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Sie nickte, drehte den Kopf und suchte den Weiher, dem sie sich seit Sonnenumläufen näherten. »Ich verstehe, Tungdil. Und ich kann nach wie vor warten.«

Schallendes Gelächter riss Tungdil aus seinen trüben Gedanken. Er blickte hinter sich und sah, dass Boëndal stehen geblieben war, den Oberkörper vorgebeugt und die Arme auf die Oberschenkel gestützt, damit er nicht nach vorn kippte. Er wollte sich nicht mehr beruhigen, die Tränen rannen ihm aus den Augenwinkeln. »Diesen Jux möchte ich auch hören«, grinste er. »Was hast du deinem Bruder erzählt? Etwa wie der Ork den Zwerg nach dem Weg fragt?«

Ingrimmsch hob die Achseln. »Nein, bei Vraccas! Da sagt man die Wahrheit und wird verlacht«, sagte er halb verblüfft, halb beleidigt. »Ich habe ihm lediglich erzählt, dass wir in den Tümpel springen müssen, um...«

Ein neuer, dröhnender Lachanfall unterbrach ihn und machte jede Unterhaltung unmöglich. Boëndal sank von der Heiterkeit bezwungen auf die Knie. »Da, schaut, was er mit mir gemacht hat«, japste er nach Luft. »Eben noch bin ich dem Eistod entronnen, und jetzt sorgt er mit seiner Geschichte dafür, dass ich fast ersticke.« Kichernd stemmte er sich in die Höhe und klopfte den Staub von den Hosenbeinen. »In einen Weiher springen«, gluckste er. »So weit kommt es noch, dass ich freiwillig einen Fuß in tiefes Wasser setze, damit mich Elria ersäufen kann.« Als er sich die Tränen aus den Augen gewischt hatte und die ernsten Gesichter seiner Begleiter sah, dämmerte ihm, dass es der Wahrheit entsprach. »Was denn? Kein Streich? Wir sollen auf den Grund...?« Er konnte es nicht einmal aussprechen, so entsetzlich fand er die Vorstellung.

Boïndil schlug ihm auf die Schulter. »Es geht recht schnell, Tungdil und ich haben es schon einmal mitgemacht. Du kannst unterwegs Fische betrachten.«

Boëndal sah Myr skeptisch an. »Du wirst mir nicht erzählen wollen, dass es allein diesen Eingang gibt, oder? Ich nehme nicht an, dass die Soldaten, die uns dein König geschickt hat, wie die Frösche vom Steg in den Weiher hopsen, um zurückzukehren?«

Sie grinste und zeigte ihre weißen Zähne, während sie den Tiegel verstaute und auf den Wald zuging, durch den sie zum Weiher gelangten. »Nein, es gibt andere Eingänge. Durch einen haben Tungdil und dein Bruder unser Reich mit verbundenen Augen verlassen. Aber da mir Gemmil es nicht erlaubte, euch diese zu zeigen, werdet ihr zusammen mit mir ein Bad nehmen. So schlimm ist es nun auch wieder nicht, oder?«

»Da hat sie Recht«, grummelte Ingrimmsch. »Es ist nicht schlimm. Es ist scheußlich und übel obendrein. Ich hatte das brackige Wasser noch ewig im Ohr und hörte Elrias Lachen.«

»Aber es beweist, dass unser Volk nicht in allem ertrinkt, nur weil es tief ist«, versuchte Tungdil eine gute Seite des unvermeidlichen Tauchgangs aufzuzeigen.

Boëndal hatte den letzten Rest Fröhlichkeit verloren, auf seiner Stirn zeigten sich unzählige Sorgenfalten, die nicht verschwinden wollten.

Im Wald, der einmal zum Elbenreich Lesinteïl gehört hatte, wollte sich seine Stimmung schon gar nicht mehr bessern, und als sie aufmerksam und kampfbereit durch die Grasebene liefen und die verblichenen Reste der getöteten Zwerge entdeckten, befand sich seine Laune im freien Fall hinunter zum Boden eines endlosen Schachtes.

Sie sammelten die verstümmelten Leichname ein und betteten sie unter einen Steinhügel, damit wenigstens die Überbleibsel Frieden fanden, die Seelen in Vraccasʹ Ewiger Schmiede ihre Ruhe bekämen und sich an den lodernden Essen erfreuen durften.

Bei Einbruch der Nacht gingen sie zu dem Steg. Jeder von ihnen hielt ein kopfgroßes Bruchstück der zerstörten Granitsäulen des Heiligtums in den Händen; die Zwergin hatte es ihnen empfohlen, damit sie schneller auf den Grund sanken und im Reich der Ausgestoßenen ankamen. Schließlich gelangten sie an das Ende des Stegs.

»Ich mache den Anfang«, sagte Myr, lächelte dem argwöhnisch blickenden Boëndal zu und hüpfte in die schwarzen Fluten.

»Weg ist sie«, murmelte er besorgt. »Und ihr seid sicher, dass wir auch...«

»Du hast dich gegen Nôdʹonn und seine Bestien gestellt, Bruder, und nun zögerst du vor einem Sprung?« Boïndil tat so, als wäre es das Leichteste der Welt.

»Darf ich dich daran erinnern, dass du nur gesprungen bist, weil dich ein Stier hineingeschleudert hat?«, meinte Tungdil.

Ingrimmsch winkte ab. »Den brauche ich nicht mehr.« Etwas angewidert trat er an den Rand des Stegs. »Verfluchtes Wasser. Es ist kalt und dunkel«, beschwerte er sich und machte einen Satz. Es plumpste gehörig, und er versank.

»Dann bleibt mir keine andere Wahl«, ergab sich Boëndal in sein Schicksal. Er schöpfte tief Luft, schloss die Augen und hielt sich mit der freien Hand die Nase zu, als er sprang.

Tungdil bildete den Schluss. Die Wellen schlugen über ihm zusammen. Es war unmöglich, etwas zu erkennen. Lediglich am Druck auf den Ohren spürte er, dass ihn das Gewicht seiner Waffen, der Panzerung und des Steins nach unten zog.

Tungdil hörte das Rauschen des Wasserfalls, der sich in das Becken ergoss, stürzte mit der Kaskade zusammen hinab und tauchte ein zweites Mal unter, ehe ihn eine sanfte Strömung nach oben drückte und an das flache Ufer spülte.

Hustend und prustend stand er auf. Die Zwillinge waren bei ihm, gaben die gleichen Geräusche von sich und spuckten Wasser aus. Myr band sich den Gürtel fester um die Hüfte, der sich beim Tauchen gelockert hatte.

»Das war das erste und das letzte Mal, dass ich diesen Weg nahm«, polterte Boëndal und schüttelte sich, dass die Tropfen flogen. Wie bei den anderen auch, rann das Wasser fadendick aus seinen Kleidern und plätscherte zu Boden. »Es wird dauern, bis alles getrocknet ist.« Wütend fuhr er sich über das Kettenhemd. »Ich hoffe, ihr habt gutes Öl«, knurrte er.

Myr fuhr sich durch die nassen Haare und lachte. »Wir finden schon die passenden Kleider für euch«, beruhigte sie den Zwerg, ging auf die massive, eisenbeschlagene Eichentür zu und pochte dagegen. »Und Öl.«

Ein Guckloch öffnete sich, ein rotes Augenpaar musterte sie und den Besuch, und das Guckloch schloss sich wieder. Kurz darauf hörten sie, wie zahlreiche Bolzen entfernt wurden. Der Eingang zum Reich der Freien tat sich für sie auf.

Gemmil erwartete sie in dem Raum dahinter und begrüßte jeden einzelnen von ihnen mit Handschlag, auch wenn ihm die Zwillinge mit Zurückhaltung begegneten. »Meine Hilfe kam rechtzeitig?«, wollte er wissen, und die Chirurga berichtete ihm knapp von der Schlacht am Grauen Gebirge sowie dem Portal am Steinernen Torweg, das seinen Dienst wie vor tausenden von Sonnenzyklen verrichtete.

»Der Sieg freut mich, die Toten machen mein Herz weinen«, sagte Gemmil. »Wir werden auf beide anstoßen.« Er deutete auf die bereitliegenden Tücher. »Legt sie um euch, damit ihr euch nicht erkältet.«

»Trockene Kleidung wäre mir lieber«, verlangte Ingrimmsch.

»Ihr werdet sie bald bekommen. Sie wartet in eurem neuen Heim«, verriet er ihnen und durchquerte den Raum, um zu einer weiteren Tür zu gelangen. Dahinter stand eine fahrbereite Lore. Sie stiegen ein, und das Gefährt trug sie ratternd und holpernd weiter nach unten. Endlich hielt sie an. Als sie ausgestiegen waren, führte sie der König durch die gewaltige Ankunftshalle zu einem zweiflügeligen Tor.

»Kommt. Ihr sollt sehen, worüber ich herrsche.« Er berührte die eingelassenen Runen mit seinem Ring. Die Zeichen leuchteten auf, die Türen schwangen langsam zur Seite, und gedämpftes Licht fiel herein. »Geht vor und seid willkommen bei den Freien.«

Tungdil und die Zwillinge überquerten die Schwelle und gelangten auf ein vorgelagertes Plateau, von dem eine breite Treppe hinabführte. »Bei Vraccas«, hörte er Boëndal hinter sich überwältigt sagen, und auch ihm klappte der Unterkiefer vor Staunen herunter.

Zu ihren Füßen breitete sich eine richtige Stadt mit unterschiedlich großen Häusern, symmetrisch angelegten Straßen, Gassen und Plätzen aus. Tungdil schätzte ihre Ausmaße auf etwa zwei Meilen in der Breite und Länge; der Abstand zur Decke betrug vom Plateau aus gut und gern anderthalb Meilen.