»Nein, berichte es mir, nicht ihr«, bat sie ihn.
Ihr Gesicht sagte ihm alles. »Du willst Rache nehmen für meinen Compagnon? Denkst du, eine schwangere Halbalbin ist dafür geeignet?«
»Ich fühle mich sogar stark genug, um es mit Djerůn aufzunehmen.« Sie öffnete ihm die kleine Pforte, nahm seine Hand und drückte sie. »Versprichst du es mir, Rodario?«
Er nickte, nahm sie tröstend in die Arme und blickte zögernd nach rechts und links. Es war niemand zu sehen. »Ich verspreche es.« Er winkte ihr zu und ging los.
Erst jetzt, wo er allein war, wagte er es, seine linke Faust zu öffnen.
Darin bewahrte er etwas von der seltsamen Flüssigkeit auf, die das Gift sein sollte, mit der die Angreifer seinen besten Freund attackiert hatten. Er hatte es berührt, als der Mann mit dem Kurzschwert ihn gefragt hatte, ob er Furgas sei.
Rodario hielt die Feuchtigkeit prüfend vor seine Augen. Sie leuchtete grellgelb und kam ihm auf eine unbestimmbare Weise bekannt vor. Je mehr er darüber nachdachte, desto weniger erinnerte er sich an die Gravuren auf dem Kurzschwert, von denen die Maga gesprochen hatte. Das Einzige, was mit ihrer Schilderung übereinstimmte, war, dass beide Männer nach Furgas gesucht hatten.
Hat da etwa jemand ein Geheimnis vor mir? Auf einmal hielt er es für sehr angebracht, dem rätselhaften Überfall auf den Grund zu gehen, wenn er auch hoffte, nichts herauszufinden, was sein Leben in Porista zusätzlich verkomplizieren würde.
VI
Das Geborgene Land, Gauragar
im einstigen Elbenreich Lesinteïl,
6234. Sonnenzyklus, Frühling
Der Waffengurt, der schräg über Tungdils Brust verlief, knirschte unter der Belastung. Der unerwartete Ruck, mit dem sein Sturz ins rettende Wasser aufgehalten wurde, presste ihm die Luft aus den Lungen, doch die brennenden Schmerzen, die ihm die Pfeilwunden bereiteten, sorgten dafür, dass ihm die Sinne nicht schwanden.
Über sich hörte der Zwerg ein angestrengtes Keuchen. Die Albin kämpfte mit seinem Gewicht. Ihre Muskelkraft reichte nicht aus, um ihn zurück auf den Steg zu ziehen; sie rief laut, und Tungdil nahm an, dass es nicht lange dauern würde, bis ihr Hilfe zuteil würde und sie ihn mit vereinter Kraft auf sicheren Untergrund zögen.
Das Schlimmste war: Er konnte nichts dagegen tun.
Sein Blut sickerte aus den Wunden und tröpfelte in das schwarze Wasser des Weihers, während er wie ein gefangenes Schwein in der Schlinge hing. Er strampelte mit den Armen und Beinen, um sich schwerer zu machen und die Albin zum Loslassen zu zwingen; als sein Stiefel einen Stützpfeiler traf, drückte er sich ab und pendelte vor und zurück.
Die Albin stöhnte vor Anstrengung und fluchte laut, jedenfalls vermutete Tungdil, dass es Flüche waren. Seine wilden Bewegungen zeigten Erfolg, und es gelang ihm, sie ein Stück nach unten zu ziehen. »Du bekommst mich nicht!«, jubelte er. »Eher verschlingt uns der Weiher beide.«
Plötzlich hörte er Stimmen. Dann folgten schabende Geräusche, aus denen er schloss, dass die Albin die ersehnten Helfer bekommen hatte, und noch ehe er den Gedanken zu Ende gedacht hatte, wurde er Stück für Stück nach oben gehievt.
Tungdil gab noch immer nicht auf.
Wieder fanden seine Stiefel Widerstand, er winkelte die Knie an und streckte die Beine dann mit aller Kraft durch, die ihm geblieben war. Er schwang nach vorn, aber die Hände seiner Gegner gaben den Gurt nicht frei.
Dafür kapitulierte das Leder.
Schnalle und Dorn waren nicht dazu geschaffen, das Gewicht eines frei schwebenden und dazu gerüsteten Zwergs zu tragen. Aber bevor sie sich verbogen, riss das erste Loch aus, in dem der Dorn steckte; die Metallnadel wanderte durch das Leder und schlitzte den Gurt der Länge nach auf.
Zuerst freute sich Tungdil darüber.
Die Feuerklinge!, fiel es ihm plötzlich siedendheiß ein. Seine schwachen Finger versuchten, den Gurt zu fassen, ehe er vollständig gerissen war. Sie darf nicht in die Hände der Al...
Unversehens rauschte er in die Tiefe und tauchte in das eisige Wasser ein, das unter der Oberfläche ebenso schwarz wie darüber war. Sein Kettenhemd zog ihn gnadenlos nach unten, dem Grund entgegen. Er hielt die Luft an, wie er es beim gelegentlichen Bad im Zuber tat.
Unter ihm wollte der Teich nicht enden, er sank und sank, schließlich konnte er die Dunkelheit des Wassers nicht mehr von den Boten der kommenden Ohnmacht unterscheiden, und die Schwärze verlief ineinander.
Tungdil wurde schwächer. Sein Drang zu leben verlangte von ihm, den Mund zu öffnen und die Lungen zu füllen, damit er nicht erstickte, doch sein schwindender Verstand untersagte es ihm, damit er nicht ertrank.
Dann sah er das Licht.
Es entstand um ihn herum, gab ihm Wärme und das Gefühl, dort Geborgenheit zu finden. Seine Hände reckten sich begehrlich. Und er vernahm das Donnern und Tosen von Blasebälgen. Die Ewige Schmiede! Ich fahre in die Ewige Schmiede von Vraccas!
Für eine solche Anmaßung erhielt er eine schallende Ohrfeige.
Er erschrak, und gleich darauf erhielt er die nächste mit einer solchen Wucht an die Wange, dass sich sein Kopf gegen seinen Willen auf die Seite drehte.
Durch einen Schleier erkannte er das Gesicht seines Gottes, das wirklich wie das eines Zwerges aussah. Die rötliche Helligkeit nahm zu, durchdrang die Dunkelheit und verjagte sie vollends.
»Komm zu dir, Gelehrter«, begrüßte ihn Vraccas mürrisch und holte zum nächsten Schlag aus. »Ich schwöre, ich werde dir so lange Backpfeifen zu essen geben, bis du mich beschimpfst.«
Tungdil sah den Arm kommen und befahl seiner Linken, sie zu packen. »Du verdammter Sturkopf«, hustete er und versuchte, den Oberkörper zu heben; zwei Hände halfen ihm dabei. Er würgte einen Schwall Wasser hervor, prustete und schniefte gleichzeitig, verschluckte sich erneut, bis seine Lungen die letzten Reste vom Teich von sich gegeben hatten.
Endlich konnte er sich umschauen, der Kopf fühlte sich hochrot vom vielen Husten an, seine Augen mussten geschwollen sein.
Vor ihm hockte ein patschnasser, dennoch aufmunternd grinsender Boïndil, er selbst befand sich am Ufer eines unterirdischen Sees.
Was er für das Donnern von Blasebälgen gehalten hatte, entpuppte sich als das Dröhnen eines Wasserfalls, der aus der Mitte der Grottendecke zehn Schritte in die Tiefe stürzte. Das rötliche Licht stammte nicht von der Esse, sondern von den mit rotem Glas versehenen Laternen, die um ihn herum an den Wänden hingen.
Die Höhle selbst erstreckte sich über eine Fläche von einer Quadratmeile, ausschließlich auf der Seite der Zwerge befand sich ein Ufer, ansonsten ragten die Wände steil aus dem Wasser.
»Das ist eine Rutsche, was?« Ingrimmsch zeigte auf die stürzenden Wassermassen. »Da sind wir herausgekommen, die Strömung hat uns ans flache Ufer getragen.« Seine Miene verfinsterte sich. »Bist du außer mir der Einzige, der überlebt hat?« Tungdil nickte schwach. »Verfluchte Albae!«, machte Ingrimmsch seinem Hass Luft und schlug gegen den Stein. »Vraccas soll sie mir noch einmal vor die Klingen schicken, damit ich die feigen Mörder strafe.« Er hob den Kopf. »Hinter dir stehen diejenigen, die wir gesucht haben. Sie haben schon nach Hilfe geschickt.« Er besah sich Tungdils Wunden. »Das war knapp. Hoffen wir, dass sie kein Gift verwendet haben.«
»Ja, hoffen wir es«, erwiderte Tungdil und bemühte sich, zuversichtlich zu klingen. Die Höhle drehte sich um ihn, er schob es auf den Blutverlust und die Strapazen, die sein Körper durchgemacht hatte. Kein Gift, bitte kein Gift. Seine Hand hob sich und betastete die Brust, er senkte den Kopf, um nach dem Waffengurt zu sehen.