Выбрать главу

»Er wird unterwegs abgerissen sein. Der Ablauf ist sehr eng, ich wäre um ein Haar stecken geblieben.« Boïndil stand auf und trat ans Ufer. »Wir werden nach der Feuerklinge tauchen müssen, wenn wir sie wieder haben möchten.«

»Sie ist weg«, stieß Tungdil mühsam hervor und sank auf den Rücken. Ein jäher Schwindel zwang ihn dazu.

»Was soll das bedeuten, weg?!« Ingrimmsch hatte eine Vermutung, wollte sie aber nicht wahr haben. »Die Albae? Sag nicht, dass die Spitzohren Dsôn Balsurs unsere Feuerklinge haben?« Er trat neben den Freund und kniete sich hin, das Entsetzen stand ihm ins Gesicht gemeißelt. »Sag, dass du sie in dem Weiher verloren hast. Alles ist besser, als dass sie in die Hand unserer Feinde geriet.« Tungdil erklärte ihm, was geschehen war. »Das ist gar nicht gut«, murmelte Boïndil besorgt. »Dennoch könnte sie aus der Halterung gerutscht und in den Tümpel gefallen sein.«

»Wie sollen wir sie...«

»Die Träger sind mit der Liege angekommen«, sagte eine dunkle Stimme außerhalb von Tungdils Gesichtsfeld. »Wir bringen ihn zum nächsten Quartier, danach wird Gemmil entscheiden, was mit euch beiden geschieht.«

Mehrere sehr blasse Zwerge traten an ihn heran, hoben Tungdil vorsichtig auf und legten ihn auf eine Bahre.

Tungdil betrachtete die Gesichter genauer und entdeckte keinerlei Unterschiede zu den Zwergen, die er bislang kennen gelernt hatte. Sie fielen einzig durch ihre sehr helle Haut und die Augen auf, in denen er das bekannte warme Braun vermisste. Bei einem von ihnen fehlte sogar jegliche Farbe; weiß wie eine Leinwand und mit roten Augen kam er daher und lächelte Tungdil freundlich an.

Ingrimmsch legte seine Rechte unbewusst an den Stiel des Beils, er traute vor allem dem so ungewöhnlich aussehenden Zwerg nicht. »Ich werde denen das Hirn aus dem Schädel hauen, wenn sie eine Bosheit mit uns vorhaben«, raunte er seinem Freund zu und deutete versteckt auf den auffälligen Träger. »Er sieht aus wie ein Gespenst, wenn du mich fragst. Du bist doch ein Gelehrter. Wie erklärst du dir, dass unser Volk so etwas hervorbringen kann?«

Tungdil musste nicht lange überlegen. Er erinnerte sich an die Bücher über Tier- und Pflanzenarten im Geborgenen Land, die er durchgeblättert hatte. »Ich habe von Fischen und Fröschen gelesen, die in Berghöhlen ohne Licht lebten«, erzählte er jetzt. »Sie sollen angeblich keine Augen gehabt haben und weiß von Kopf bis Fuß gewesen sein.«

»Mh...« Boïndil wrang das letzte Wasser aus seinem schwarzen Bart, danach kümmerte er sich um seinen Zopf; die Rinnsale hinterließen eine dunkle Spur auf dem Höhlenboden. »Aber die Clans meines Stammes leben doch auch in den Bergen...«

»Aber sie gehen gelegentlich nach draußen, sei es, um Vieh zu hüten, Handel zu trieben oder andere Dinge zu tun, die sie an die Sonne führen«, versuchte Tungdil sich an einer Erklärung. Er war kein Gelehrter im wahrsten Sinne des Wortes, vermutete aber, dass es etwas mit der Dauer des Aufenthalts abseits vom Licht zu tun hatte.

Währenddessen hatten sie die Grotte und den tosenden Wasserfall hinter sich gelassen und marschierten durch Gänge, die aussahen, als hätte das Wasser sie vor vielen Sonnenzyklen in den Fels gegraben. Schließlich passierten sie ein kleines, stählernes Tor und gelangten zu einem Quartier. Tungdils Liege wurde auf einen Tisch gehievt.

»Das sieht besser aus, als ich dachte«, sagte eine Stimme, heller und schöner als das Klingen von Hämmern auf einem Amboss. »Schneidet es auf, ich will mir die Wunden ansehen.«

Zwei Zwerge setzten eine gewaltige Zange am Saum des Kettenhemds an, ein dritter bediente die Griffe. Klackend durchtrennten die kurzen, starken Schneiden des Werkzeugs Kettenglied um Kettenglied, als bestünden die Ringe aus Holz und nicht aus Eisen; schließlich klappten die Hälften einfach auseinander. Mit einem scharfen Messer zerschnitten die Zwerge das Ledergewand um die Pfeilstummel herum und öffneten es.

»Schauen wir, was die Albae dir angetan haben«, erklang die Stimme wieder, dann schob sich die dazugehörige schneeweiße Zwergin in Tungdils Blickfeld.

Ihr wunderschöner Anblick zerschmetterte die Gedanken an Balyndis wie ein Hammerschlag und ließ sie in hunderte kleine Stückchen zerplatzen. Er war sich sicher, noch niemals im Leben eine so hübsche Zwergenfrau gesehen zu haben.

»Ich bin Myrmianda«, stellte sie sich vor. Die roten Augen musterten ihn freundlich und wanderten über die nackte Brust zu den Wunden. Über ihrem dunkelbraunen Kleid trug sie eine Lederschürze, ein Reif aus Gold lag um ihre Stirn und hielt die weißen Haare zurück. »Ich bin Chirurga, du bist bei mir in guten Händen, würden andere sagen. So musst du dich darauf verlassen, dass ich die Wahrheit spreche.«

Sie beugte sich über ihn, und ihre für eine Zwergin sehr feingliedrigen Hände betasteten die Stellen rund um die Wunden. Tungdil sog ihren Geruch ein. Rein, frisch... nicht ein Hauch von Schweiß oder Kohlefeuer umwehte sie, und er nahm den Duft von Kräutern wahr.

»Nichts verhärtet, keine Verfärbungen. Du hattest den Segen Vraccasʹ mit dir.« Sie richtete sich auf und machte ein Handzeichen. Ihre Helfer schoben seinen Oberkörper in die Höhe, zogen ihm das Kettenhemd aus und schlitzten den hinteren Teil des Ledergewandes auf. »Die Albae benutzen Pfeile mit aufgesteckten Spitzen. Das bedeutet, dass ich die Pfeile nicht einfach herausziehen kann, sonst würden die Spitzen in deinem Körper bleiben. Ich muss sie auf der anderen Seite herausdrücken.«

Als ihr letztes Wort noch nicht verklungen war, hob sie schnell den Arm, Zeige- und Mittelfinger legten sich auf die Pfeilreste und drückten.

Tungdil biss die Zähne zusammen, dass es laut in seinen Ohren knirschte. Sie schien ihm glühende Stahldrähte durch die Schulter und die Brust zu treiben. Ihre andere Hand nahm die austretenden Spitzen in Empfang und zog sie mit einem Ruck aus dem Fleisch.

»Sehr tapfer«, lobte sie ihn, warf die Spitzen in eine kleine Schüssel mit Wasser und wusch sich ihre von seinem Blut gefärbten Hände darin. Dann nahm sie dicke, feuchte Moosplatten aus einer Schale, legte sie auf die offenen Wunden und legte ihm mit dem Beistand eines Helfers einen Verband an. »Das Blaumoos stillt die Blutung. In ein paar Stunden wechseln wir es gegen frisches aus, und morgen wirst du keine Schmerzen mehr haben.« Sie mischte ein Pulver in einen Becher und reichte ihn dem Zwerg. »Trink das. Es gibt dir Kraft und treibt den Dreck aus der Wunde.«

»Bei Vraccas! Ich habe noch nie einen Heiler jemanden so schnell behandeln sehen«, entfuhr es Boïndil anerkennend, der sich fast wünschte, ebenfalls verletzt zu sein, um die Kunst der Chirurga in Anspruch nehmen zu können.

Sie nickte ihm zu. »Danke. Ich betreibe das Wundgeschäft lange genug.«

Tungdil war nicht im Stande, die Augen von ihr zu wenden. Sie war das Gegenteil von Balyndis, sprach ein klares Zwergisch mit Einschlägen der Hochsprache und hatte vermutlich eine außerordentliche Bildung genossen; das zumindest unterstellte er ihr wegen ihres nicht allzu breiten Körperbaus. Die Schmiedin war fast doppelt so kräftig, die Arbeit an Amboss und Esse verlangten mehr Muskeln als das, was eine Chirurga tat.

Rasch leerte er den Becher. »Ich bin Tungdil Goldhand«, sagte er, sobald er seine lähmende Faszination abgeschüttelt hatte. »Das ist Boïndil Zweiklinge aus dem Clan der Axtschwinger vom Stamme Beroïns.«

Sie trocknete sich die Hände an einem Tuch ab und legte es auf den Beistelltisch. »Es freut mich, den Helden des Schwarzjochs kennen zu lernen«, antwortete sie mit einer leichten Verbeugung. »Es ist unwahrscheinlich, dass du deswegen von deinem Stamm ausgestoßen wurdest, weil du Nôdʹonn vernichtet hast. Also nehme ich an, es ist ein Zufall, dass du in unser Reich gekommen bist? Seid ihr im Kampf gegen die Albae in den Weiher gestürzt?«