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»Sag das dem Land«, brummelte Boïndil und wandte sich an den nächsten Baum. »Wenn sich auch nur eine Ranke um meinen Stiefel schlängelt, hacke ich den Wald nieder, verstanden?«

Zufall oder nicht, in dem Augenblick, als er es aussprach, strich ein Windhauch durch die Äste und Zweige, und die Blätter raschelten beinahe drohend.

Der Zwerg konterte, indem er seine Beile aus dem Waffengurt zog und sie mit den stumpfen Seiten aneinander schlug; weithin hörbar schallte das Klirren durch das Gewirr aus Stämmen und Dickicht. »Mir machst du keine Angst«, rief er laut. »Sei brav.«

Schmerzten ihre Füße noch so sehr, sie hielten nicht an. Sie aßen und tranken im Gehen, während die Sonne langsam aufstieg und sich ein dünner Nebelschleier zwischen den Bäumen bildete; schließlich verließen sie den Wald und standen im Morgengrauen auf einer tellerflachen Ebene. Das Gras reichte ihnen bis zur Brust; zwischen den abgestorbenen Halmen wuchs bereits neues nach.

Zwei Meilen vor ihnen erstreckte sich der ruinenumsäumte Weiher, wie Bramdal ihn beschrieben hatte. Irgendwie hatte er dabei vergessen zu erwähnen, dass sein Wasser schwarz wie die Nacht war und die Sonnenstrahlen von ihm aufgesogen wurden, ohne die Wellen zum Glitzern zu bringen. Tungdil dachte an den See im Entseelten Wald.

Ingrimmsch wollte gar nicht mehr aufhören, den Kopf zu schütteln. »Wenn er klar und durchsichtig gewesen wäre und man bis auf den Grund sehen könnte, hätte ich nichts gesagt. Aber das«, er deutete auf den Weiher, »das sieht nach dem Werk des Toten Landes aus, oder etwa nicht, Gelehrter?«

»Eine Teergrube kann nicht schwärzer sein«, gab ihm einer der anderen Recht. »Ich werde nicht einmal meinen kleinen Zeh hineintauchen.«

»Sehen wir ihn uns an.« Tungdil setzte sich in Bewegung, vorbei an den spielerisch von Efeu umrankten Trümmern einer Elbenstadt.

Anders als die Verwandten in Âlandur bevorzugten die Nordelben ganz offensichtlich massive Bauten, doch das, was die Albae und die Witterung über etliche Sonnenzyklen hinweg hier angerichtet hatten, verwehrte ihm eine Vorstellung davon, wie es einst ausgesehen haben könnte.

»Geht, ich komme nach.« Bigor Säulenschlag, einer der Zwerge vom Stamm der Zweiten, konnte seiner Natur nicht länger widerstehen und scherte aus ihrer Gruppe aus, um die Steinmetzarbeiten näher zu betrachten. Mit schwieligen Fingern erkundete er tastend die Reste der abgeschliffenen Reliefs und Ornamente; die Farbenpracht der Bemalung war der Sonne zum Opfer gefallen. »Ganz nett für die Arbeit von Blumenpflückern«, murmelte er lobend.

Trotz der verwinkelten Muster war nichts herausgebrochen, Spuren von abgeglittenen Hämmern oder abgerutschten Meißeln fand er nicht. Auch wenn er es niemals laut sagen würde, er wünschte sich, die Stadt, oder was immer an diesem Ort gestanden hatte, früher gesehen zu haben.

Tungdil war mit den anderen am Ufer angelangt; er drehte sich zu dem Zweiten um, sah ihn aber nirgends. »Bigor?«

»Er wird noch eine Säule gefunden haben, die er sich ansieht«, schätzte Ingrimmsch.

»Oder er ist in die Hocke gegangen«, gluckste ein anderer. »Man würde ihn in dem Nebel nicht mehr sehen.«

Tungdil stellte sich an das Ufer des Weihers, in den die kläglichen Überbleibsel eines Stegs ragten. Zu seiner Linken befanden sich die Reste eines Sitalia-Heiligtums, wie er an den Zeichen erkannte; steinerne Treppen reichten bis an die Wasserkante.

Sehen wir mal, was geschieht. Er bückte sich, zog einen Handschuh aus und hielt den Finger nach kurzem Zögern in das flüssige Schwarz. Eisig kalt umspielte es ihn, doch mehr geschah nicht. »Er macht einen ungefährlichen Eindruck«, sagte er über seine Schulter hinweg. »Über den Steg gelangen wir fast bis zur Mitte. Mit etwas Anlauf...«

»Ho, Gelehrter«, unterbrach ihn Boïndil. »Ich habe dir bislang immer vertraut, denn du hast mehr als einmal bewiesen, dass du gute Einfälle in deinem Kopf herumträgst...«

Tungdil blieb eine Möglichkeit, den Zwilling dazu zu bewegen, ihm in die Fluten zu folgen, auch wenn es nicht unbedingt hochanständig war. »Höre ich da Angst, Ingrimmsch?« Er fuhr mit der Hand in das Wasser und bespritzte ihn kräftig. »Und, was sagst du nun? Trachtet es nach deinem Leben und versucht, dich zu würgen? Denkst du, dass du es fürchten musst?«

Sein Plan ging auf. Ingrimmsch richtete sich auf, seine angekratzte Ehre besiegte die Vorbehalte. »Ich werde mich kopfüber in den Tümpel werfen, damit ihr alle seht, dass ich weder Schweineschnauzen noch den Fluch einer Göttin fürchte.« Schon machte er Anstalten, auf den Steg zu treten, als ihn Tungdil zurückhielt.

»Warte. Erst müssen wir Bigor finden.« Laut rief er den Namen des verschwundenen Steinmetzen, ohne eine Antwort zu erhalten. »Wir schwärmen aus und suchen ihn«, befahl er.

Boïndil zog seine Beile. »Ich wusste es. Der Wald hat ihn sich genommen. Elbenbäume hassen Zwerge.«

»Du hast ihnen gedroht, was erwartest du von ihnen?«, erinnerte ihn einer der Zwerge an sein Verhalten auf dem Waldweg.

»Dass sie sich benehmen.« Boïndil stapfte durch das hohe Gras und hieb nach den Halmen, um seinen Unmut daran auszulassen.

In einer lang gezogenen Linie liefen sie nebeneinander her, riefen nach Bigor und hielten Ausschau nach dem Verschollenen.

Neben einer Säule, wo das Gras die Höhe eines ausgewachsenen Menschen erreichte, fanden sie ihn. Oder besser gesagt seine sterblichen Überreste.

Rasch bildeten sie einen Kreis zur besseren Verteidigung, während Tungdil ihn sich näher besah.

Das Kettenhemd war Bigor halb über den Kopf gezogen worden, scharfe Zähne hatten das darunter liegende Lederwams zerfetzt und sich durch das Fleisch gewühlt; große Stücke des Zwerges fehlten samt der Rippen. »Ohne Zweifel ist er einem Raubtier zum Opfer gefallen.« Um den Toten herum war das Gras niedergetrampelt und blutbesudelt.

Ingrimmsch schaute wütend auf die wogende Wand aus Halmen, die einen Schutz vor ihren Blicken bildete. »Eine verdammte Falle«, knurrte er. »Dieser Bramdal war ein Dritter und hat uns absichtlich hierher geschickt, damit wir einen netten Happen für dieses Vieh abgeben.« Er stemmte sich gegen den Boden. »Aber nicht mit mir. Es wird in keinen von uns mehr seine gierigen Zähne schlagen.«

Tungdil entdeckte eine breite Lücke im Gras. Ihn beunruhigte, dass dieses Tier trotz seiner Größe in der Lage war, sich so lautlos zu bewegen, dass sie nicht gehörten hatten, wie es über Bigor hergefallen war. Anhand des Zustands der Leiche schätzte er, dass sie es bei seinem Mahl gestört hatten. Es lauerte gewiss irgendwo in dem Gras und wartete. Worauf? Dass wir gehen oder auf eine Gelegenheit, den Nächsten zu reißen?

Der Wind frischte auf. Raschelnd rieben die Gräser aneinander und übertönten das leise Sirren, mit dem sich ein Pfeil üblicherweise ankündigte.

So brachte das Geschoss dem Zwerg zu Ingrimmschs Rechten so schnell und unverhofft den Tod, dass sein Verstand es zunächst gar nicht gewahrte. Durch die Kraft des Einschlags machte er einen halben Schritt nach hinten, fasste ungläubig nach dem schwarzen Schaft, der aus seinem Leib ragte und die Spitze in sein Herz gejagt hatte, und brach zusammen.

»Albae!«, brüllte Boïndil warnend und duckte sich, um ein kleineres Ziel abzugeben. Der Pfeil, der ihm gegolten hatte, flog über ihn hinweg und traf den Zwerg hinter ihm in den Rücken; ächzend fiel er zu Boden. Ein dritter Zwerg wurde von zwei der heimtückischen Geschosse durchbohrt.

Die Geschwindigkeit, mit der sie beschossen wurden, sprach für mehr als einen Gegner. Es saßen mindestens drei Feinde irgendwo im Gras vor ihnen, und damit stellte es nach Tungdils Auffassung ein Ding der Unmöglichkeit dar, als Sieger aus dem ungleichen Kampf hervorzugehen.

»Runter mit euch«, ordnete er an und hechtete zwischen die hohen Halme. »Wir kriechen zum Weiher. Denkt an die Worte Bramdals«, erteilte er ihnen leise Anweisungen, damit die Albae sie nicht hörten. »Wir werden herausfinden, ob der Zwerg uns belogen oder die Wahrheit gesagte hat«