Sie ärgerte sich über Tungdil, der so wenig Verständnis für ihre Lage hatte und darüber hinaus versuchte, sie mit der Chirurga eifersüchtig zu machen. Myr wiederum spielte ihre Rolle gut. Zu gut.
Dummerweise wirkte es.
Er hatte nicht verstanden, dass sie ihn noch in ihrem Herzen trug und immer tragen würde, aber von den Traditionen genötigt wurde, sich einen anderen Gemahl zu nehmen. Glaïmbar hatte sich in den Wochen, in denen sie viel Zeit zusammen verbracht hatten, als ein achtbarer Zwerg erwiesen, der sie aus tiefster Seele vergötterte und ihr ein guter Gatte sein würde, wohl wissend, dass sie an Tungdil hing.
Balyndis nahm noch einen Schluck. Ich werde nachsichtig bleiben und ihn nicht aufgeben. Ihm fehlt das Verständnis für unsere Traditionen, bemerkte sie einmal mehr. Das war der Grund für sein Verhalten, ihn prägte die menschliche Haltung, die ihm Lot-Ionan vermittelt hatte. Auch wenn das Zwergische zweifelsohne in ihm steckte, es setzte sich nicht durch. Jetzt, wo verlorene Liebe ins Spiel kam, wurde es durch verletzte Gefühle zusätzlich beeinflusst.
Eines Sonnenaufgangs wird er hoffentlich verstehen, dass ich mich nicht gegen meinen Clan und meine Familie stellen konnte. Sie stand auf und suchte sich eine Beschäftigung, um sich von den trüben Gedanken abzulenken. Auch wenn ich es gern getan hätte.
Sie nahm den Brief Andôkais hervor und verließ die Schmiede, um hinaus in die Schmelze zu gehen.
Alle Hochöfen waren entfacht, sie spieen unentwegt Eisen, Stahl und Bronze aus, aus dem die Zwerge Werkzeuge, Ersatzteile, Halterungen und vieles mehr schmiedeten oder gossen. Es ging voran im Fünften Zwergenreich.
Balyndis beanspruchte eine der kleineren Schmelzen für sich, die eigens für geringe Mengen angelegt waren, und karrte die Bestandteile eins nach dem anderen heran, um daraus die Legierung herzustellen, die Andôkai für sie aufnotiert hatte. Aus diesem neu entstandenen Metall würde sie die Panzerplatten für Djerůns Rüstung herstellen, wie es die Maga wünschte.
Das Erstaunliche daran war, dass selbst Balyndis als erfahrene Schmiedin von der Legierung noch niemals etwas gehört hatte.
»Verflixt!« Die Schmiedin stutzte. Ihr Schweiß hatte das Blatt mit den Anweisungen durchtränkt und die Tinte an mehreren Stellen auslaufen lassen, was es nicht unbedingt erleichterte, die geschwungene Handschrift der Maga zu entziffern. Bedeutet das Geschmiere nun Tionium oder Palandium?
Sie musste sich sehr anstrengen, etwas entziffern zu können, und zweifelte insgeheim an dem, was die Maga von ihr verlangte. Es klang einfach zu abenteuerlich. Zu dem gewonnenen Eisen sollten, wenn es stimmte, was sie enträtselte, eine geringe Menge an Zink, Blei, Kupfer und Quecksilber gegeben werden, zu gleichen Teilen verlangte die Formel Vraccasium und...
Tionium oder Palandium? Oder soll es und heißen? Sie wusste, dass sich die beiden Edelmetalle in ihrer Beschaffenheit kaum unterschieden, das schwarze Tionium jedoch dem Gott Tion gewidmet und viermal mal so teuer wie das silbrigweiße Palandium war. Palandiell wurde von den Menschen als ihre Schutzgöttin verehrt, von daher besaß ihr Metall im Geborgenen Land einen besseren Ruf als Tionium.
Was mache ich nur? Es gibt zu viel Vages in der Formel. Sie erklomm die Treppe, welche zu der Öffnung des Ofens führte, in dessen Bauch bereits die meisten Zutaten für die Legierung lagerten; das Feuer darin war mit Kohlen der Esse Drachenbrodem geschaffen worden, und es loderte heiß und hell.
Aber die Zeit, die Maga nochmals zu fragen, habe ich nicht. Abschätzend wog Balyndis die Stücke in der Hand, dann las sie die Notiz noch einmal, ohne jedoch schlauer aus den Zeichen zu werden. Weil die übrigen Bestandteile sich bereits verflüssigten, durfte sie nicht länger warten und fasste einen Entschluss.
Behutsam und mit einem dicken Lederhandschuh vor der aufsteigenden Hitze geschützt, warf sie den schwarzen Block ins Innere. Andôkai betet den Gott des Ausgleichs an. Soll Samusin einen Ausgleich zwischen Gut und Böse herstellen.
Sie gab das Palandium wie auch das Tionium hinein, anschließend senkte sie mit Hilfe einer Winde den Deckel aus Schamottstein auf den Hochofen, um die Temperatur im Innern zu erhöhen.
Balyndis kletterte zurück auf den Boden und betätigte den riesigen Blasebalg; sie blies Luft hinein und fachte das Feuer an, gelegentlich warf sie Kohlestücke aus der Esse Drachenbrodem durch eine Ladeklappe nach, bis von dem Ofen eine solche Hitze ausging, dass man nicht mehr näher als vier Schritt an ihn herangehen konnte. Die benötigte Temperatur war erreicht.
Der Schlot leitete die stinkenden, giftigen Dämpfe hinauf zum Abzug, die irgendwo aus einer Felsspalte des Grauen Gebirges entweichen würden.
Sie wartete noch ein wenig, um sicherzugehen, dass sich alle Bestandteile vermischt hatten, nahm die lange Stichstange und zerschlug damit den Tonpfropfen, der knapp über dem Boden des Hochofens herausragte.
Gelb glühend floss das geschmolzene Metall über eine Tonrinne auf die mit Schamott ausgekleidete flache Sammellore zu. Währenddessen schöpfte die Schmiedin die unnütze Schlacke ab, die obenauf schwamm, bevor sie den Behälter erreichte.
Sie spürte und liebte die Hitze, die Schweißperlen verdampften auf ihrer Haut, sobald sie aus den Poren drangen. Neugierig beobachtete sie, wie sich die Legierung abkühlte und das Lebendige verlor.
Nun wollen wir sehen, wie sich das, was Samusin, Vraccas und ich geschaffen haben, schmieden lässt. Sie packte den Verbindungshaken der heißen Lore mit einer Zange und zog sie hinter sich auf den Schienen her quer durch die Halle zur Schmiede.
Das Geborgene Land, Königreich Weyurn,
Insel Windspiel,
6234. Sonnenzyklus, Spätfrühling
Die Wellen rollten heran und warfen sich gegen die steil aufragenden Klippen, um tosend an ihnen zu zerschellen.
Die Woge zerbarst zu Millionen von Tropfen, die weit in den Himmel stiegen, bevor sie zurück in den meergleichen See fielen und mit dem Wasser verschmolzen. Die Gischtnebel ließen sich dagegen nicht aufhalten, sie erhoben sich bis zur Spitze der Steilküste und umspielten das einstige Heiligtum Palandiells.
Narmora hörte das niemals endende Rumpeln der Wellen selbst durch die dicken Mauern hindurch; sie verzog das Gesicht und rückte die Decke um ihre Schultern zurecht. Der Umbruch der Zykluszeiten brachte der Insel Windspiel Stürme und vorübergehende Kühle. Frühling und Sommer rangen noch miteinander, wobei es ihr so vorkam, als spielte auch der Winter in der Auseinandersetzung mit.
»Kein guter Ort für Bücher«, sagte Andôkai tadelnd zu dem Archivverwalter, einem Mann um die sechzig Zyklen mit Halbglatze und einer roten Nase vom vielen Weintrinken. Seine einst wohl teure Garderobe hing schlampig und ausgewaschen an seinem Körper. »Es ist zu feucht.«
»Ich weiß«, bedauerte er. »Aber es sind nur ein paar Umläufe innerhalb eines Sonnenzyklus, ansonsten herrscht das beste Wetter von Weyurn bei uns. Ihr habt die schlechteste Zeit für Euren Besuch gewählt, ehrwürdige Maga.« Er verneigte sich und geleitete Andôkai zu einem Hochregal, das sieben Schritt vor ihnen aufragte, über und über mit Büchern gefüllt. »Das sind die Verzeichnisse der Untertanen der letzten hundert Zyklen, einschließlich der Heiraten, Geburten und Todesfälle.«
Narmora hasste den Ort seit ihrer Ankunft und wollte nicht länger als notwendig bleiben, schon aus Sorge um die Gesundheit ihrer kleinen, anfälligen Tochter, der sie den Namen Dorsa gegeben hatte. »Wir suchen nach Einwanderern, die aus dem Westen, dem Jenseitigen Land, nach Weyurn kamen«, bemühte sie sich, die Auswahl einzugrenzen. »Wurden Auswärtige in eigenen Listen geführt?«