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»Weshalb? Sie haben dich als ihren Anführer angenommen, weil du der Held des Schwarzjochs bist. Du trägst den Gurt von Giselbart Eisenauge, und nur deine Hand verleiht der Feuerklinge die Wirkung, die gegen das Böse notwendig ist.«

»Brauchen sie nicht viel mehr jemanden«, unterbrach Tungdil ihn, »der ihre Traditionen kennt? Der um die Regeln weiß und sein Leben danach ausrichtet? Wir haben uns in einem Gebiet niedergelassen, in dem der Zusammenhalt wichtiger ist als jemals zuvor. Unsere Gemeinschaft ist klein. Ich kann kämpfen, wenn ich gebraucht werde, dazu muss ich nicht ihr Anführer sein.«

Der Zwerg paffte und stieß Rauchkringel zwischen den Lippen hervor; der blaue Dunst löste sich bald auf und verschwand. »Ich weiß, was du meinst, Gelehrter, und deine Worte sprechen einmal mehr für deine Weitsicht.« Er nickte ihm anerkennend zu.

Tungdil schöpfte in der hohlen Hand Wasser aus dem Bach, der neben ihm vorbeiplätscherte, und sog es in den Mund. Es schmeckte unvergleichlich klar, leicht metallisch und dennoch hervorragend. Keine Quelle an der Oberfläche reichte da heran, und es stillte den Durst auf der Stelle. »Ist es unrecht, dass ich mir seinen Tod wünsche?«, fragte er mit gesenkter Stimme und rieb sich mit den feuchten Fingern durchs Haar.

»Wessen Tod? Glaïmbar Scharfklinges?« Ingrimmsch lachte laut. »Sogar ich wünsche ihm den Tod. Er hat dafür gesorgt, dass es meinem besten Freund schlecht geht, und ihm die Liebe seines Lebens genommen.« Er musste wieder lachen, als er Tungdils entsetzten Gesichtsausdruck bemerkte. »Was? Ich bin verrückt, der Kampfrausch und die Sorge um meinen Bruder machen mich irre, hast du das schon vergessen?« Schlagartig kehrte seine Ernsthaftigkeit zurück. »Nein, Tungdil, ich verstehe dich sehr gut. Ich würde Scharfklinge sofort zum Zweikampf fordern, wenn es etwas brächte. Das tut es aber nicht. Chaos schadet unserem Volk, aus einer Tat erwächst die nächste, das Blut würde nicht mehr aufhören zu fließen.« Er klopfte ihm auf den Oberschenkel. »Kopf hoch, Gelehrter. Du wirst eine andere finden, die dir mit ihrem warmen Leib und ihrer Hingabe die Erinnerung an Balyndis vertreibt.«

»Niemals.«

»Du musst«, kam es augenblicklich und hart von Boïndil. »Oder es wird dich verzehren. Ich weiß, wovon ich spreche.« Er reichte Tungdil die angerauchte Pfeife, die er dankend annahm.

Sie saßen sich lange schweigend gegenüber.

Der Tod von Glaïmbar, wisperte sein innerer Dämon verführerisch. Es gibt nichts Besseres für dich und Balyndis. Sie ist unglücklich wie du. Nimm die Last von ihren Schultern und töte Glaïmbar, wenn sich eine gute Gelegenheit bietet.

»Hast du schon einen Plan?«

»Was?« Ertappt fuhr Tungdil zusammen.

»Ob du einen Plan hast, will ich wissen. Wir haben davon geredet, dass du die Führung einem anderen überlassen möchtest. Wie finden wir heraus, wen sie wollen?«

»Oh... Ich werde es ihnen erklären, wie ich es dir erklärt habe. Sie sollen einen aus ihrer Mitte wählen«, sagte er ohne lange nachzudenken. »Es ist...«

Er verstummte, weil Ingrimmsch aufsprang. Die Beilstiele flogen ihm wie von selbst zwischen die Finger. »Das Graue Gebirge ist gut zu uns. Es gibt uns Wasser. Und Schweineschnauzen«, sagte er mit funkelnden Augen und zwinkerte Tungdil zu. »Ich rieche sie!« Er wies nach rechts. »Sie sind nicht weit vor uns. Ihr Gestank kommt aus dem Gang.«

Die Runen, welche die Fünften über den Stollen in den Berg gemeißelt hatten, verkündeten ihnen, wo er endete: am Steinernen Torweg.

Ihre Rast endete jäh.

In aller Eile packten sie ihre Ausrüstung zusammen; die Krieger in ihren Reihen stellten sich an die Spitze des Trupps, die Steinmetzen zogen sich an den Schluss zurück und bildeten mit ihren schweren Hämmern und dem Werkzeug, das sich notfalls statt durch Fels auch durch Fleisch und Knochen bohren würde, die Nachhut.

Im Laufschritt ging es durch den Gang. Nun rochen sie alle den widerlichen Geruch, der ihren Hass auf den Gegner steigerte: den beißenden Schweiß der Orks zusammen mit dem ranzigen Talg auf den schäbigen Rüstungen.

»Ich wusste, dass sie wieder auftauchen würden.« Boïndil trabte neben Tungdil her. »Der Tod Nôdʹonns hat sie nicht lange davon abgehalten, über den Pass zu kommen. Das Geborgene Land ist einfach zu verlockend. Fressen in Hülle und Fülle.«

Tungdil sah in einiger Entfernung einen hellen Lichtschimmer, das Ende des Ganges kündigte sich an. Bald würden sie unmittelbar neben der titanischen Pforte an die Oberfläche treten und außer diesem zwergischen Wunder der Baukunst eine Ungewisse Anzahl von Feinden erblicken.

»Wir stürmen raus und fallen über sie her«, schlug Ingrimmsch begierig vor und warf sich den langen schwarzen Zopf über die Schulter. »Sie rechnen nicht damit, dass sich Zwerge im Gebirge aufhalten. Die Überraschung wird sie lähmen, und wir können die ersten hundert fällen, ohne dass sie sich wehren.«

»Zügle dich, Boïndil«, bat Tungdil rasch seinen Freund. »Zuerst will ich sehen, mit wem wir es zu tun haben.« Er trat an den Ausgang heran und lugte an der Kante vorbei.

Etwa zwei Dutzend Orks standen unmittelbar an den weit geöffneten Toren und berieten sich. Am Boden verteilt lagen die zerstörten Reste der fünf massiven Riegel, mit denen der Eingang ins Geborgene Land einst gesichert worden war, bevor sie zu irgendeiner Zeit nach dem Fall des Zwergenreichs von den Bestien abgeschlagen worden waren.

Einer der Orks deutete zum Treppenaufgang, der hinauf zu den Wachtürmen führte. Sie schienen es nicht eilig zu haben, sondern machten auf Tungdil eher den Eindruck, als erforschten sie die Bauart des Tores.

Als hätte eine der Bestien seine Gedanken gehört, ging sie leise grunzend zu den übergroßen Scharnieren und betastete sie. Die übrigen Orks begannen mit dem Aufstieg.

»Was ist?«, drängelte Ingrimmsch und rieb ruhelos die Beilköpfe aneinander. »Einhundert? Zweihundert? Komm schon, wie viele dürfen wir niedermähen?«

Tungdil nannte ihm die Zahl.

»Was?« Er blickte die Zwerge, die unmittelbar hinter ihm standen, durchdringend an. »Lasst es euch nicht einfallen, die Axt gegen sie zu erheben. Sie sind alle mein! Sucht euch selbst welche.«

»Sie verhalten sich merkwürdig«, fand Tungdil und teilte ihnen seine Mutmaßung mit. »Es müssen Kundschafter sein. Die Horde wird sie vorausgeschickt haben, um einen Weg zu finden, wie man das Tor ein für alle Mal zerstört.«

Boïndil ließ sich nicht mehr halten. »Hussa! Das werden wir zu verhindern wissen!« Er spurtete los, geradewegs auf die Gruppe zu, die sich anschickte, die Stufen nach oben zu erklimmen, und erschlug drei von ihnen mit mächtigen Hieben, ehe die anderen so recht wussten, was über sie hereinbrach.

Tungdil folgte ihm schimpfend, erreichte den Aufgang und verharrte. Ingrimmsch benötigte seine Hilfe nicht, die getöteten Scheusale kamen in kurzen Abständen nacheinander die Stufen hinabgerollt und stapelten sich am Fuß des Aufgangs.

Die nachrückenden Zwerge erkannten, dass Ingrimmsch an die zwanzig Bestien in den Tod geschickt hatte, ohne auf ihren Beistand angewiesen zu sein. In dem engen Treppenhaus gab es für die breit gebauten Orks keine Gelegenheit, sich des wütenden Kriegers zu erwehren. Einen Fuß vor den anderen setzend, arbeitete Boïndil sich von unten durch die Leiber der Feinde, deren lange Schwerter, Keulen und Äxte nicht geeignet waren, sie auf engstem Raum zu verteidigen.

»Wir folgen ihm. Vier von euch schnappen sich den Ork, der am Tor stand. Ich will ihn lebendig«, befahl Tungdil den anderen. Da er nicht damit rechnete, dass einer der Orks Ingrimmschs Beilen entging, wollte er selbst das letzte Exemplar in die Finger bekommen, um es zu verhören.

Sie stiegen das Treppenhaus hinauf und schoben sich an den Leichen vorbei, darauf achtend, nicht in deren grünem Blut auszugleiten oder von dem nächsten fallenden Kadaver mitgerissen zu werden.