Balyndis blinzelte verwundert. Er ließ mir mein Leben! Sie hörte den dunklen Brummton und verstand es als Aufforderung, ihre Arbeit fortzusetzen und niemals über das zu sprechen, was sie im Schein der Esse gesehen hatte.
Sie zwang ihre Finger unter ihre Kontrolle; ein wenig hölzern, aber gehorsam folgten sie ihr, um zuerst die Haube und dann den Helm auf Djerůns Kopf zu setzen. Glücklich, dass sie den schrecklichen Anblick hinter Eisen verborgen hatte, schob sie die Augenbinde vom Kopf und ging die Treppen hinab, um sich ihre Arbeit aus einiger Entfernung anzuschauen.
Djerůn stand auf, und die Schmiedin konnte nicht anders, als das unheimliche Wesen zu bewundern. Die neue Rüstung schien ihm zu gefallen, er hatte keinerlei Einwände vorgebracht, obwohl sie die Rezeptur wegen der unleserlichen Anweisung mehrfach abgeändert hatte.
Vraccas und Samusin seien gelobt, dankte sie den Göttern, dass ihr aus der Not geborener Betrug kein böses Ende nach sich zog.
Er verneigte sich vor ihr und zollte ihr stumm Anerkennung für ihre meisterliche Schmiedekunst, dann nahm er seine Waffen und verstaute sie in den Halterungen, um zum Tor hinauszumarschieren. Er schritt vorbei an den glühenden Stahlöfen, die seiner Rüstung einen düsteren Schein gaben.
Zufrieden und befreit zugleich wischte sie sich den Schweiß aus dem Gesicht. Nun spürte sie die Müdigkeit in Armen und Schultern, die schweren Hämmer hatten ihr die Kraft geraubt.
Ich stoße in der Taverne auf meine Arbeit an, und dann lege ich mich ins Bett, beschloss sie und ging, wie sie war, in die Schenke, um sich einen großen Humpen Schwarzbier zu gönnen.
Dort begab sie sich in die Gesellschaft von mit Gesteinsmehl gepuderten Steinmetzen, die zusammen mit einer Hand voll Schmiede auf das Gelingen ihres Erfolges anstießen.
»Wir haben die Riegel am Steinernen Torweg wieder anbringen können«, berichtete ihr einer der Zwerge aufgeregt.
»Meinen Glückwunsch!« Sie schüttelte seine Hand, dass der Staub nur so flog. »Ich habe wohl einiges verpasst, als ich in meiner Schmiede arbeitete«, lachte sie und freute sich mit ihnen. »Damit ist das Geborgene Land aus dem Norden wieder gesichert. Keine Scheusale werden sich mehr so ohne weiteres über die Menschen, Elben und Zwerge hermachen können.« Immenser Stolz erfüllte sie, ihr Volk hatte eine weitere große Tat vollbracht. »Wir sind die Kinder des Schmieds!«, rief sie und riss den Humpen in die Höhe. Die übrigen Zwerge fielen in ihren Ruf ein, die Becher stießen zusammen, und es dauerte nicht lange, da schallte das erste Lied durch den Schankraum.
»Es bricht eine gute Zeit an. Was soll uns nun noch schrecken?«, seufzte sie gelöst nach einem weiteren langen Zug und wischte sich den weißen Schaum aus dem hellen Bartflaum. »Wir haben zu einer neuen Einigkeit gefunden und neue Verbündete gewonnen.« Sie hob den Krug und grüßte einen bleichen Zwerg, der zwischen ihnen saß. »Sag, fühlst du dich wohl bei uns?«
Er nickte. »Danke, ja, bis auf die eine oder andere Kleinigkeit. Aber ich bin gespannt, wie es Tungdil Goldhand in unserem Reich gefällt. Allerdings muss er sich bei uns weit weniger umstellen als wir bei euch. Nichts für ungut.«
»So?« Sie schaute ihn betreten an. Er wird fortgehen. Meinetwegen? Ich muss mit ihm reden. »Tungdil macht also seine Ankündigung wahr? Wann wird er denn aufbrechen?«
»Er ist bereits aufgebrochen, vor vier Umläufen, als es sicher war, dass die Riegel halten werden«, antwortete ihr einer der Steinmetzen. »Er und die Zwillinge.«
Schon weg? Ohne Abschied? Ist es seine Art, mir zu zeigen, dass er mich für meine Entscheidung verachtet? Ihr Gesicht verlor die Heiterkeit. »War diese Chirurga bei ihnen?« Als sie den Steinmetzen nicken sah, leerte sie ihren Humpen und verließ die Taverne. Natürlich ist sie bei ihm.
Die anderen Zwerge schauten ihr verständnislos hinterher.
Das Geborgene Land, Königreich Weyurn,
Insel Windspiel,
6234. Sonnenzyklus, Spätfrühling
Die Fahrt mit der Kutsche nach Gastinga ging für die ungewöhnliche Reisegruppe schnell vonstatten.
Sie mussten eine einzige Rast einlegen, um eine kleinere Heerschar passieren zu lassen, die auf Geheiß der Königin nach Westen aufbrach. Ihr Auftrag, so erzählte ihnen der Hauptmann auf Andôkais Geheiß mit Stolz in der Stimme, sei es zu erkunden, was hinter dem Gebirge im Jenseitigen Land vorgehe. Die Maga wünschte ihm viel Glück und schloss das Fenster der Kutsche.
»Wir werden keinen Einzigen von ihnen zurückkehren sehen«, sagte Andôkai teilnahmslos voraus, als die letzten Gesichter an der verglasten Öffnung vorbeimarschierten und der ein oder andere neugierig hineinschaute. Sie zog den Vorhang zu. »Sie sind höchstens für einen Seekampf ausgebildet, aber nicht für Gefechte an Land und auf unbekanntem Gebiet.« Sie klopfte gegen das Dach, um dem Fahrer zu bedeuten, dass er die Pferde antreiben solle.
Sie sahen Gastinga aus den grauen Regenschleiern auftauchen, als ihr Gefährt in einem Bogen darauf zurollte.
Die kleinen Häuser mit den holzschindelgedeckten Dächern duckten sich in die Erde, um dem beständig wehenden Wind keine Möglichkeit zu geben, sie davonzutragen. Das Gras stand fett und grün auf den Weiden rund um die Siedlung, ein paar Jungen hüteten die weißen Kühe. Mensch und Tier blieben von dem beständigen Regen unbeeindruckt.
Von wegen trockener. Narmora achtete darauf, dass Dorsa gut eingewickelt in ihrem Körbchen lag. Das Holpern der Kutsche gefiel ihr, sie schlief tief und fest.
Sie steuerten nach den Anweisungen ihres Führers das Haus des Dorfältesten an, wo er vom Kutschbock sprang, den Mann rücksichtslos vom Mittagstisch wegholte und durch den strömenden Regen an das Fenster der Kutsche scheuchte. Der Regen rann ihm in die flachen Schuhe.
Andôkai klappte die Scheibe herunter. »Wir suchen Nachfahren der Siedler, die sich vor etwa siebzig Sonnenzyklen in diesem Dorf niederließen«, sagte sie sogleich. Gegenüber niedrig stehenden Menschen hielt sie sich wie immer nicht lange mit Begrüßungen auf. »Wo finde ich sie?«
»Wer seid Ihr, dass Ihr mich in den Regen zerren lasst? Was wollt Ihr von ihnen?«, sagte der Mann in dem Bemühen, ein wenig Autorität zu zeigen.
Damit geriet er bei der Maga jedoch an die Falsche. »Beides geht dich nichts an. Es genügt, wenn du weißt, dass ich mit Sonderbefugnissen deiner Königin reise und weit über dir stehe«, herrschte sie zurück. »Da es sie noch gibt, sagst du mir auf der Stelle, in welchem Haus sie leben.« Ihr Blick fing den des Dorfältesten ein und starrte ihn unerbittlich nieder. »Gibt es einen Grund, sie nicht zu sehen?«
Er hob den Arm und deutete die Straße hinab. »Nein. Das letzte Haus zur Linken.« Schon rannte er geduckt zurück ins Haus.
Hinter den milchigen Butzenscheiben drückten sich seine Kinder und seine Frau die Nasen platt, wie Narmora erkannte. Eine Kutsche hatten sie in ihrem Leben sicherlich noch nie zu Gesicht bekommen.
Die Peitsche knallte, das Gefährt trug sie ihrem Ziel entgegen.
Kaum standen die Räder, sprang Andôkai hinaus, und Narmora schloss sich ihr an. Sie schlug kräftig gegen die Tür der kleinen Kate, bis diese von einem Mann um die fünfzig Zyklen geöffnet wurde, dessen Gesichtsausdruck zwischen Überraschung und Übellaunigkeit schwankte. Als er die unbekannten Frauen vor sich sah, wurde seine Haltung noch abweisender; schweigend wartete er darauf, dass sie sich vorstellten.
»Dürfen wir hereinkommen?«, verlangte die Maga mehr als sie bat.
»In Eurer noblen Kutsche ist mehr Platz als bei uns, ich sollte mit meiner Familie dort einziehen«, erwiderte er mürrisch, während er abschätzend die Umhänge betrachtete, um mehr über die unwillkommenen Besucherinnen zu erfahren. In seinen Worten hörten sie einen unbekannten Zungenschlag. »Weshalb wollt ihr herein?«