»So werden keine Verhandlungen geführt«, erwiderte Gandogar und wollte noch etwas sagen, doch der Zwerg fiel ihm ins Wort.
»Verhandlungen? Ich habe niemals gesagt, dass ich auf Verhandlungen eingehen würde.« Er hob die Axt. »Du bist einzig und allein hier, damit du erfährst, wie es um die Zukunft deiner Zwerge bestellt ist. Und du wirst nichts dagegen unternehmen können.«
Der eiserne Geduldsdraht, der die Wut und die Empörung Gandogars bislang zurückgehalten hatte, riss, und er hob ebenfalls seine Waffe. Die Schneiden berührten sich mit einem leisen Klingen.
»Vraccas steht uns bei und wird niemals zulassen, dass die Nachfahren des Zwergs, der seinen Schöpfer so gotteslästerlich verachtete, den Sieg erringen über die Nachfahren derer, die Vraccas die gebührende Ehrfurcht erwiesen«, schrie er. All seine Beherrschung war nach den unentwegten Beleidigungen und Herausforderungen dahin. »Wenn ihr einen Kampf wollt, dann zögert nicht länger!«
»Hinaus!«, brüllte Lorimbas zurück und drückte die Axt des Großkönigs nach unten. »Du hast mir nicht umsonst in meiner Festung gedroht, Gandogar. Ich würde dich auf der Stelle erschlagen, doch ich habe dir freien Abzug gestattet.«
»Soll ich es für dich tun?«, fragte Romo zuckersüß.
Lorimbas atmete schwer; auch seine Gefasstheit schwand, und das Begehren, die Axt in den Helm des Feindes zu schlagen, wuchs und wuchs. »Hinaus«, grollte er noch einmal. »Ich werde mit keinem Nachfahren Borengars, Giselbarts, Goimdils und Beroïns sprechen. Es gibt keine Unterredungen mehr mit Zwergen, die bald nichts als ein Märchen sein werden.«
»Komm, Gemmenschneider. Ich bringe dich hinaus, damit du wieder Steinchen schnitzen kannst.« Romo legte seine Hand auf Gandogars Schulter und drückte ihn in Richtung Ausgang, wie ein Wirt einen lästigen Säufer auf die Straße befördert.
Aufgebracht schlug der Großkönig den Arm zur Seite. »Genug! Du wirst mich nicht noch einmal frech anfassen, Zwergentöter!«, sagte er warnend, und als Romo vor ihm ausspie und ihn wieder berühren wollte, packte Gandogar den Handschuh, hielt ihn fest und schlug von unten mit der stumpfen Seite seiner Axt gegen das Gelenk. Knackend barst es samt Elle und Speiche.
Romo verzog kurz das Gesicht, zückte mit der unverletzten Hand flink den Morgenstern und holte bereits zu einem Schlag aus, als ein glatzköpfiger Zwerg vor ihm auftauchte und seinen Arm packte. Ein kurzer, kraftvoller Ruck, und die schwere Waffe fiel rasselnd zu Boden.
»Salfalur! Wieso...«, begehrte er überrascht auf.
»Schweig! Ich sollte dir vor deinem Oheim den anderen Arm auch noch brechen«, fuhr er ihn an und stieß ihn zurück, ehe er sich Gandogar zuwandte. »Das war das erste und letzte Mal, dass ich einem Zwerg, der nicht zu meinem Stamm gehört, das Leben rettete. Ich tat es, um Romo vor einem gebrochenen Eid zu bewahren, nicht deinetwegen. Er hat das freie Geleit zu achten.«
Gandogar nickte ihm zu und staunte insgeheim darüber, wie viele Muskeln ein Zwerg haben konnte. Eine gedrungene, kräftige Statur besaßen die meisten seines Volkes, selbst sein Stamm war im Vergleich zu den Menschen kompakter; aber der Unbekannte hatte vermutlich noch mehr Kraft als der wahnsinnige Boïndil. Auch er trug die schwarzen und dunkelblauen Linien in seiner Gesichtshaut sowie rings um den kahlen Schädel. »Nimm meinen Dank...«
»Nein. Ich nehme gar nichts von dir, und wäre es der rettende Schluck Wasser in der Wüste Sangreîns«, lehnte er bestimmt ab. »Folge mir, ich bringe dich hinaus.« Er setzte sich in Bewegung, und Gandogar heftete sich an seine Fersen.
Salfalur lotste ihn auf einem anderen Weg hinaus, den Romo hinein genommen hatte. So sah er Räume, die mit Proviant gefüllt waren, bis auf den letzten Platz belegte Unterkünfte und zahlreiche Essen, an denen unablässig geschmiedet wurde.
Teils entstanden dort Waffen, teils seltsame Eisenstücke, mit deren Form er nichts anzufangen wusste. Da er mit keiner Auskunft rechnete, sparte er sich die Frage und versuchte stattdessen, sich alles so gut wie möglich einzuprägen, um die Ersten danach zu fragen.
Schließlich stand er wieder im Eingang des Schwarzjochs, wo Balendilín und seine Begleiter voller Besorgnis auf ihn warteten.
»Geh und kehre nie wieder«, verabschiedete sich Salfalur. »Sollten wir uns jemals begegnen, würde es mir eine Freude sein, deinen Kopf nach unserem Zusammentreffen meinem König zu überreichen.« Er verschwand.
Mit großer Erleichterung verließ Gandogar den Tafelberg und freute sich tatsächlich, in den Schein der Frühjahrssonne zu treten und in den Sattel seines Ponys zu steigen.
»Kein Erfolg?«, schätzte Balendilín und seufzte, als der Großkönig den Kopf schüttelte und ihm in knappen Worten von der Begegnung mit Lorimbas, Romo und Salfalur berichtete. »Es verwundert mich nicht, dass ein Dritter so handelt wie Lorimbas.« Nachdenklich wendeten sie unter den aufmerksamen Blicken der Wachen die Ponys und ritten nach Süden. »Er muss sich mit seinem Plan aber sehr sicher sein, wenn er dir jetzt schon berichtet, dass er uns alle vertreiben wird.«
Dem einarmigen Zwerg gelang es nicht, sich vorzustellen, wie das vonstatten gehen sollte, doch die unerschütterliche Sicherheit Lorimbasʹ, von der Gandogar berichtete, ließ ihn die schlimmsten Dinge befürchten.
Die Dritten heckten allem Anschein nach eine Hinterlist aus, die alle Intrigen des heimtückischen Bislipurs in den Schatten stellen würde. Und im Gegensatz zu Bislipurs Unternehmung beteiligte sich diesmal der gesamte Stamm an dem Vorhaben.
Balendilín schaute über die Schulter zu dem düsteren Tafelberg. Man müsste einen Spion in ihren Reihen haben.
Das Geborgene Land, Graues Gebirge
vor dem Reich der Fünften,
6234. Sonnenzyklus, Spätfrühling
Tungdil tat das, was ihm als Erstes in den Sinn kam: Er ließ das Beil, das ihm Ingrimmsch gegeben hatte, fallen und packte den Stiel der Feuerklinge mit beiden Händen, um den Schlag abzufangen.
Er bekam das Sigurdazienholz zu fassen; seine Muskeln in den Schultern und Armen schwollen an, die Gelenke knirschten meuternd, er ging in die Knie, aber er schaffte es tatsächlich, die Axt zum Stehen zu bringen.
Die Albin stand halb über ihm und keuchte auf, ihre Arme zitterten, und sie setzte all ihre Kraft und ihr ganzes Körpergewicht ein, um die geschliffenen Diamanten in das Gesicht des verhassten Zwerges zu drücken.
Doch die Waffe schien zu spüren, dass ihr Herr und keine Bestie um ihren Besitz rang. Die Intarsien auf dem Axtkopf glommen auf, eine rote Stichflamme loderte hoch, die Ondori entgegenwallte und sie zwang, den Oberkörper zur Seite zu drehen, um der gefährlichen Hitze zu entgehen. Um ein Haar hätte sich der Stoff ihrer Maske entzündet.
»Du wirst mir nicht noch einmal entkommen«, presste sie angestrengt hervor und trat Tungdil gegen die Brust.
Seine Finger öffneten sich nicht, er fiel nach hinten und zog die Angreiferin, welche die Feuerklinge ebenfalls nicht preisgab, mit sich.
Sie nutzte den Schwung, drückte sie sich vom Boden ab und sprang über ihn hinweg, während ihre Hände am Stiel umgriffen. Ihm blieb gerade noch Zeit, den Kopf zur Seite zu ziehen, sonst wären ihm die Absätze ihrer Stiefel in die Kehle gedrungen.
»Vraccas hat meinen Tod noch nicht vorgesehen... und brachte dich dazu, mir die Axt zurückzugeben.« Tungdil schlug mit der rechten Hand senkrecht nach oben und traf sie in den ungeschützten Unterleib; mit der gleichen Hand zog er ihr daraufhin den linken Fuß weg, sodass sie neben ihm zu Boden ging. Durch den Fall verschob sich das schwarze Seidentuch, er konnte ihr Kinn und ihre linke Wange erkennen. Weder eine Entstellung noch eine Narbe rechtfertigten ihre Maskerade.
Keiner der beiden ließ die Feuerklinge los, jeder hielt eine Hand am Griff.