Der gleißende Strahl färbte sich im Flug tiefgrün, verlangsamte sich, beschrieb einen Bogen, der ihn unter der Arkadendecke entlangführte, bis er nach oben durch einen Marmorblock brach und ein großes Loch riss.
Die Maga konnte es nicht fassen. »Du hast ihn umgewandelt«, erklärte sie sich das Phänomen. »Du hast seine Grundart verändert... Aber wie hast du das fertig gebracht?«
Narmora lächelte. »Ich habe die Zeichen im Buch falsch verstanden und etwas Neues geschaffen?«
Die Decke über Andôkai zersprang, ein grüner Blitz stieß kreischend auf sie nieder, überschüttete sie mit Steinsplittern und Marmorbrocken. Der Spruch war zurückgekehrt und verfolgte den Auftrag, seine Wirkung auf seine Verursacherin zu übertragen, mit unerschütterlicher Hartnäckigkeit. Die Maga verschwand in einer Wolke aus weißem Steinstaub.
Narmora wurde an der Schulter von einem Stück Marmor getroffen; gleichzeitig spürte sie einen glühenden Schmerz in ihrem Unterleib, der ihr alle Kraft raubte.
Ihre Knie gaben nach, stöhnend sank sie in sich zusammen und hielt sich den runden Bauch. Die Innenseiten ihrer Hose wurden plötzlich dunkler, eine warme Flüssigkeit, die ihren Ursprung in ihrem Körper nahm, tränkte sie.
Nein! Sie berührte den feuchten Stoff, und als ihre Finger sich rot färbten, wurde ihr gleichzeitig heiß und kalt. »Nein! Ihr Götter, nehmt mir nicht auch noch mein Kind!«, rief sie hilflos. Ihre Augen färbten sich schwarz, und das Erbe ihrer Mutter zeichnete ihr dünne, dunkle Linien in das verzerrte Antlitz.
Sie versuchte, sich hochstemmen. Eine Säule bot ihr zunächst Halt, doch ihre blutigen Finger rutschten an der glatten Oberfläche ab. Narmora schlug der Länge nach auf den harten Boden, und ihr Bauch prallte gegen ein umherliegendes Stück Marmor.
Dieses Mal fühlte sie deutlich, dass etwas in ihr barst und der Inhalt ihren Leib flutete. Sie kauerte sich zusammen und schrie ihre Verzweiflung laut heraus, während das Fruchtwasser aus ihr strömte und sich von ihren bebenden Händen nicht halten ließ.
Niemand schenkte dem Aussätzigen, dessen entstelltes Gesicht unter gelbfleckigen Tüchern verborgen war, wirklich Beachtung. Gelegentlich flog eine Viertelmünze in seine Richtung, die er unter mehrfachen Verbeugungen aufhob.
»Da, iss und zieh weiter.« Der Wirt stellte ihm den schäbigsten Teller und den ältesten Humpen hin, wobei er darauf achtete, nicht die Hände des Mannes zu berühren, die von den zerrissenen Handschuhen nur unvollständig bedeckt wurden. Er würde das Geschirr danach wegwerfen. Vermutlich musste er kostspieliges Essigwasser hernehmen, um Bank und Tisch zu reinigen. Doch einen Kranken nicht aufzunehmen bedeutete den Zorn von Palandiell auf sich zu ziehen, und das käme ihn noch teurer als der Essig.
Der Aussätzige verneigte sich wimmernd; die Zunge musste schon so von der Krankheit zerfressen sein, dass er nicht mehr sprechen konnte.
In der Nähe saßen zwei Frauen und ein Mann in einfachen Kleidern, die sich so leise unterhielten, dass niemand sonst ihre Unterredung in der Schenke vernahm. Auf den Kranken achteten sie nicht.
»Ich habe keine Ahnung, wer sie beauftragt hat«, sagte die Blonde gereizt.
»Dachte ich mirʹs«, nickte der Mann. »Frud und Granseim hatten nicht vor, der Gilde von ihrem Einsatz zu berichten, und wollten die Beute für sich behalten.« Er goss sich Wein ein und leerte den Becher. Eine gewisse Befriedigung lag auf seinem Gesicht. »Das haben sie davon, die raffgierigen Bastarde.«
»Der Koloss aus Eisen hat ein unheimliches Gespür für uns«, fluchte die Brünette. »Wo die Wachen der Maga nicht sind, taucht er auf. Ein verdammtes Ungeheuer steckt in der Rüstung, wenn ihr mich fragt.«
»Kunststück. Welcher Mensch ist drei Schritt groß?« Die hellhaarige Frau schaute zu dem Aussätzigen, der mit dem Kopf an der Wand lehnte und eingeschlafen war. Ihre Augen wanderten begehrend zu dem Beutel, in dem sich die Münzen befanden.
»Nicht hier«, zischte der Mann. »Bist du wahnsinnig? Wenn dich jemand dabei...«
»Ja«, wehrte sie die Strafpredigt ab. »Ich lasse es. Mit etwas Glück läuft er uns in einer Seitengasse über den Weg. Es ist zu viel Gold für jemanden, der ohnehin bald draufgeht.« Sie lachte, die anderen stimmten ein. »Habt ihr auch davon gehört, dass sie nach versteckten Anhängern von Nudin suchen?«, wollte sie wissen.
»Nicht Nudin, sondern Nôdʹonn. Die neue Herrin von Porista hat ordentlich Kopfprämien ausgesetzt, das ist wohl wahr«, nickte die Dunkelhaarige. »Ich weiß, was wir tun. Wir suchen uns einen, dem wir Beweise unterschieben, und schwärzen ihn an. Danach kassieren wir bei der Maga.«
»Guter Gedanke«, lobte sie der Mann begeistert. »Sie wird sich nicht lange mit einem Verfahren aufhalten und ihn hinrichten. Es darf niemand sein, der hohes Ansehen in der Stadt genießt.«
»Also nehmen wir am besten dich«, neckte ihn die Blonde; die andere Frau lachte auf. »Mh, wie kommen sie darauf, dass sich einige der alten Famuli Nôdʹonns hier aufhalten?«
»Es gibt das Gerücht, dass Frud und Granseim Waffen benutzt hätten, auf denen das Zeichen des Magus eingraviert war«, erklärte ihr der Mann den Grund dafür. »Ich halte es für ausgemachten Unsinn, sie waren alles andere als Freunde von Nôdʹonn und hatten nichts mit Magie am Hut.«
»Mh. Das würde bedeuten, dass ihr Auftraggeber von ihnen verlangt hat, dass sie diese Schwerter nehmen?« Die Blonde langte nach dem Weinbecher des Mannes und nahm einen Schluck. »Seltsam, dass jemand den Argwohn der Maga schüren möchte. Es ergibt keinen Sinn, oder?«
Sie zuckten zusammen, als der Aussätzige neben ihnen hustend und keuchend aus seinem Schlummer erwachte. Sogleich rückten sie noch weiter von ihm weg, um nicht von seinem Speichel getroffen zu werden.
Er stemmte sich röchelnd auf und wankte zur Tür. Die Besucher des Wirtshauses wichen vor ihm zurück und atmeten sichtlich auf, als sich die Tür hinter ihm schloss. Der Wirt eilte mit einem Eimer Essigwasser herbei und schrubbte Bank und Tisch.
»Los!«, rief die hellhaarige Frau und stand auf. »Ich glaube, der Aussätzige braucht seine Münzen schneller nicht mehr, als ich angenommen habe.« Sie folgten ihr hinaus auf die Gasse und lauschten.
Das helle Glöckchen, das er sich an den Fuß gebunden hatte, um auf sich aufmerksam zu machen und die Menschen in seiner Umgebung zu warnen, verriet ihnen, wo er sich befand. Grinsend zog die Blonde ihren Dolch und hielt ihn so gegen den Unterarm gepresst, dass man ihn nicht sehen konnte. Dann eilten sie immer dem Klingeln der Schelle nach. Ihre Kumpane achteten derweil auf die Umgebung.
Der Aussätzige tauchte vor ihnen auf, er humpelte sehr rasch, warf einen Blick über die Schulter und bog fluchend in die nächste Seitengasse ab. Das Klingeln erstarb jäh.
»Er hat uns bemerkt! Schnappen wir ihn uns!« Sie rannten um die Ecke, die Blonde stürmte vorneweg und stolperte prompt über einen Haufen schäbiger Kleider. Sie fiel auf das Pflaster, der Dolch klapperte über die Steine. Der rechte Schuh des Mannes verfing sich in dem Lederbändchen, an welches die Glocke gebunden war, und es klirrte laut.
Spuckend stand die Frau auf, sie hielt die abgeworfene Kutte in der Hand. »Schaut euch das an!«, rief sie entgeistert. »Das war kein Kranker. Es riecht nach... Salbe oder Talkum.« Ihre Finger tasteten über die Flecken, dann roch sie daran. »Farbe!«
»Ein Spitzel der Maga«, knurrte der Mann und schaute sich um. »Er hat uns belauscht. Wir müssen ihn finden, ehe er uns verrät.« Er wies den Frauen verschiedene Wege zu, sie teilten sich auf, um ihn zu finden und zum Schweigen zu bringen.
Rodario verharrte regungslos im Schatten eines Hauseingangs und beobachtete, wie die blonde Frau, die ein Auge auf seinen Geldbeutel im Wirtshaus geworfen hatte, an ihm vorbei durch die Gasse pirschte. Gelegentlich blieb sie stehen und horchte in dem unheimlich stillen Porista nach einem verräterischen Geräusch, das sie zu ihm führen würde.