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»Weil es regnet?«, antwortete Narmora und lächelte. »Die Mäntel werden die Nässe nicht ewig abhalten können, und wir würden gern mit dir sprechen.«

»Dann redet schnell, und Ihr werdet nicht nass«, lautete sein schroffer Gegenvorschlag.

Die Maga stand kurz davor zu zerspringen. »Es geht um das Jenseitige Land und darum, was deiner Heimat von dort drohen könnte, Bauer«, schleuderte sie ihm ungehalten entgegen. »Gib die Tür frei und rede mit uns, wenn dir diese Hütte lieb und teuer ist.«

Eine unverständliche Frauenstimme drang aus dem Hintergrund, der Mann trat fluchend zur Seite und bedeutete ihnen einzutreten.

Sie standen in einer rußgeschwärzten Unterkunft, die nicht einmal die Bezeichnung Kate verdient hatte. In dem engen Raum drängten sich sieben Kinder, das kleinste von ihnen war gerade mal einen halben Sonnenzyklus alt, das älteste acht.

Die Mutter, die ein Kleid aus grobem Leinen und eine Wolljacke darüber trug, hatte am Tisch Platz genommen und schaute ängstlich zu den beiden Frauen, deren Umhänge mehr Wert besaßen als die gesamte Einrichtung.

Es stank nach dem verbrannten Fett der Talgkerzen. In einer Ecke standen Hochbetten dicht an dicht, eine Leiter führt zum Alkoven, in dem die Eltern schliefen und sich hinter einem Tuch ein wenig Abgeschiedenheit gönnten.

Was Narmora für eine achtlos dahingeworfene Decke auf dem unteren Bett gehalten hatte, bewegte sich plötzlich und hustete laut. Bei näherem Hinsehen erkannte sie das runzlige Gesicht einer sehr alten Frau, deren dürrer Leib unter den Laken fast nicht zu erkennen war.

»Danke, dass du uns hereingelassen hast«, sagte Narmora und nickte der Mutter zu, die sie auf Mitte vierzig schätzte. »Seid ihr die Nachfahren der Siedler, die aus dem Jenseitigen Land hierher kamen?«

Die Frau schaute zuerst zu ihrem Mann, der neben der Tür verharrte, die Arme vor der Brust verschränkt hatte und gleichgültig die Schultern hob. »Was wollt Ihr, edle Damen? Wie kommen wir zu der Ehre oder... ist es... etwas Schlimmes, was Euch nach Gastinga führt? Müssen wir Weyurn wieder verlassen, weil wir das Land, das uns zugewiesen wurde, nicht bestellen können?« Sie stand auf, das Kleinste auf dem Arm. »Verzeiht uns, edle Damen, aber die Arbeit ist schwer, der Boden ist tief und nass, und mein Mann und ich...«

Andôkai runzelte die Stirn. »Beruhige dich. Wir sind nicht in einem solchen Auftrag hier. Wir wollen mehr von deiner Heimat erfahren.« Sie zog sich einen Schemel heran und setzte sich darauf, den Mantel als Unterlage nutzend. »Erzähle uns von der schlimmsten Bedrohung, vor der man sich im Jenseitigen Land fürchtet. Gewaltige Bestien oder Magier oder dämonische Wesen, irgendetwas in dieser Art?«

Die Frau nahm sichtlich erleichtert Platz und gab das Kind an ihren Mann weiter. »Eine Bedrohung?«

Narmora langte in ihre Börse und legte der Frau vier Goldmünzen vor die rissigen Hände. »Das ist der Lohn für deine Erzählung«, sagte sie freundlich. »Aber fühle dich dadurch nicht verpflichtet, etwas zu erfinden, damit es aufregender klingt. Wir wollen die Wahrheit hören.«

Sie starrte auf die blinkenden, gelben Scheiben. »Das ist sehr viel wert«, stieß sie hervor und blickte in die Gesichter der Besucherinnen. »Davon können wir einen Sonnenzyklus lang leben. Das ist zu viel für ein paar alte Geschichten.«

Ihr Mann trat neben sie und strich die Münzen ein. »Was kümmert es uns? Wenn die Herrschaften das Gold locker in der Tasche haben, werden wir uns nicht beschweren.«

»Ihr seid also aus dem Jenseitigen Land?«, hakte Narmora ein.

»Nein. Nur ich und meine Mutter. Mein Mann stammt von Weyurn«, sagte die Frau. »Mein Name ist Aspila, und meine Mutter kam als kleines Mädchen durch das Rote Gebirge. Meine Großmutter wollte weg aus unserem Dorf, weil der Krieg immer näher kam.«

»Zurück zu dem, was ich wissen will«, fiel ihr die Maga unsanft ins Wort. »Kennst du Begebenheiten, die unvorstellbar klangen, oder hast du selbst jemals gesehen, was du nicht glauben wolltest? Kennst du Legenden...«

Aspila schreckte vor der harschen Maga zurück und schaute stattdessen zu Narmora. »Es war der Krieg unseres Gebieters gegen die Amshas«, nahm sie den Faden ihrer Erzählung wieder auf. »Sie erschienen eines Morgens vor den Grenzen unseres Landes und marschierten ein. Keiner unserer Soldaten vermochte sie aufzuhalten, und da beschloss meine Großmutter, dass sie und ihre Tochter nicht warten würden, bis sie auch unser Dorf erreichten. Mein Großvater und seine drei Brüder waren bereits gefallen, es gab nichts mehr, was sie hielt.« Sie überlegte angestrengt und blickte zu ihrem Gatten. »Ich suche ein bestimmtes Wort«, wandte sie sich an ihn. »Wie übersetzt man Amsha?«

Andôkais Aufmerksamkeit richtete sich auf die alte Frau. »Kennt sie vielleicht Legenden? Du willst mir offenbar von einem Krieg erzählen, der mich nicht sonderlich interessiert.«

»Aber die Amshas sind eine Legende!«, beschwor sie die Maga. »Niemand von ihnen hatte geglaubt, dass es sie gibt. Meine Großmutter erzählte meiner Mutter von ihnen, um sie zu erschrecken. Dann nahm der Schrecken Gestalt an.«

Nun wurde die Maga hellhörig. »Warum sagst du das nicht gleich? Was sind die Amshas?«

Aspila spielte mit ihren Fingern, sie rang mit der ihr noch immer nicht vollends vertrauten Sprache. »Ich kann es nicht sagen, sie...« Sie schaute zur Decke, als hinge dort die Lösung, doch außer einem fast bis auf den Knochen verzehrten Schinken gab es dort nichts.

Narmora lächelte und bemühte sich, den schlechten Eindruck auszugleichen, den ihre Mentorin hinterließ. Samusin hat gewiss seine wahre Freude an mir. »Erzähle uns doch einfach die Geschichte«, schlug sie vor. »Vielleicht kommen wir dann gemeinsam darauf.«

Die Frau willigte ein und begann...

»Als die Götter sich selbst erschufen, einer prächtiger, schöner und tapferer als der andere, gerieten zwei von ihnen in Streit darüber, wer der bessere von beiden sei.

Es waren die Götter, die ihr Tion und Vraccas nennt, wir kennen sie als Kofos und Essgar.

Kofos schmähte Essgar und beleidigte ihn so sehr, dass Essgar in seiner immensen Wut einen glühenden Hammer aus der Esse nahm und auf ihn einschlug.

Jedes Mal, wenn das heiße Metall ihn traf, sprang ein Stückchen aus seinem Leib heraus und fiel auf die Erde, wo es die Gestalt von Kofos annahm und lebendig wurde. Die Amshas waren entstanden.

Essgars Raserei endete erst, nachdem er seinen Widersacher zehn Mal zu Boden geschlagen hatte und der sich unter großem Geheul ergab.

Zu seinem Erstaunen entdeckte er die zehn kleinen Abbilder zu seinen Füßen, die dreist von ihm forderten, von ihm verschlungen und wieder in ihm aufgenommen zu werden, da sie zu ihm gehörten und nicht außerhalb von ihm leben wollten.

Aber Kofos versuchte es erst gar nicht, er lachte seine Abbilder aus und wollte sie zerstampfen. Sie entkamen ihm und flohen, aber sie schworen ihm und all seinen Schöpfungen ewige Rache.

Und so blieben die zehn kleinen Götter zusammen, um sich fortan nur einem einzigen Ziel hinzugeben: Alles, was Kofos schuf, wollten sie aufspüren und vernichten.

Der Feldzug der Amshas begann.

Sie zerschmetterten die fürchterlichsten Kreaturen, welche die Völker heimgesucht hatten, sie jagten und vernichteten die Wesen, die ihr Orks nennt, sie stellten denjenigen nach, die ihr Riesen und Trolle nennt, bis sie die Letzten ausgerottet hatten.

Bald schloss sich ihnen ein Heer aus Freiwilligen an, welche die Zehn als neue Götter verehrten, die den Völkern und allen guten Kreaturen Frieden bescherten. Nur sie bleiben von der Hitze der Amshas verschont.«