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»Wie viele von ihnen werden bleiben?«, fragte er Myr.

Die Chirurga deutete auf eine Zwergin, die im Vergleich zu ihr wie ein Koloss wirkte, rief nach ihr und winkte sie herbei. »Da müssen wir sie fragen. Sanda Feuermut ist Gemmils Frau und wird wissen, wie es nun weitergehen soll.«

Je näher die Zwergin kam, desto deutlicher wurden die geschwungenen Linien und drohenden Runen in ihrem Gesicht. Es waren hervorragende Tätowierungen, wie sie weder Tungdil noch Balyndis oder Glaïmbar bisher gesehen hatten. Die Todesversprechen an alle Zwerge Borengars, Giselbarts, Goimdils und Beroïns, die sie beinhalteten, veranlassten den König, seine Hand unwillkürlich an den Griff seiner Waffe zu legen.

Myr bemerkte es. »Ihr seht recht. Sie war eine Dritte, dann stieß sie vor etwa zwei Zyklen zu uns und hat sich als vorbildliche Hüterin um die Gemeinschaft verdient gemacht. Sie ist unsere Königin, Kriegsherrin und alles andere als eine Zwergenhasserin. Lass dich von den Zeichen nicht täuschen«, erklärte sie leise, um Sanda mit einer Umarmung zu begrüßen. »Du kamst gerade rechtzeitig«, freute sie sich. »Wie habt ihr es geschafft, so schnell ins Graue Gebirge zu gelangen?«

»Vraccas war mit uns und sandte uns durch die Tunnel, in denen nur kleinere Geröllstücke lagen«, erwiderte sie lachend. »Gemmil hatte Angst, ich könnte einen Kampf verpassen, und scheuchte uns hierher.«

»Er hatte Recht mit seiner Annahme«, sagte Glaïmbar »Du hast uns gerettet, daran gibt es nichts zu drehen und zu wenden.« Er konnte den Blick nicht vom düster anmutenden Gesicht der Zwergin wenden.

Sanda quittierte die stille Vorsicht und das Unbehagen mit einem hinreißenden Lächeln, das so gar nicht zu der Botschaft der Runen passte. »Ich verstehe deine Zurückhaltung, König Glaïmbar. Mein Gesicht verspricht dir den Tod, doch ich lächele dich an, als wäre ich die freundlichste Zwergin des Geborgenen Landes.« Sie streckte die Hand aus. »Ich bin nur dem Äußeren nach eine Dritte. Durch mein Herz rinnt das Blut eines Kindes des Schmieds und nicht der Hass.«

Zögernd schlug er ein. »Tungdil Goldhand hat uns schon bewiesen, dass man ein Dritter und gleichermaßen ein Freund sein kann«, sprach er und klang dabei, als müsste er sich selbst Mut machen.

»Er ist nicht der Einzige von meinem Stamm, dem die Böswilligkeit gegenüber unserem eigenen Volk fremd ist«, nickte Sanda. »Es würde jetzt zu lange dauern, um dir meine Geschichte zu erzählen, doch wenn wir den Sieg über die Orks feiern und die Trauer über die Gefallenen mit einem Humpen Starkbier hinunterspülen, werden wir Zeit dazu finden.«

»Mein Freund Tungdil wollte wissen, wie lange ihr bleiben werdet und ob sich wohl einige bereit erklären, für immer im Grauen Gebirge zu bleiben.« Myr betrachtete Balyndis heimlich von der Seite, um ihre Gefühle zu erkunden. Sie hatte das Wort »Freund« absichtlich betont, und die Zwergin verriet sich prompt, indem sie sich ihr mit blitzenden Augen zuwandte. »König Glaïmbar und seine angehende Gemahlin Balyndis hatten Gemmil gebeten, nach Freiwilligen zu suchen.«

Sanda legte ihre kräftigen Finger an die Schließe ihres Waffengurtes. »Wir bleiben, bis wir uns sicher sind, dass keine weiteren Bestien mehr auftauchen, denn ich habe den Eindruck, dass von deiner ursprünglichen Besatzung nicht mehr viele übrig sind, die den Steinernen Torweg verteidigen könnten, oder, König?« Glaïmbar stimmte zu. »Bei unserem Aufbruch gab es niemanden, der sich bereit erklärt hätte, sein Zuhause im einstigen Reich der Fünften zu suchen. Aber was nicht ist, kann noch werden. Vielleicht gefällt es uns bald so gut, dass du auf einen Schlag tausend Mann in deinem Reich haben wirst«, lachte sie freundlich. »Eine Sache noch: Wir unterstehen nicht deinem Befehl, König Glaïmbar; lediglich diejenigen, die sich unter Umständen für einen Verbleib im Gebirge entscheiden, haben sich deinen Anweisungen zu beugen. Der Rest von uns versteht sich als Gast, der sich zu benehmen weiß.«

Auf Tungdil machte sie nicht den Eindruck, in dieser Hinsicht verhandlungsbereit zu sein. Die Freien behaupteten ihre Unabhängigkeit. »Ich muss dich später unbedingt einige Sachen fragen«, richtete er sich an die Kriegerin. »Vielleicht kannst du mir helfen, mehr über meine Eltern in Erfahrung zu bringen.«

»Es wird mir eine Freude sein«, versprach sie ihm. »Doch nun entschuldigt mich, ich muss mich um meine Leute kümmern.« Sie stapfte davon, und die anderen Zwerge blickten ihr schweigend hinterher.

»Um offen zu sprechen: Ich muss mit mir ringen, ihr zu vertrauen«, gestand Glaïmbar ehrlich und blickte die Chirurga an. »Wie lange, sagtest du, ist sie bei euch?«

»Zwei Sonnenzyklen. Ich kann deine Zweifel verstehen, aber ich teile sie nicht.« Myr verlagerte ihr Gewicht auf den anderen Fuß und kam Tungdil so nahe, dass sich ihre Oberarme berührten. Er wich nicht zurück, sondern schaute Balyndis unverhohlen an, als wollte er ihr zeigen, dass er schon kurz nach der Trennung von ihr eine Zwergin gefunden hatte, die er gern an seiner Seite hatte. »Es gibt strenge Prüfungen für alle, die bei uns bleiben möchten, und Sanda hat sie mit Bravour gemeistert und sich in all der Zeit hervorragend verhalten.«

»So hervorragend, dass sie sich das Herz des Königs sicherte«, fügte Balyndis an. »Ich kann Glaïmbars Misstrauen gut verstehen. Wenn ich ein Spitzel der Dritten wäre, würde ich alles tun, um die Gunst derer zu erlangen, die ich eines Sonnenaufgangs verraten wollte.«

Myrs Freundlichkeit schwand. »Ich werde Sanda nichts davon sagen, was ich aus deinem Mund gehört habe, sonst stünde dir eine Herausforderung bevor. Du hast ihre Ehre angezweifelt. Sie ist eine Kriegerin und darin sehr, sehr eigen. Auch ich schätze sie und vertraue ihr.« Sie starrte die Schmiedin mit ihren roten Augen an, die Feindschaft zwischen ihnen war besiegelt.

Glaïmbar seufzte. »Vraccas hat sicher Nachsicht mit mir, dass ich meine Zweifel nicht sofort besiegen kann. Jedenfalls ist sie bei uns willkommen«, sagte er in dem Bemühen, die Spannung abzubauen. Dann lenkte er die Aufmerksamkeit auf eine andere Sache. »Tungdil, wie kam Djerůn hierher?«

Der Zwerg langte an seine Seite, wo er die Lederrolle mit dem Brief darin aufbewahrte. Andôkais Leibwächter hatte ihm das Papier sofort nach dem Tod des letzten Gegners überreicht und wartete seitdem geduldig am Rand des Plateaus beim Wasserfall darauf, dass man sich um ihn kümmere. Der Schein der untergehenden Sonne spiegelte sich auf der Rüstung und machte Djerůns Anblick majestätischer denn je.

Tungdil entrollte das Schreiben und las vor:

»Geschätzter Tungdil Goldhand,

ich sende Djerůn ins Graue Gebirge zu dir, da ich weiß, dass sich die beste Schmiedin des Geborgenen Landes und sämtlicher Zwergenstämme bei dir befindet. Mein Leibwächter benötigt eine neue Rüstung, sowohl ein Kettenhemd als auch einen Plattenpanzer, den er darüber trägt. Die Maße, die Balyndis Eisenfinger benötigt, sowie die Metalllegierung habe ich aufnotiert.

Sie wird die Anprobe mit verbundenen Augen machen und sich ganz auf ihre Finger verlassen, denn niemand darf Djerůns wahre Gestalt sehen. Ich bitte dich, ihr dies auszurichten und ihr Ehrenwort einzufordern. Zu ihrem eigenen Schutz. Lass mich den Lohn wissen, ich bezahle jeden Preis, der von ihr verlangt wird.

Danach wird Djerůn durch das Rote Gebirge nach Westen ziehen, um mit eigenen Augen zu sehen, was dort vor sich geht und was sich dem Geborgenen Land nähert. Es ist wichtig herauszufinden, wie viel Zeit uns noch bleibt oder ob es gar keine Bedrohung gibt und wir alle nur auf ein Trugbild und die Lüge Nôdʹonns hereingefallen sind. Ich habe mich mit Narmora auf den Weg nach Weyurn gemacht, um in den Archiven nach Spuren von Siedlern zu suchen, die aus dem westlichen Jenseitigen Land zu uns kamen und sich hier niederließen. Vielleicht wissen sie Dinge aus ihrer alten Heimat, die uns voranbringen.