liegende Albin rammte das hintere Ende des Stabes in die Erde und reckte ihn dem Zwerg wie eine Lanze entgegen. Ihm hätte Bundror vielleicht noch ausweichen können, aber ein breiter, schwarzer Schatten fegte von der rechten Seite heran und erfasste ihn.
Er hörte ein heiseres Brüllen und sah ein Paar rot funkelnder Augen. Der bestialische Hauch aus dem zahnbewehrten Maul der Kreatur umwehte ihn und zeigte ihm, wie nahe sie ihm war. Der Schlag in seinen Magen raubte ihm fast die Sinne, etwas bohrte sich ruckartig durch die schützenden Kettenringe und trat aus seinem Rücken wieder aus.
Die nächtliche Ebene tanzte vor ihm, es ging auf und abwärts mit dem Zwerg, der sich fühlte, als hinge er auf der Spitze einer wild schwankenden Palisade fest. Sein Helm trudelte davon, er verlor seinen Schild, den Waffengurt und sogar einen Stiefel, bis sie ihn unvermittelt frei gab.
Der benommene Bundror flog in hohem Bogen durch die Luft und prallte auf einen der toten Freunde. Durch den roten Schleier vor seinen Augen erkannte er, dass es Gisgurd war.
Bald sehen wir uns wieder, mein Freund. Schüre die Esse, es kann nicht mehr lange dauern. Er wälzte sich herum. Eine metallisch schmeckende Flüssigkeit stieg in seiner Kehle auf, rann aus dem Mundwinkel in den Bart und fiel in langen, zähen Tropfen auf seine Schulter. Doch zuerst muss ich die anderen warnen.
Seine Finger krochen auf den Rucksack Gisgurds zu, sie zogen mit Mühe das gewaltige Rufhorn hervor und setzten es an die aufgeplatzten Lippen. Das Luftholen war eine Qual, seine sich mit Blut füllenden Lungen blubberten, doch sie gehorchten seinem eisernen Willen.
Ein einziger, lauter Ton entsprang dem Horn des gemeuchelten Anführers und rollte über die Ebene Gauragars, ehe es sich mit seinem roten Lebenssaft füllte und verstummte. Die guten Ohren der Elben im nicht mehr weit entfernten Lager des Heeres, so hoffte Bundror, würden das Signal vernehmen und Alarm schlagen.
Seine Sinne schwanden weiter. Er musste das schwere Horn freigeben und sah die Kampfmaske seiner Gegnerin vor sich auftauchen. »Was immer ihr geplant hattet, ihr werdet niemanden mehr damit überraschen«, keuchte er mit einem grimmigen Lächeln.
»Nur, wenn man dein Horn bis ins Graue Gebirge gehört hat«, erhielt er zur Antwort. Sie beugte sich zu ihm hinab und hob die Maske, damit er ihre Züge sah. Es war die vermeintliche Elbin, mit der er vor wenigen Stunden friedlich zusammen am Feuer gesessen hatte. »Dein Tod heißt Ondori. Ich nehme dir das Leben, wie dein Volk meinen Eltern das Leben nahm. Möge deine Seele für immer verloren sein und durch das Jenseits irren.« Die Klinge einer sichelförmigen Waffe blinkte silbrig im Licht der Nachtgestirne auf; feierlich sprach die Albin dunkle Silben.
Der Zwerg ahnte, was sie bedeuteten, und betete zu Vraccas.
Noch ehe Bundror sein Flehen um gnädige Aufnahme in die Ewige Schmiede beendet hatte, zerschnitt ihm die Schneide die Kehle und den letzten spärlichen Rest seines dünnen Lebensfadens.
III
Das Geborgene Land, Rotes Gebirge,
im Osten des Reichs der Ersten,
6234. Sonnenzyklus, Frühling
Tungdil beobachtete eingehend die in dicke Pelze gehüllte Herrscherin der Ersten. Xamtys saß widerwillig auf dem Ponyrücken und ließ die verschneiten Hänge des Roten Gebirges nicht mehr aus den Augen. Sie suchte ein Zeichen, irgendeinen Hinweis auf eine Gefahr, ein Unglück, das sich in ihrer Abwesenheit ereignet hatte und die Zwerge vom Stamm Borengar zum Schweigen verurteilte.