Der Ork sprang auf. »Vorsicht!«, rief er. »Wir sind...«
Ein einzelner Zwerg erschien unter dem Portalbogen. »Ihr werdet niemals lebend bis in das Graue Gebirge gelangen. Wir Kinder des Schmieds halten wieder Wacht, wie es uns Vraccas auftrug.« Er setzte ein Horn an die Lippen, und ein lang gezogener, dunkler und zugleich klarer Ton erklang.
Ushnotz hörte ein lautes Knistern, Fels riss auf und sprang. Entsetzt sah er zu, wie sich im Steinplateau, auf dem die erste Abteilung Aufstellung genommen hatte, dunkle Linien rasend schnell ausbreiteten, schneller als Blitze zuckten sie in alle Richtungen, verästelten sich und bildeten ein Geflecht, das den Orks, die darauf standen, Böses prophezeite.
Die ganze Ebene sackte wie von einem unsichtbaren Schmetterschlag getroffen in sich zusammen. Der Fels brach ein und stürzte hinab; etwa tausend seiner Krieger folgten ihm schreiend und grunzend in die Tiefe.
Nach drei Schritten endete der Fall; Orks und Steinstücke plumpsten ins Wasser eines teils künstlich, teils natürlich geschaffenen Bassins, das von dem Wasser der Kaskade gespeist wurde.
Es gab kein Entkommen. Ushnotz musste zusehen, wie seine Leute, von Trümmern und ihren Rüstungen nach unten gezogen, reihenweise ertranken oder hilflos herumplanschten. Die Wände waren zu steil und boten den Klauen keinen Halt. Die Unsterblichkeit brachte ihnen nichts.
Woher stammen diese Unterirdischen?, fragte er sich überrascht und wütend zugleich. Um das Loch herum führte ein Weg von höchstens vier Schritt Breite, und Runshak stand als Einziger von seinem Heer in der Nähe des Portals. Trotz seiner kämpferischen Qualitäten und der Wirkung des Schwarzen Wassers bezweifelte der Fürst, dass er es allein einnehmen und so lange verteidigen könnte, bis sie ihm zu Hilfe eilten.
Sie wussten, dass wir kommen! Die Träume von einem Orkreich drohten zu platzen, noch ehe er einen Fuß in die Hallen setzte. Vom ersten Aufmarsch waren hundert Orks geblieben, die unschlüssig zu ihm hinübersahen; sie fürchteten weitere Fallen und wagten es nicht, sich zu bewegen.
Das aufgeregte helle und panische Quieken der Ertrinkenden, die sanken und dennoch nicht starben, schallte von den Bergen und mischte sich in das triumphierende Rufen und Johlen der Zwerge, die nun zu Dutzenden aus dem Portal quollen und ihren Gegenangriff begannen.
Das war für die Überlebenden zuviel.
Die heranstürmende Front aus Axt schwingenden, zu allem entschlossenen Zwergen brachte sie dazu, sich in kopfloser Furcht zur Flucht zu wenden. Sie vergaßen ihre Unvergänglichkeit, machten auf der Stelle kehrt und wollten den Weg hinablaufen, wobei sie mitten in die aufsteigenden Orks rannten, die vom Geschrei ihrer sterbenden Artgenossen ohnehin verschreckt genug waren. Ein heilloses Durcheinander breitete sich aus, in dem die zügelnden Befehle der Rottenführer untergingen.
Ushnotz hielt sich für schlau genug zu erkennen, wann man ein Gefecht unterbrechen musste, um sich neu zu formieren. Er wollte gerade den Mund öffnen, um seinen Kämpfern den Rückzug zu befehlen, als neben ihm eine schlanke Gestalt aus dem Felsen zu wachsen schien.
»Du wolltest doch nicht etwa vor ein paar Unterirdischen davonlaufen?«, hörte er die spöttische Stimme einer Albin, die ihr Gesicht hinter einer Augenmaske und einem Stück schwarzer Seide verbarg. »Ich zähle gerade einmal zweihundert von ihnen, und du hast... hattest fünftausend?«
Der Ork wandte sich ihr zu. »Was wollen die Albae hier?«, quiekte er herausfordernd. »Habt ihr Dsôn Balsur schon verloren und sucht euch eine neue Bleibe?« Er deutete den Abhang hinab. »Verschwinde und such dir ein Loch, in das du kriechen kannst. Das Graue Gebirge gehört den Orks aus Toboribor.«
Sie lachte hämisch. »Derzeit gehört es den Unterirdischen. Aber ich habe etwas dabei, womit wir sie besiegen.« Sie zog eine stattliche Axt aus der Rückenhalterung, an deren Schneide eine Reihe geschliffener Diamanten aufflammte. Ushnotz fuhr knurrend zurück und wäre beinahe von seinem Podest gestürzt. »Ich sehe, du kennst sie«, merkte sie an und hob die Waffe am ausgestreckten Arm in die Höhe. »Ihr Unterirdischen, seht, was nun in den Händen der Albae von Dsôn Balsur ist!«, rief sie mit fester Stimme. Wer sie nicht hörte, erkannte das Funkeln der einmaligen Waffe. »Derjenige, der sie trug, ist tot!«
Und wirklich, der beherzte Ausfall der Verteidiger geriet ins Stocken, noch ehe die Reihen der Zwerge und Orks aufeinander trafen.
»Wirst du«, richtete Ondori die Frage an Ushnotz, »nun weiter angreifen? Sie sind verunsichert genug und leichte Gegner für deine Krieger. Nutze die Gelegenheit!«
Der Fürst zögerte. »Sie werden uns in die nächste Falle...«
Die Albin schlug so schnell zu, dass Ushnotz nicht einmal das Schwert zur Abwehr heben konnte. Die Feuerklinge surrte durch die Luft, die Schneide fuhr dem Ork durch den Hals und durchtrennte sauber das Genick. Während der Schädel samt Helm auf den Fels und von dort den Hügel hinabrollte, stand der blutsprühende Torso noch aufrecht auf den Beinen, als wollte er den Tod nicht akzeptieren, ehe Ondori ihn mit einem Tritt seinem verlorenen Kopf nachsandte.
Die blutige Klinge zielte auf Runshak, der den Tod seines Herrn fassungslos verfolgt hatte. »Du! Du bist der neue Fürst der Bande«, rief sie ihm zu. »Sag ihnen, dass sie angreifen sollen, oder ich zeige dir eine neue qualvolle Art des Sterbens.«
Runshak brüllte ohne zu zögern Befehle, und die Orks rückten vorsichtig vor.
Ondori sprang von ihrem Podest bis vor die erste Reihe der Zwerge, die vor ihr zurückwichen und dabei nur Augen für die sagenumwobene Axt hatten. Sie tuschelten untereinander, und in ihren bärtigen, zerfurchten Gesichtern stand das Entsetzen.
»Ich habe ihn getötet, euren Tungdil Goldhand«, sagte sie angewidert. »In den einsamen Wäldern Lesinteïls habe ich ihn und seine Begleiter vernichtet.« Sie zeigte mit der Axt auf einen von ihnen. »Ihr werdet sterben wie er und seine Freunde, durch die Waffe, die ihr geschaffen habt.«
Vier beherzte Zwerge gingen auf sie zu, kamen aber nicht weit. An Ondori zischten mehrere Pfeile vorbei und trafen die Zwerge, die in die Arme ihrer Hintermänner sanken; schwarze Schäfte ragten aus ihren sterbenden Körpern. Die Gefährten der Albin deckten sie aus sicherer Entfernung mit ihrer meisterlichen Bogenkunst.
Um dem Schrecken die Krone aufzusetzen, hob sie die Waffe und schlug auf den ihr am nächsten Stehenden ein. Die Schneide zerteilte den eilends gehobenen Schild und den Arm, der ihn hielt. Der Zwerg glotzte auf den Stumpf, der Schock machte ihn handlungsunfähig.
»Wie vortrefflich die Feuerklinge das Fleisch der Unterirdischen schneidet«, lachte sie boshaft. »Eine Meisterleistung, in der Tat!« Wieder sirrte es, fünf Zwerge sanken getroffen auf den Stein.
Runshak grunzte einen weiteren Befehl, und die Orks verfielen in schnellen Trab, rissen die Waffen in die Höhe und warfen sich mit neuem Mut in die Schlacht.
Ondori wich an den Rand des Weges aus, um sie passieren zu lassen. Sie verspürte nicht die geringste Lust, zwischen ihnen und den Klingen der Zwerge zu stehen. Sie hatte ihre Aufgabe erfüllt: Ihr Volk stand mit einem Fuß im Grauen Gebirge.
Mit großer Genugtuung verfolgte sie, wie sich die Voraussage der Unauslöschlichen bestätigte. Die Verteidiger, die eben noch siegessicher gegen die Übermacht angerannt waren, verloren an Boden. Die Botschaft vom Tod ihres Helden Tungdil traf sie weitaus härter als die Verluste, die sie erlitten. Schwand erst der Wille und der Glaube an den Sieg, würden sie gegen die an Zahl überlegenen Orks niemals bestehen.
Immer mehr von den Bestien stiegen auf das Plateau und drängten auf den Eingang zu; ihr Mut kehrte angesichts des Zauderns ihrer Gegner zurück, und es gab kein Halten mehr.