Plötzlich schloss sich eine Klaue um Tungdils rechten Knöchel. Einer der vermeintlich Toten griff knurrend und Zähne fletschend nach ihm. Geistesgegenwärtig schlug der Zwerg ihm die Axt in die Schulter.
Die Bestie grunzte und zog ihm das Bein weg, Tungdil fiel rückwärts in die Arme des ihm nachfolgenden Zwergs, und da er den Stiel seiner Axt nicht losließ, zerrte er den verletzten Ork mit sich.
Entgeistert starrte er auf die Wunden des Gegners. Er müsste längst tot sein. Mit Mühe riss er die Schneide aus dem Schultergelenk des sich aufrichtenden Orks, trat ihm gegen das Knie, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, und schlug ihm die Feuerklinge seitlich in den Hals, so fest es im engen Treppenaufgang möglich war. Der abgetrennte Schädel hüpfte die Treppe hinab, der Körper kippte auf die Stufen und blieb liegen.
»Zäher Bastard«, meinte der Zwerg, der ihn aufgefangen hatte, mit Blick auf die Leiche.
Tungdil befiel eine schlimme Ahnung. »Still!« Den Geräuschen nach, die vom Aufgang des Turmes erklangen, erhoben sich auch die übrigen besiegten Gegner wieder.
»Zurück!«, gab er den Befehl. »Sie sind nicht... tot.« Hat das Tote Land immer noch Macht im Grauen Gebirge?, fragte er sich, nachdem er sich von dem ersten Schrecken erholt hatte. Er erinnerte sich allerdings noch sehr genau daran, was man gegen Untote unternehmen musste, um sie für immer zu vernichten. Wenigstens das Köpfen scheint sie noch aufzuhalten, wie man sieht.
»Enthauptet sie!«, schrie er, während sich die Scheusale erhoben und die Zwerge am Ende des Trosses mit bloßen Händen oder hastig gezückten Dolchen attackierten. »Sie sind noch immer vom Toten Land besessen!«
Der Kampf begann von neuem, und dieses Mal war er anstrengender und gefährlicher denn je.
Tungdil hastete ins Freie und schwang die Feuerklinge, die augenblicklich ihre volle Macht gegen die Untoten entfaltete.
Doch die flirrende Schneide und die leuchtende Spur, welche der verzierte Axtkopf zog, schüchterten die Orks nicht ein; sie griffen ihn wie auch seine Begleiter ungestüm an. Orks ließen sich jedoch nicht so leicht köpfen, schon allein der Größenunterschied erschwerte das. Hinzu kam, dass sie nach wie vor passable Kämpfer abgaben, die einen Fehler sogleich erkannten und ihn auszunutzen wussten.
»Köpft sie!«, rief Tungdil unablässig, während er sich bückte, dem nächsten Ork mit einem Hieb die Unterschenkel durchtrennte und in der zweiten Bewegung dessen Schädel zerschmetterte.
Er schaute sich keuchend um. Für ihn sah es alles andere als nach einem Sieg aus. Etliche Zwerge lagen bereits erschlagen oder verletzt auf dem Boden, nachdem sie von einem totgeglaubten Feind ein weiteres Mal angegriffen worden waren.
Diejenigen, die nicht die Kampferfahrung der Veteranen besaßen, verteidigten ihr Leben, indem sie beherzt, aber sinnlos nach den Orks schlugen. Die Wunden kümmerten die untoten Bestien nicht, und wenn sie nicht gerade eine Hand oder einen Arm verloren, setzten sie ihre wuchtigen Angriffe unvermindert fort. Die Entschlossenheit schwand aus den jüngeren Zwergengesichtern, die Zahl der Toten stieg.
»Den Hals müsst ihr durchschlagen!« Tungdil stürzte sich auf den nächsten Gegner, der einen Zwerg eben mit einer Klaue würgte und dem es nicht das Geringste ausmachte, dass sein Unterarm vom einem Dolch bearbeitet wurde. Drei Schläge mit der surrenden Feuerklinge später fiel die Bestie.
Es war sehr mühselig, die Orks erst auf die Knie zwingen, um ihnen die Hälse durchzuschlagen, doch Tungdil schien an allen Ecken des furchtbaren Kampfes gleichzeitig zu sein. Er gab der wankenden Standhaftigkeit ein neues Fundament und bewahrte sie vor einer Niederlage gegen die Scheusale, die von finsteren Kräften beschützt wurden.
Den Sieg bezahlten sie trotz ihrer Überzahl mit zwanzig Verletzten und fünfzehn Gefallenen. Ihre eigenen Toten blieben zu ihrer großen Erleichterung still liegen.
»Den Turm hinauf!«, wies Tungdil die verbliebenen Kämpfer an. Auf halber Strecke schlossen sie zu Boïndil auf, der gerade seinen letzten Gegner mit zwei gleichzeitig geführten, unaufhaltbaren Treffern in den Unterleib erlegte. Ächzend sank der Ork zusammen, das Schwert prallte scheppernd auf die Treppe und schlitterte zwischen den Stiefeln der Zwerge entlang.
»Köpfen, ja?« Ein weiterer Schlag, und der widerliche Schädel löste sich vom Hals. Ingrimmsch wischte sich den Schweiß, das Blut und andere widerlich stinkende Flüssigkeiten aus dem Gesicht. »Das hat mir gefallen«, seufzte er glücklich, die Klingen an der Kleidung des Scheusals abwischend. »Bei Vraccas, ich werde sie mir nur noch in engen Aufgängen vornehmen, so kann ich mir sicher sein, dass keiner entkommt. Aber wie ist es möglich, dass das Tote Land sie beschützt? Wir haben es doch besiegt.« Im Stillen überschlug er die Menge der Getöteten. »Ho, da fehlt mindestens einer«, stellte er grimmig und mit irrem Glanz in den Augen fest. »Oder du hast dich verzählt, Gelehrter?«
»Geh weiter, Boïndil«, bat Tungdil ihn eindringlich. Die veränderten Orks beunruhigten Tungdil zutiefst. »Wir unterhalten uns, wenn wir auf dem Turm angekommen sind.«
Boïndil folgte der Anweisung, und bald versammelten sich alle Zwerge auf dem befestigten Söller, von dem aus sie sowohl den Pfad, der sich von Norden auf die Pforte zu bewegte, als auch den Platz auf ihrer Seite unmittelbar hinter den Toren vollständig einsahen.
»Weit und breit keine Spur von weiteren Feinden«, stellte Tungdil befreit fest. Solange sich die Granitflügel nicht geschlossen hatten und die fünf Riegel an ihren alten Plätzen saßen, brannte er wahrhaftig nicht auf eine Schlacht gegen die Kreaturen Tions. Schon gar nicht, wenn sie mit unheiliger Macht ausgestattet waren. Er brauchte Sicherheit. Das Geborgene Land brauchte Sicherheit.
»Weshalb sterben sie nicht?«, wiederholte Ingrimmsch sich wundernd. »Soll sich das Tote Land so rasch erholt haben?«
Lautstarkes, tierähnliches Grunzen verkündete ihm, dass die vier Zwerge den letzten Ork gefangen und nach oben gebracht hatten.
»Fragen wir ihn.« Tungdil musste nichts zu Boïndil sagen, der Krieger verstand, dass er ihn nicht auf der Stelle in Stücke hauen durfte. »Schafft ihn hierher«, wies er sie an, und sie schoben den Gefangenen bis an die Zinnen.
Sie waren nicht zimperlich zu Werke gegangen, die Bestie blutete aus mehreren Wunden, die sich hauptsächlich an den Oberschenkeln und im Unterleib befanden. Der Hieb eines Hammers hatte das Kinn zertrümmert, von den Hauern waren nur Fragmente geblieben. Ein normaler Ork wäre an den Verletzungen längst gestorben.
Die gelben, tief im Schädel liegenden Augen huschten angsterfüllt über die bärtigen Gesichter, die platte Nase witterte nach allen Seiten, die Brust hob und senkte sich schnell, was deutlich an den Bewegungen des dick eingefetteten Panzerhemds zu sehen war.
»Was wolltet ihr hier?«, herrschte Tungdil den Ork an und hob die Feuerklinge ins Sonnenlicht, damit die Diamanten an der Schneide funkelten und ihren Widerschein auf den Gefangenen warfen. Aufquiekend wollte er zurückweichen, doch die Brüstung hielt ihn auf. »Du kennst die Waffe?«, sprach er ihn im Dialekt der Orks an. Nicht umsonst hatte er bei dem weisen Lot-Ionan gelebt, in dessen Büchern vieles zu lesen stand.
Die Angst in den Augen des Orks wandelte sich zu Überraschung. »Du... verstehst mich?«
»Wie viele von euch kommen den Pass entlang? Und wie ist es möglich, dass ihr nicht sterbt? Wie hat das Tote Land ohne den Dämon seine Macht zurückerlangt?« Tungdil schwang die Axt und bremste sie erst knapp vor der Nase ab. »Rede!«
»Es ist das Schwarze Wasser... das Blut des Toten Landes, es hat uns...« Er verstummte. »Ich darf es nicht sagen.«
Zuerst dachte Tungdil sich nichts dabei, dass der Ork sich vor der Feuerklinge fürchtete, doch dann erschien es ihm seltsam. Woher weiß er von ihr? Ist die Kunde bereits in ihre Heimat vorgedrungen? Kann es so genaue Beschreibungen davon geben? »Du weißt, wer ich bin und welche Macht ich in Händen halte? Dann musst du am Schwarzjoch gewesen sein. Und was meinst du mit Schwarzem Wasser?«