Ein großes Stück Kohle löste sich durch die Erschütterungen aus der weiß glühenden Masse, kullerte bis an den Rand der Schaufel und hüpfte in den Zuber. Heißer Dampf stieg auf.
Tungdil zögerte nicht, dem Freund den Schmerz zu ersparen. Seine Hand schoss vorwärts, tauchte ins Wasser und fischte nach dem sinkenden Kohlestück, doch er bekam es nicht zu fassen.
Stattdessen senkte es sich auf Boëndal, berührte die nackte Brust auf Herzhöhe und brannte sich in die Haut.
Tungdil sah genau, wie ein Ruck durch den Zwerg lief. »Habt ihr das gesehen?«, fragte er die anderen. »Er hat...«
Boëndal riss die Augen auf, richtete sich kerzengerade auf, riss sich das Lederröhrchen vom Mund und schnappte nach Luft. Dann hustete er anhaltend.
»Raus mit ihm«, sagte Myr und hielt vorgewärmte Handtücher bereit, in die sie ihn einschlugen, sobald er den Bottich verlassen hatte.
Fürsorglich wischte Ingrimmsch die Tropfen vom Gesicht seines Bruders, dessen Hustanfall sich langsam legte. »Da ist er wieder, mein Bruder«, rief er glücklich und drückte ihn innig.
Der Zwerg wollte etwas sagen, doch mehr als ein Krächzen brachte er nicht zustande. Erst nach mehrmaligem Räuspern vernahmen sie seine gedämpfte Stimme. »Was... ist geschehen?«
Tungdil wollte in seiner Begeisterung den Mund öffnen, um ihm in aller Eile von den Dingen zu berichten, die der Krieger nicht miterlebt hatte, doch Myr kam ihm zuvor.
»Eins nach dem anderen«, sagte sie. »Zuerst werden wir dir etwas zum Anziehen bringen, danach ist es wichtig, dass du etwas Leichtes zu trinken und zu essen bekommst, damit sich deine Gedärme an die Nahrung gewöhnen. Kein Bier, kein fettes Fleisch.« Die Zwergin sagte das in einer solch bestimmenden Weise, dass niemand, nicht einmal Ingrimmsch einen Widerspruch wagte. »Wir geben deinem Verstand Zeit, wieder denken zu können.« Sie nickte freundlich. »Du wirst in Ordnung kommen.«
Boëndal schaute sie mit runden Augen an. »Und wer bist du?«
»Myr hat dich mit ihrem Bad vom inneren Eis befreit.« Boïndil hielt seine Dankbarkeit nicht zurück und riss die Chirurga an sich. »Verzeih mir meine dummen Zweifel. Ich stehe in deiner Schuld, wie ich es dir versprochen habe. Vraccas soll mir einen Amboss auf den Kopf werfen, wenn ich mich nicht daran halte.«
Sie lachte, als sie die kindliche Freude in dem bärtigen Gesicht sah, und hatte ihm vergeben.
Tungdil behielt für sich, was er beobachtet hatte. Seiner Ansicht nach war es die glühende Kohle gewesen, die Boëndal zum Leben erweckt hatte, und nicht das heiße Bad. Doch weil sich Ingrimmsch wieder einmal daneben benommen hatte, gönnte er dem Krieger, sich entschuldigen zu müssen. Zudem gewann Myr auf diese Weise einen Beschützer. »Boëndal, spürst du all deine Glieder?«, erkundigte er sich.
»Einige Finger sind taub, sie kribbeln«, sagte er bedächtig; das Sprechen bereitete ihm noch immer Mühe. »Ich danke Vraccas, dass er mich nicht dem Weißen Tod überließ.«
Die Zwergin suchte seine linke Hand und massierte sie vorsichtig. »Wird es allmählich besser?« Er nickte. »Gut«, sagte sie erleichtert. »Das Blut kehrt zurück, demnach sind deine Finger nicht verloren. Wir werden dich ordentlich warm halten und bis heute Abend, spätestens morgen solltest du dich wieder so fühlen wie vor deinem Sturz in die Lawine.« Sie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. »Ja, es scheint, als hätte Vraccas noch etwas ganz Besonderes mit dir vor.« Sie trocknete sich die Hände an einem Zipfel des Tuchs ab. »Es sei mir niemand böse, doch ich möchte mich hinlegen. Ein wenig Ruhe ist mir sicherlich vergönnt.«
Boëndal nahm ihre Hand. »Ich weiß immer noch nicht, wer du bist und woher du stammst, aber da du mich geheilt hast, stehe auch ich in deiner Schuld. Wer immer dein Feind ist, der zählt ab diesem Sonnenaufgang auch zu den meinen«, schwor er ihr leise und tief bewegt.
»Mein Name ist Myrmianda Alabasterhaut, und ich danke dir für deine Worte. Mein Lohn ist, dir dein Leben wiedergegeben zu haben, mehr wollte ich nicht.« Sie strich ihm gerührt über den Handrücken. »Er ist wieder warm, wie er sein soll.« Sie schob die Hand unter die Decke zurück, während die Kleider für ihn gebracht wurden; bald darauf folgte das Essen, über das sich der Krieger hungrig hermachte. Boïndil blieb an seiner Seite und fing an, von den Abenteuern zu erzählen, angefangen von der Reise ins Graue Gebirge über die Schlacht am Schwarzjoch bis zu den Ereignissen der letzten Sonnenumläufe.
»Ich zeige dir, wo du dich hinlegen kannst«, bot Tungdil Myr an. Sie verabschiedeten sich von den Zwillingen und verließen die Schmiede. »Nach der Schlacht und den vielen Neuankömmlingen herrscht gehöriges Durcheinander in den Quartieren, wir werden ein bisschen suchen...«
»Ich ertrage kein langes Laufen mehr. Bring mich einfach in deines«, schlug sie auf der Stelle vor. »Nur, wenn es dir nichts ausmacht... Ich bin mit einer Pritsche schon zufrieden.«
»Pritsche? Kommt nicht in Frage«, wehrte er sofort ab. »Ich überlasse dir gern mein Lager, und während du dich ausruhst, sorge ich dafür, dass man dir ein eigenes herrichtet. Möchtest du etwas essen?« Sie verneinte.
Nach kurzem Marsch durch die Gänge und Hallen standen sie vor Tungdils Zimmer. Er öffnete die Tür für sie und wollte sie hinter ihr schließen. »Würdest du mir eben helfen, mein Kettenhemd auszuziehen?«, bat sie ihn müde. »Ich bin so erschöpft, dass ich meine Arme kaum mehr heben kann.«
»Ja«, grinste er. »Du bist nicht unbedingt die Stärkste, das sieht man sofort.«
Er kam zu ihr und führte sie ans Bett. »Es ist nicht besonders weich, also genau richtig für das Kreuz eines Zwerges. Wenn man sich daran gewöhnt hat.« Er zögerte. »Ihr schlaft doch genauso wie wir? Oder möchtest du, dass ich dir noch einige Decken als Unterlage bringen lasse?«
»Nein«, sagte sie und unterdrückte ein Gähnen, die Arme ausgestreckt über den Kopf hebend. »Außerdem würde ich sogar auf einem Brett voller Nägel einschlafen. Würdest du bitte?«
Er packte die unteren Enden des eisernen Kleids und zog sie vorsichtig nach oben. Darunter sah er ihr gefüttertes Wams; ein Schlitz auf Höhe der Brust erlaubte ihm einen tiefen Blick auf ihre weißen, weichen Brüste. Verlegen warf er das Kettenhemd auf den Ständer, auf dem sonst seines hing. »Bis später, Myr.«
Sie streckte sich. »Das tut gut«, juchzte sie, schleuderte die Stiefel davon und schlüpfte unter die Decken. »Ich werde schlafen wie ein Stein«, sagte sie und lächelte ihn an. »Danke, dass du mir dein Bett überlässt.« Ihre roten Augen schauten kurz an ihm vorbei; Tungdil blickte über die Schulter und sah einen Schatten an der halb geöffneten Tür vorbeihuschen. »Ich werde von dir träumen, Tungdil.« Sie gab ihm einen gehauchten Kuss auf die Wange und schloss die Augen.
Die Berührung ihrer Lippen ließ ihn vieles vergessen. Sogar, dass er mit Sanda Feuermut sprechen wollte.
Balyndis hämmerte mit aller Kraft auf dem Eisenstück herum; die Funken stoben umher und landeten bis in den letzten Winkel der Schmiede, in der die Esse Drachenbrodem stand und ihre Gluthitze verbreitete.
Der Schweiß rann ihr in Sturzbächen den Körper hinab, und das, obwohl sie unter der Lederschürze lediglich ein dünnes Leinenhemd und eine leichte Lederhose trug. Ein Kopftuch schützte die Haare vor Brandlöchern, welche die Funken hinterlassen konnten.
Unablässig drosch sie mit dem Hammer zu, um aus dem störrischen Blech eine Form zu schlagen, bis das Metall riss. Fluchend packte sie es mit der Zange und warf es in die Lore, in der die Zwerge misslungene Schmiedestücke sammelten, um sie einzuschmelzen und sie von neuem zu verwenden.
Es schepperte laut, als es auf seine vier Vorgänger prallte.
Ich sollte es lassen, überlegte sie entmutigt, setzte sich auf den Amboss und nahm mit der großen Holzkelle einen Schluck Wasser aus dem Eimer neben ihr. Meine Arme sind zu ungenau, die Wut hat sie zu stark gemacht.