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Ich grüße dich, und möge Vraccas dir immer gewogen sein Andôkai«

Tungdil senkte den Brief und reichte Balyndis die Notizen mit den Maßen und Mischverhältnissen der verschiedenen Metalle. »Im Grunde kam Djerůn durch eine glückliche Fügung in dem Augenblick vor die Tore, als wir ihn dringend benötigten. Man merkt, dass die Maga eine Anhängerin von Samusin ist. Ihr Leibwächter sorgte für Ausgleich.«

Die Schmiedin war die Aufstellung der Maße durchgegangen und schaute zu dem Leibwächter. »Versteht er mich denn überhaupt? Andôkai hat zu ihm auf unserer Reise in einer seltsamen Sprache gesprochen...«

»Sie wird ihm aufgetragen haben, dir zu folgen.« Als sie gehen wollte, hielt er sie an der Schulter fest. »Balyndis, du erinnerst dich an die Bitte der Maga? Gib mir dein Ehrenwort, wie es im Brief geschrieben steht.«

»Es ist nicht nötig. Ich werde mir diese seltsame Kreatur sicherlich nicht anschauen«, gab sie zurück und schüttelte seine Hand ab. Glaïmbar folgte ihr, sie redeten unterwegs und trennten sich wenige Schritte vor dem aufragenden Djerůn. Der König erteilte laut Befehle und traf Anordnungen für weitere Aufräumarbeiten vor dem Portal.

Tungdil blickte Balyndis wehmütig nach. Er wollte ihr eine Entschuldigung hinterherrufen. Längst bereute er seine kindische Herausforderung; seine unsteten Gefühle ließen ihn Worte denken und sagen, ehe er seine Zunge im Zaum halten konnte. Lauschte er in sich hinein, so hörte er ganz genau, dass er sie immer noch liebte, trotz der aufkeimenden Zuneigung für Myr.

Ist sie eine Schwärmerei? Bilde ich mir ein, etwas für sie zu empfinden, um mich an Balyndis für ihre Entscheidung zu rächen? Eines wusste er genau: Sein Leben hatte sich in der Obhut seines menschlichen Ziehvaters Lot-Ionan wesentlich einfacher gestaltet.

Die Chirurga schien in seinen Verstand schauen zu können, ihre aschweiße Hand legte sich auf seine. »Lass uns nach deinem Freund sehen«, schlug sie vor. »Ich möchte herausfinden, ob ich ihm helfen kann.«

»Meinem Freund?« Tungdil, der aus seinen Überlegungen gerissen wurde, brauchte eine Weile, bis er verstand, wen sie meinte. »Boëndal!« Ohne darüber nachzudenken, umfasste er ihre Hand und lief mit ihr auf den Eingang zu. »Aber natürlich! Du wirst ihn aus seinem eisigen Schlaf wecken.«

Sie eilten durch die Gänge des Grauen Gebirges, um zur Esse Drachenbrodem zu gelangen.

Tungdil erkannte Ingrimmsch, der bereits neben dem Bett seines Zwillingsbruders auf einem Hocker saß und dem Bewusstlosen begeistert von dem Kampf vor den Toren des Zwergenreiches erzählte. Ab und zu schlug er gegen einen erbeuteten Helm, den er mitgebracht hatte, um seine Erzählungen mit den passenden Tönen zu untermalen.

»Doch ohne dich hat das Kämpfen keinen rechten Spaß machen wollen. Immer noch nicht«, schloss er etwas trauriger, als er Tungdil und Myr bemerkte.

Vor ihnen konnte er die fröhliche Fassade nicht länger aufrechterhalten. Es zerriss ihn, seinen Bruder wie tot da liegen zu sehen. Er erhob sich, fuhr sich über die schwarzen Bartsträhnen, und die Worte, die er sagen wollte, kosteten ihn offensichtlich Überwindung oder zumindest eine gehörige Portion Mut.

»Myr, ich habe gesehen, wie du Verletzte draußen behandelt hast, wie du Tungdil geheilt hast... Ich habe noch keinen Heiler vor dir gesehen, der deine Fertigkeiten besaß.« Er schluckte. »Ich bitte dich, ihm sein altes Leben wieder zu geben, und gelingt es dir, das schwöre ich bei Vraccas, so werde ich niemals zulassen, dass dir etwas geschieht, solange ich in deiner Nähe bin. Ich werde dein Leben verteidigen, als wäre es mein eigenes.« Er trat zur Seite, um ihr Platz zu machen.

»Es wäre mir eine große Ehre, deinen Bruder in unsere Welt zurückzuholen. Du musst mir gar nichts schwören, Boïndil.« Sie setzte sich neben Boëndal, fühlte seine Stirn, zog die Lider nach oben und besah sich die Pupillen. »Helft mir, ihn bis auf den Schurz auszuziehen«, bat sie. »Ich muss seine Gliedmaßen einzeln untersuchen, um zu fühlen, ob sie durch die Kälte des Schnees, in dem er lag, abgestorben sind.«

Tungdil und Boïndil gingen der Chirurga beim Entkleiden des Schlafenden zur Hand. Sogleich machte sich Myr daran, ihn eingehend zu untersuchen. Sie verstand ihr Handwerk, nicht die kleinste Veränderung an seiner Haut entging ihr. »Er scheint Vraccasʹ Wohlwollen zu besitzen«, sagte sie nach einer guten Stunde. »Ich habe keine Stelle entdecken können, die besonders kalt oder verfärbt wäre.«

»Was hätte es bedeutet?«, wollte Ingrimmsch augenblicklich wissen.

»Dass das Fleisch darunter ohne Blut ist. Es würde sich schwarz färben, verfaulen und schließlich abfallen. Oft spürt man die Erfrierung kaum, es ist nicht mehr als ein leichtes Unbehagen, da die Kälte eine betäubende Wirkung auf die Sinne hat. Ist der Kältebrand entstanden, gibt es nichts mehr zu retten.« Myr begann damit, die Atmung und das Herz abzuhorchen. »Meistens sind Hände und Füße betroffen, aber dein Bruder fühlt sich im Ganzen kalt, jedoch nicht eisig an.« Sie lauschte angestrengt. »Es ist erstaunlich. Sein Herz schlägt, auch seine Lungen verrichten ihre Dienste, wie es sich gehört, aber viel zu langsam. Er kommt nicht mehr in Schwung. Seine Lebensesse scheint erloschen zu sein...« Ihre Miene hellte sich auf. »Das ist es! Ich brauche einen Zuber mit warmem Wasser. Und Bienenwachs.«

»Ein Bad? Das haben wir schon versucht, aber es brachte nichts«, wagte Boïndil einen behutsamen Einspruch.

»Wartet es ab«, empfahl sie geheimnisvoll.

Die Wanne wurde herangeschafft. Myr nahm ein Lederband, rollte es zu einer Röhre und verschnürte es mit einer Kordel. Danach schob sie die Röhre zwischen Boïndils blasse Lippen und dichtete die Mundwinkel und die Nasenlöcher mit dem erwärmten Wachs ab, sodass Boëndal nur noch durch die Röhre atmen konnte. »Helft mit. Wir legen ihn hinein. Er muss vollständig mit dem Wasser bedeckt sein«, wies sie die beiden an.

Bald ruhte der Zwerg auf dem Grund der Wanne, Bleistücke auf seinen Beinen und Armen hielten ihn unten.

»Jetzt werden wir ihn auftauen und das Eis aus seinem Verstand schmelzen«, erklärte sie, langte nach einer Schaufel und schippte glühende Kohlen in den Zuber. Zischend sanken die Stückchen nach unten und gaben ihre Hitze an das Wasser ab. Myr achtete darauf, dass die Kohle nicht unmittelbar auf seinen Körper fiel.

Probehalber steckte Tungdil seine Hand in das Nass. »Es ist schon sehr warm.«

Besorgt kam Ingrimmsch näher. »Du wirst ihn noch kochen wie eine Wurst, wenn du so weitermachst«, sagte er und schaute sie grimmig an, als sie wieder eine Schaufel voll aus der Esse Drachenbrodem nahm, um sie ins Wasser zu geben. »Hör auf. Es bringt nichts. Er verbrüht sich nur und erstickt.«

»Hast du vorhin nicht noch darum gebeten, dass ich ihm helfen soll? Ich werde ihm nichts zu Leide tun«, versuchte sie ihn zu beruhigen. »Wir müssen alles Blut in seinem Leib gleichzeitig wärmen, auch das in seinem Kopf, sonst bildet sich ein Pfropf aus Eis, und er stirbt. Es wird gelingen, vertraue mir.«

Sie hob die Schaufel über den Bottich, doch der Zwerg schnappte nach dem Griff und hielt ihn fest, ehe sie die Hand drehen und damit die Kohle hineinkippen konnte.

»Und ich sage, wir holen ihn wieder raus«, grollte er, den Kopf gesenkt und offensichtlich bereit, seine Ansicht mittels körperlicher Überlegenheit durchzusetzen. »Denk dir etwas anderes aus, ehe sich sein Fleisch von den Knochen schält und du Suppe aus ihm gekocht hast.«

Ihre roten Augen ruhten furchtlos auf ihm. »Ich bin eine Chirurga, eine Heilkundige, und weiß sehr genau, was ich tue, Boïndil Zweiklinge.« Sie versuchte, die Schippe aus seiner Hand zu winden; er wurde von ihrem Manöver überrascht und ruckte stärker als beabsichtigt an dem Griff.